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Hitlerchen. Tom Schilling spielt den abgewiesenen Kunststudenten aus Braunau am Inn.

© Ufa Cinema

Theater goes Kino: Sein Krampf

Urs Odermatt versucht sich an George Taboris unkaputtbarer Farce „Mein Kampf“. Dabei begräbt er das pralle Leben der Stückvorlage unter Patina und Postkartenansichten.

Das Schönste an Urs Odermatts Historienfilm „Mein Kampf“ ist, dass er dazu verführt, George Taboris gleichnamiges Stück wiederzulesen. Wer schon ein bisschen älter ist und leidenschaftlicher Theatergänger, erinnert sich vielleicht zudem an die Uraufführung 1987 am Wiener Akademietheater, mit Regisseur und Autor Tabori in der Rolle des Lobkowitz alias Gott alias Lobkowitz, so genau ist das aus der zeitlichen Distanz nicht mehr auszumachen. Oder an die vielgepriesene Thomas-Langhoff-Inszenierung am Berliner Maxim-Gorki-Theater, die kurz nach dem Mauerfall Premiere hatte und zehn Jahre auf dem Spielplan stand.

Damals war die Farce um das böse Bürschchen Adolf Hitler, die ihr so witz- wie wärmebegabter Erfinder auch „theologischen Schwank“ nannte, frisch und scharf: Ausgerechnet ein großherziger Jude namens Schlomo Herzl, Mitbewohner im Männerheim an der Blutgasse, bringt den abgewiesenen Kunststudiumsaspiranten aus Braunau am Inn auf den späteren Buchtitel „Mein Kampf“ und die Ersatzidee, mit seinem antisemitischen Quark mal eben ersatzweise in die Politik zu gehen, und das mit allen – in den Dialogen schon auffunkelnden – bekannten Folgen. Auch wenn bei Tabori nur ein Huhn namens Mizzi dran glauben muss.

Inzwischen ist die Welt fast 25 Jahre weiter, man hat sich gegruselt über den Bruno-Ganz-Hitler in Oliver Hirschbiegels „Untergang“ (und sich über die Youtube-Verballhornungen scheckig gelacht), man hat sich gegruselt und totgelacht über Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“, in denen die ganze Hitlerei in die Luft fliegt – und so haben es neuere „Mein Kampf“-Inszenierungen, etwa in Frankfurt am Main oder am Berliner Ensemble, nicht ganz leicht. Verdammt lang her scheint er, der unüberholbare Scherzschmerz des wunderbar weisen Juden George Tabori.

Und doch, wie dieser Text schon beim Lesen leuchtet, komisch, grob, wortsportlüstern, feierlich und das Feierliche gleich wieder veralbernd – verglichen mit Odermatts fadem Film, der sich seltsam stolz darauf beruft, das Tabori-Original exakt zur Hälfte verwendet zu haben. Nur: Hier hört man rein gar nichts, im Großschauspieler-Salbadern des Götz George, der den Herzl gibt, und im Falsettieren des Tom Schilling, der sich als Hitlerchen müht, ganz doll dämonisch zu sein. Nicht zu vergessen das Gretchen, das erst den Herzl herzt und dann dem Hitler als BDM-Mädel hinterherspurt: Bei Anna Unterberger, eher Heidi auf der Alm als fillette fatale, ist die Rolle denn doch verblüffend züchtig aufgehoben.

Unter Patina und Postkartenansichten – mal Zille sein Milljöh, mal abgepauste Schtetl-Folklore – begräbt Odermatt das pralle Leben der Stückvorlage, zu schweigen von ihrer Transzendenz. Und erst das Wienerische, das mal nach Göttingen tönt und mal nach Fantasiedialekt! Und schließlich die Tendenz, das Tabori-Universum nahezu auf Guido-KnoppHistorismus runterzuschrumpfen, aktualisierende Moral inklusive! Mit anderen Worten: Tabori lesen und leben!

Babylon Mitte, Colosseum, Sputnik

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