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Frauen und Männer auf der Re:publica. Dort ist die Frauenquote inzwischen so, wie Ursula von der Leyen sie sich wünscht.

© dpa

12. Re:publica: Frauen sichtbar machen

Auf der Re:publica sind inzwischen rund ein Drittel der Vortragenden Frauen – mehr als auf den meisten anderen Webkonferenzen. Wie Frauen im Web 2.0 und in der Internetbranche noch sichtbarer werden können, darüber wird gestritten. Vor allem von Frauen.

Von Anna Sauerbrey

Nach 34 Minuten sagt Julia Seeliger: „Ich bin am Ende meiner Kräfte angelangt.“ Da ist es kurz nach halb acht am Donnerstagabend, draußen vor der Station Berlin wechselt die Re:publica den Aggregatzustand von Konferenz zu Party. Leute spülen die Debatten des Tages mit einem Bier herunter und atmen endlich die laue Sommerluft. Ein paar hundert aber harren noch aus im stickigen Dunkel vor Bühne 2. Oben sitzen die Bloggerin und Journalistin Julia Seeliger und die Piratin Julia Schramm, seit fast einer Woche Beisitzerin im Vorstand der Partei. Der Titel der Veranstaltung lautet „Trollen oder getrollt werden, Female Trolling ja oder nein“ und das Ausharren lohnt sich, denn es ist sicherlich eine der skurrilsten Veranstaltungen der Konferenz.

Es geht irgendwie um den Feminismus im Allgemeinen und feministische Webseiten im Besonderen, es geht darum, ob Frauen im Web 2.0 häufiger „Trollkommentaren“ ausgesetzt sind, also herabsetzenden und unsachlichen Angriffen. Es geht darum, ob und wie zurückgetrollt werden darf und wie Frauen sich sonst wehren können oder nicht. Dabei oszilliert der Auftritt der beiden zwischen Kunst und Pamphlet, zwischen lustig und langweilig. Julia Schramm hält sich die ganze Zeit über einen pinken Regenschirm über den Kopf, Julia Seeliger beginnt den Vortrag halb versteckt unter einer Kapuze (mit Troll-Ohren). Es entspinnen sich furiose Gaga-Dialoge zwischen dem Publikum und den beiden Frauen auf der Bühne, es wird hin- und hergetrollt.

Seeliger: „Es wird gesagt [auf feministischen Blogs], dass Männer prinzipiell übergriffig sind, das äußere sich beim Sex, das äußere sich, wenn der Mann der Frau aus dem Mantel hilft.“

Gejohle im Saal.

Seeliger: „Bitte, was? Bitte lauter pöbeln.“

Mann aus dem Publikum: „Ihr seid doch nur Männerhasser!“

Julia Schramm: „Männerhasser-Innen!“

Mann im Publikum: „Sagt doch mal was zu Frauenparkplätzen.“

Nach einer Viertelstunde, weiß niemand mehr, was davon Parodie und was Ernst ist. Irgendwann tritt eine junge Frau entnervt an das Saalmikro und sagt, sie halte die Ambivalenz jetzt nicht mehr aus.

Dass bis zum Schluss nicht ganz klar ist, ob Schramm und Seeliger das Publikum gezielt zu antifeministischen oder frauenfeindlichen Trollkommentaren provozieren wollten und / oder ernsthaft über Frauen im Netz sprechen, liegt wohl zum einen an mangelnden Absprachen zwischen den beiden Vortragenden. Zum anderen aber auch daran, dass das Publikum keinerlei intuitive Erwartung an die Haltung von zwei Frauen zu diesem Thema haben kann. Denn niemand ist sich so uneins über das Thema wie die Frauen selbst.

Einen Tag zuvor, Bühne sieben. Die Sonne scheint hell in den Saal, deshalb kann man das Video, in dem gerade Dörte zum Publikum spricht, nicht so gut erkennen. Hören kann man sie aber. Sie berichtet, wie sie einmal zu einem Bar-Camp gegangen ist, dort wurde sie als Rednerin ausgewählt. Im letzten Moment aber bekam sie kalte Füße, beinahe wäre sie nicht nach oben gegangen, wäre da nicht ein Netzwerk gewesen, das sie unterstützt hat. „Das war großartig für den letzten Kick, den Frau manchmal einfach braucht“, bedankt sie sich.

Auf hatr.org bekommt man einen Überblick über den Hass im Netz

Ihr Netzwerk, das sind die Digital Media Women, die sich vor zwei Jahren in Hamburg gegründet haben. Nach einem besonders frustrierenden Erlebnis - 2010 waren bei der Start-up-Konferenz „Next“ unter dutzenden Rednern nur zwei Frauen - tat sich die Frauengruppe zusammen. Auf der Re:publica stellten sie sich nun vor und gaben bekannt, dass sie einen Ableger in Berlin gründen. Sie wollen Frauen unterstützen, auf digitalen Konferenzen öfter auf Podien zu gehen, überhaupt die Sichtbarkeit von Frauen in Web-Berufen zu erhöhen. „Frauen haben mehr Respekt davor, sich vorne hinzustellen, der Fokuspunkt zu sein“, sagt Inken Meyer, eine der Gründerinnen des Netzwerkes. Und der ganze Sinn und Zweck des Web 2.0 ist es nun einmal, sich zu exponieren.

In Sozialen Netzwerken sind Frauen weiterhin unterrepräsentiert. Die „Alpha-Blogger“ sind größtenteils Männer. Die Frage, ob Frauen im Netz häufiger „getrollt“ werden und ob sie das schlechter vertragen als Männer, beantwortet die Piratin Julia Schramm knapp mit: „Ja und ja.“ Viele Frauen auf der Konferenz haben Erfahrung damit. Auf der Webseite www.hatr.org werden extreme Troll-Kommentare gesammelt, dort bekommt man schnell einen Überblick darüber, mit welchem Hass Frauen, aber auch Homosexuelle überschüttet werden, „Judenhure“ und „Scheiß Lesbo-Fotze“ sind da nur der Anfang.

Immerhin, auf der Re:publica ist der Frauenanteil inzwischen stark gewachsen. Die Konferenz erfüllt inzwischen die von Ursula von der Leyen geforderte Frauenquote: Etwa ein Drittel derer, die auf Podien sitzen, sind Frauen. Es sind schrille Frauen, wie die amerikanische Werberin Cindy Gallop, die im brechend vollen größten Saal über ihr Projekt „Make love, not porn“ spricht. Gallop hat die gleichnamige Webseite 2009 gegründet, um Menschen dazu zu bewegen, offen über ihre Vorstellungen von Sex zu sprechen. Sie hält das für nötig, weil sie das Gefühl hat, dass diese Vorstellungen immer stärker von den Klischees der Pornoindustrie geprägt sind – die oft mit dem „wahren“ Leben nicht in Einklang stehen. Über sich selbst sagt Gallop, dass sie Pornos liebt und dass sie Beziehungen ausschließlich mit „furchtbar hübschen, jungen Männern“ eingeht.

Es sind aber auch politische Frauen wie Jillian C. York. York ist Vorstandsmitglied der Electronic Frontier Foundation, einer amerikanischen Nicht-Regierungsorganisation, die sich für die Netzfreiheit engagiert. York reist unablässig durch die Welt, spricht auf Konferenzen und besucht ihr Schwerpunktgebiet in Nordafrika, auch auf der Konferenz spricht sie über den Arabischen Frühling. Und es sind Politikerinnen wie Julia Schramm von der Piratenpartei, die gleich zweimal auftritt.

Nur Feministin will offenbar keine hier sein. Der Widerwille, sich zusätzlich zu den Anfeindungen im Netz selbst in die „Opfer- oder Frauenecke“ zu manövrieren ist offenbar verbreitet - zumindest außerhalb der einschlägigen feministischen Blogs. Auch die Digital Media Women grenzen sich vom Feminismus ab. Das Wort, sagt Inken Meyer, würde sie nicht in den Mund nehmen. Sie betont, dass sie keinen thematischen Vorschlag über „Die Frau im Netz“ gehalten hat, sondern lediglich das Netzwerk vorstellen wollte. Die Bloggerin Julia Seeliger sagt: „Schiebt die Frauen nicht in den Frauenraum ab.“

Als Seeliger während der Vortragsinszenierung mit Julia Schramm die Saalfrage stellt, wer denn glaube, dass die Gleichberechtigung realisiert sei, gehen im ziemlich pari-pari besetzten Publikum gerade einmal zwei Hände hoch. Der geschlechterspezifische "digital divide" ist da, so viel Einigkeit besteht auf der Re:publica. Wie er überwunden werden soll, bleibt umstritten.

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