zum Hauptinhalt
Geschäftlich. Soukaina (Halima Karaouane) bei ihrem Stammfreier.

© arsenalfilm

Spielfilm über Prostituierte in Marokko: "Much Loved": Noha, Soukaina, Randa und die Männer

Freizügig und prompt in der Heimat verboten: der Film „Much Loved“ von Nabil Ayouch erzählt vom Alltag marokkanischer Prostituierter.

Drei Frauen an einem Esstisch, so geht das los. Sie reden und sie lachen, laut und viel. In den Gesprächen geht es um Partys, Männer, um Sex, um die Arbeit. Nach einer Weile wird klar: Partys, Männer, Sex und ihre Arbeit gehören zusammen. Und die drei bereiten sich gerade auf eine gemeinsame Arbeitsnacht vor.

Ein Anfang, so schön wie lebendig, so direkt wie beunruhigend. Wie die drei Frauen. Wie der Film selbst. Nervös blickt die Kamera hin und her. Sie ist neugierig, noch weiß sie nicht mehr als die Zuschauer. Wer sind die drei, und wie wird es weitergehen?

Dieser Beginn zeigt auch: Der Film glättet nichts, und er erklärt wenig. Er wirft seine Zuschauer mitten hinein. Traut ihnen etwas zu, so wie er seinen Protagonistinnen etwas zutraut. Und vor allem: Er bedient keinerlei Klischees. Ja, da ist ein Mann bei den Sexarbeiterinnen – aber er ist nicht etwa ihr Zuhälter, sondern ihr Chauffeur. Die Chefin ist dafür eine von ihnen, Noha (Loubna Abidar), die Älteste, und sie wird schon mal autoritär, verbietet Soukaina (Halima Karaouane), der Romantikerin, ihren Freund zu sehen, oder regt sich auf, weil Randa (Asmaa Lazrak), die Rebellische, mal wieder keine Lust zum Tanzen hat. Aber Noha ist keine herzlose Ausbeuterin, sie ist auch weich und witzig und verzweifelt. Und Randa sieht eher aus wie ein kleiner Punk denn wie eine Prostituierte, sie ist stur und störrisch und wahrscheinlich lesbisch.

Fantastische Darstellerinnen

Was für Hauptfiguren und fantastische Darstellerinnen, so schnell vertraut und unvergesslich! Mit ihrem Charme und ihrem Schmerz, der Wärme und der Solidarität untereinander erinnern sie sogar ein wenig an die großen Frauenfiguren bei Pedro Almodóvar.

„Much Loved“ spielt allerdings nicht in Madrid, sondern in Marrakesch. Bei aufwendigen Privatpartys in riesigen Palästen tanzen Noha, Soukaina und Randa für ihre Kunden, meist aus Frankreich oder Saudi-Arabien. Die drei Frauen wohnen zusammen, und sie sind nicht nur Kolleginnen, sondern ersetzen sich auch die Familie. Wenn sie sich in ihren Schlafanzügen nebeneinander ins Bett kuscheln, abwechselnd leise und dann wieder laut und albern sind, dann wirken sie zwischendurch wie irgendeine moderne Frauen-WG.

Verherrlichend ist „Much Loved“ dennoch nicht, im Gegenteil: Die offenen, ausführlichen Szenen aus ihrem Arbeitsalltag sind sogar teilweise schwer zu ertragen. Denn die Frauen tanzen nicht einfach, sie kriechen auf dem Boden, spielen Katzen oder Hunde, präsentieren ihre Körper in immer neuen Positionen, auch Gewalt spielt eine Rolle. Am schmerzhaftesten ist eine Szene, die Noha bei der Polizei erlebt, als sie versucht, diese Gewalt anzuzeigen. Einerseits, weil hier die Machtverhältnisse so vollkommen eindeutig erkennbar sind und besonders die gesellschaftliche Ächtung und Ausgeliefertheit der Frauen offensichtlich wird. Zum anderen, weil diese Szene ihre furchtbare Spiegelung in der Realität fand: Nachdem der Filmtrailer veröffentlicht worden war, wurde „Much Loved“ in Marokko nicht nur verboten. Hauptdarstellerin Loubna Abidar wurde in Casablanca außerdem überfallen und geschlagen – und sie berichtet, dass sie, als sie Anzeige erstatten wollte, tatsächlich abgewiesen wurde (die Polizei bestreitet das). Loubna Abidar floh daraufhin nach Frankreich, zunächst mit einem Touristenvisum, aktuell nun ohne Aufenthaltsgenehmigung.

Politisch brisant, poetisch elegant

Es ist nicht nur diese politische Dimension, die „Much Loved“ so wichtig macht. Es ist auch seine Ästhetik, die souveränen Rhythmuswechsel der Kamera, die von hastig und auf ihre Weise laut ganz plötzlich zu leise und schwärmerisch wechselt. So rücken einem die Figuren nah – und lassen doch den nötigen Abstand, um sie mit eigenen Erfahrungen und Gefühlen in Beziehung zu setzen. Schon in seinem letzten Film – „Horses of God“ (2012) über junge marokkanische Dschihadisten – gelang Nabil Ayouch dieses Kunststück aus politischer Brisanz und poetischer Eleganz.

Ayouchs Filme sind ein Beispiel für Kunst, die politisch ist, ohne deshalb aufzuhören, Kunst zu sein. Die Relevanz nimmt ihr nichts von ihrer Komplexität. „Much Loved“ ist realistisch, witzig, rau – und hat eine Haltung. Wie nebenbei führt der Film die Doppelmoral einer Gesellschaft vor, die gerade ökonomisch auf Sexarbeiterinnen angewiesen ist und sie dennoch stigmatisiert. Wer den Film gesehen hat, kann gar nicht anders, als sie zutiefst zu bewundern. Julia Dettke

In Berlin im b-ware! Ladenkino, Central, Lichtblick, Moviemento (alle OmU)

Julia Dettke

Zur Startseite