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© Kai-Uwe Heinrich

Potsdamer Straße: Eine Achse für die Kunst

Es muss nicht immer Berlin-Mitte sein: Immer mehr Galerien ziehen in die Potsdamer Straße. Bald eröffnet hier das Freie Museum.

Noch vor ein paar Jahren hätte ihn sein erster Weg wohl kaum hierher geführt. Doch seit einiger Zeit gedeiht rund um die Potsdamer Straße die Kunstszene – zwischen Tattoostudios, Sexshops und Billigläden. Und so kommt es, dass der französische Maler Axel Pahlavi, der seit Anfang 2009 in der Stadt ist, genau hier seine Atelierräume gefunden hat, zusammen mit sieben weiteren Nachwuchskünstlern aus Frankreich: unter dem Dach des Freien Museums Berlin, dem aktuellsten Neuzugang auf der Straße.

Eine schmale Toreinfahrt an der Hausnummer 91 führt zu dem Fabrikgebäude von 1860. Auf vier Etagen plus Seitenflügel und Remise entstehen hier Ausstellungsräume, Ateliers, ein Archiv für zeitgenössische Kunst und ein Café. „Eine Schaustelle für zeitgenössische Kunst“ soll das Freie Museum werden. Im sogenannten Emergency-Raum werden alle zwei Wochen Nachwuchskünstler ihre Arbeiten vorstellen. „Emergency“ steht für schnell, dynamisch, flexibel. Der Titel „Freies Museum“ ist auch eine kleine Spitze gegen die Behäbigkeit der Institutionen und die Querelen um die temporäre und eine dauerhafte Kunsthalle für Berlin. „Hier sehen Sie Kunst, die zu frisch ist für ein normales Kunstmuseum“, sagt die Leiterin Marianne Wagner-Simon.

Die Künstler erarbeiten das Grundkonzept der Ausstellungen selbst; Ende September, pünktlich zur internationalen Kunstmesse Art Forum Berlin, soll das Museum mit dem Projekt „Erased Walls“ eröffnet werden. Dafür arbeitet Wagner-Simon mit den Biennalen von Poznan, Prag, Bratislava und Bukarest zusammen. Später werden unter anderem Arbeiten der Videokünstlerin Candice Breitz (die die Temporäre Kunsthalle am Schlossplatz eröffnete) und ihrer Meisterklasse der Berliner UdK sowie der Feministin Judy Chicago zu sehen sein.

Der Eintritt ist frei. Getragen wird das Projekt von privaten Unterstützern, Sponsoren und dem Verein „Lawyers for the Arts“, der nach amerikanischem Vorbild kostenlose Rechtsberatung für Künstler anbietet und sich der Nachwuchsförderung verschrieben hat.

Wie die von Axel Pahlavi und den anderen französischen Mahlern. Der 33-Jährige befestigt mithilfe seines Kollegen Florent Dumortier ein mannshohes Gemälde des heiligen Michael auf einem Holzrahmen. Der Raum ist lichtdurchflutet, kahl. Ein einzelnes Ledersofa steht verloren herum. Dumortier zündet sich eine Zigarette an, lässt seinen Blick über die Fabriketage schweifen. „Wir werden hier gut zusammenarbeiten“, sagt er. „Hier kann man viele befreundete Künstler und Kunstinteressierte einladen, das ist großartig.“ Sorgen, dass es das Publikum nicht in diese Ecke der Stadt verschlägt, brauchen sie sich nicht zu machen. Nicht mehr.

„Vor drei Jahren“, sagt Nina Korolewski, „war es noch ganz schwer, Gäste zu einer Vernissage hierher zu locken.“ Sie kennt sich aus in der Gegend. Sie organisiert das jährlich auf der Potsdamer Straße stattfindende Kulturfestival Magistrale, an dem nun auch das Freie Museum teilnehmen wird. Von ihr stammt die Broschüre „Potse Kunstspotting“, ein Kulturführer durch Tiergarten Süd. Im Mai hat sie in der Pohlstraße den temporären Projektraum „tmp“ eröffnet, eine Mischung aus Kunst und Gastronomie. Außerdem berät Nina Korolewski Galerien und Kunstinstitutionen, die sich im Kiez niederlassen wollen. „In letzter Zeit bekam ich wöchentlich Anfragen“, sagt sie. Die meisten stammen aus Mitte oder Prenzlauer Berg.

Von dort kommt auch die renommierte Galerie Klosterfelde, die im September ihren Standort in der Zimmerstraße in Mitte aufgibt und in der Potsdamer Straße 93 einzieht. Nebenan, in der untersten Etage des Freien Museums, lässt sich die Galerie Walden aus der beliebten Kastanienallee nieder. Und in einem Seitenflügel des Hofs packt Eva Bracke gerade ihre Umzugskisten aus.

Bracke führte die letzten drei Jahre eine Galerie in der Torstraße in Mitte. Ein Jahr lang habe sie nach einer passenden Immobilie in ganz Berlin gesucht, erzählt sie. Auf 180 Quadratmetern will sie nun ihr Programm erweitern und neue Künstler hinzunehmen. Die Entscheidung fiel weniger für die Potsdamer Straße als für die Räumlichkeiten. „Es gibt noch viele interessante leerstehende Objekte hier“, sagt sie. „Da werden noch etliche aus der Kunstszene nachkommen.“

Damit rechnet auch Ute Großmann vom Quartiersmanagement Schöneberger Norden. „Die Welle schwappt jetzt von Mitte zu uns herüber.“ Das kann die Potsdamer Straße gut gebrauchen, nicht nur wegen ihres Rufs als Rotlicht- und Drogenviertel. Die BVG-Zentrale ist weggezogen, das Wintergarten-Varieté wurde geschlossen, und der Tagesspiegel zieht demnächst um und bricht hier seine Zelte ab.

„Es sieht nicht alles rosig hier aus“, sagt die Quartiersmanagerin, „dafür ist noch nicht alles so glatt lackiert wie in Mitte.“ Seit zehn Jahren kämpft das Quartiersmanagement gegen die schleichende Verödung der Achse zwischen Ost und West. Galerien sind kein Garant für den Aufschwung. „Aber sie bringen anderes Publikum“, sagt die Galeristin Sassa Trülzsch aus der Blumenthalstraße. Publikum, das sich im nahe gelegenen Kulturforum und der Neuen Nationalgalerie tummelt oder in den alteingesessenen Galerien in Charlottenburg. Die Potsdamer Straße liegt genau dazwischen. Trülzsch charakterisiert den Kiez als „bürgerlich, mit einem gewissen Bruch“. Sie schätzt das Abseits, weil „man sich hier auf seine Arbeit konzentrieren kann“.

In diesem Abseits befindet sich auch die Schaustelle des Freien Museums, hinter der schmalen Toreinfahrt zwischen einem indischen und einem libanesischen Laden. Kein Verkehrslärm dringt in den Hof. Die Schaustelle ist noch Baustelle, auch wenn die jungen Maler um Pahlavi und Dumortier ihre Arbeiten bereits Monate vor der eigentlichen Eröffnung hier präsentierten. Knallig-expressive Bilder unter dem Titel: „Die neuen schönsten Franzosen sind in Berlin“ – frei nach dem Slogan der großen Metropolitan-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie 2007. Ein erster Gruß in diese Richtung.

Freies Museum Berlin, Potsdamer Straße 91, www.freies-museum.de

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