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Reaktionäre Katholiken: Die Reliquie der Vorhaut Christi

David Berger war konservativer Katholik: Nun rechnet er mit diesem Milieu ab. Dabei stellt er fest, dass sich gerade am rechten Rand der Kirche viele homosexuelle Männer sammeln.

Jahrelang haben sie ihn hofiert, jetzt würden sie ihn am liebsten umbringen. David Berger habe sein Lebensrecht verwirkt, heißt es auf der reaktionären katholischen Internetseite kreuz.net. Im April hat der 42-jährige Theologe und Herausgeber der rechtskatholischen Zeitschrift „Theologisches” seine Ämter niedergelegt und seine Homosexualität geoutet: Er ertrage die „Bigotterie“ in der katholischen Kirche nicht mehr. Man könnte das abtun als interner Streit unter Frömmlern. Wer liest schon kreuz.net? Doch die Erfahrungen, die David Berger am reaktionären Rand der katholischen Kirche gemacht und nun veröffentlicht hat, sind interessant, weil sie erklären, warum sich in der Kirche nichts ändern wird, auch nicht nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle.

David Berger kam über die „Einstiegsdroge“ der alten tridentinischen Messe mit erzkatholischen Organisationen in Verbindung wie dem Opus Dei, den Piusbrüdern, der „Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum“ oder dem Engelwerk. Überrascht stellte er fest, dass sich gerade am rechten Rand der Kirche viele homosexuelle Männer wie er sammeln – unter den Gläubigen wie unter den Priestern. Man feiert die Reliquie der Vorhaut Christi und verklärt Jesus zur Schwulen-Ikone mit flammendem Herzen und weichem Blick, schreibt Berger. Das Spektakel der alten Messe mit Weihrauch, kostbaren Gewändern und klassischer Kirchenmusik befriedige das Bedürfnis vieler Homosexueller nach Schönheit und Form. Allerdings steht hinter dem schönen Schein ein reaktionäres Programm.

Berger hatte in seiner Promotion Karl Rahner angegriffen, jenen Theologen, der maßgeblich hinter der Öffnung der katholische Kirche zur modernen Welt stand. Damit hatte er sich in reaktionären katholischen Kreisen einen Namen gemacht und erhielt viele Einladungen zu Vorträgen. Seine Reisen führten ihn in rechtskatholische Priesterseminare, auch nach St. Pölten, das von Bischof Kurt Krenn geleitet wurde, einem Weggefährten Joseph Ratzingers – bis die Polizei dort 40 000 schwule Pornobilder und Dateien über Kindesmissbrauch fand. Er nahm an katholischen „Herrenabenden“ teil, bei denen bekennende Rechtsradikale und verurteilte Volksverhetzer auftraten und Antisemitismus zum guten Ton gehörte. Berger beschreibt, wie Adelige, Unternehmer, Theologen und Juristen vom katholischen Gottesstaat träumen. „Hier vernetzen sich Finanzkraft, politisch extrem rechtes Denken und antimoderner Katholizismus und bilden eine Art heilige Familie mit kartellähnlichen Strukturen.“

Auch Frauenverachtung und extreme Schwulenfeindlichkeit sind in diesen Netzwerken Selbstverständlichkeit – nicht obwohl, sondern gerade weil sich dort Homosexuelle treffen, vermutet David Berger. Dennoch hat auch er die „Bigotterie“, die er heute seinen Gegnern vorwirft, zehn Jahre lang mitgemacht, wie er selbstkritisch zugibt. Da es offenbar gerade in diesen Kreisen an jungen klugen Köpfen mangelt, konnte er schnell Karriere machen, die Promotionsstelle wurde ihm ebenso hinterhergetragen wie später die Herausgeberschaft der Zeitschrift „Theologisches“. Gerne nahm er auch die Einladungen an, sonnte sich in der Außenseiterrolle und spitzte seine Thesen gegen den Mainstream-Katholizismus genüsslich zu. Dass er in einer homosexuellen Beziehung lebte, störte keinen. Sein Partner wurde kurzerhand zum „Cousin“ erklärt. Bedenken kamen Berger, als er immer häufiger mit der Fördergemeinschaft von „Theologisches“ aneinandergeriet, weil er sich weigerte, rechtsradikalen oder allzu schlichten Gemütern eine Plattform zu bieten. Er hatte den Ehrgeiz, die Publikation gegen die „Vulgärtraditionalisten“ zu einer ernst zu nehmenden Stimme des Rechtskatholizismus aufzubauen. Als die Konflikte eskalierten, versuchten ihn seine Förderer als Schwulen zu diffamieren und dadurch gefügig zu machen.

Berger schätzt, dass jeder zweite katholische Priester in Deutschland schwul ist. Dies sei aber für den Vatikan kein Anlass, sein Verhältnis zu Homosexualität zu überdenken, im Gegenteil. In Rom würden Dossiers über missliebige Priester angelegt. „Es gibt unter dem Aspekt der Machtausübung nichts Praktischeres für den Papst und die Bischöfe, als wenn sie Wissen über intime Verfehlungen besitzen, die die ,Übeltäter’ um jeden Preis geheim halten möchten. Je verwerflicher diese Verfehlungen in den Augen der Kirche sind, desto größer ist die Gehorsamsleistung, die man erwarten kann“, schreibt Berger und fragt: „Welcher junge Mann, der unbedingt Priester werden möchte, wird angesichts dieser Lage noch offen mit seinen Ausbildern reden?“

An der fatalen Verquickung von Unehrlichkeit, Heimlichtuerei und Vertuschung in der katholischen Kirche wird sich nichts ändern, glaubt Berger. Aber lassen sich seine Erfahrungen verallgemeinern? Er schreibt, die „extrem konservativen Kreise“ würden in der katholischen Kirche „zunehmend das Ruder übernehmen“. Doch Größenordnungen nennt er nicht, ein Manko des Buches. Es steht außer Zweifel, dass Papst Benedikt XVI. erzkonservative Gruppierungen fördert, wie die Rehabilitierung der Piusbrüder zeigt. Er fühlt sich ihnen in der Ablehnung der Moderne, im Kampf gegen die „Diktatur des Relativismus“ herzlich verbunden. Die katholische Kirche „manövriert sich auf ihrem Weg der Angst ins Abseits“, meint Berger. Wo er selbst heute theologisch steht, wird allerdings nicht klar. Er habe sich vom konservativen Katholizismus abgewandt, schreibt Berger. Er findet aber auch, die Kirche dürfe sich etwa in der Liturgie oder im öffentlichen Auftreten nicht „zeitgeistiger Kreativität überlassen“. Er möchte mit der Scheinheiligkeit Schluss machen, aber auf das heilige Scheinen nicht verzichten. Die Kirche soll weltoffen sein, aber nicht in der Welt aufgehen. Es ist eine sehr schwierige Gratwanderung. Unzählige Gläubige, Priester und Bischöfe bemühen sich tagtäglich darum.

– David Berger:

Der heilige Schein. Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche. Ullstein Verlag, Berlin 2010. 304 Seiten, 18 Euro.

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