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Bedroht: Das große Haus des Landestheaters Neustrelitz.

© Jens Büttner/dpa

Stadttheater: Bedrohtes Kulturerbe: Ohne wär´s nur Provinz

Mecklenburg-Vorpommern spart seine Theater kaputt. Am Donnerstag will eine Demo in Neustrelitz die Politik aufrütteln.

Natürlich kann man die Frage stellen, warum Neustrelitz ein eigenes Theater braucht. Ein Residenzstädtchen, dessen große Zeit lange zurückliegt, als im 19. Jahrhundert Großherzog Georg elegante Plätze nach englischem Vorbild anlegen und repräsentative Bauten in klassizistischer und neogotischer Manier errichten ließ. Heutzutage hat der Ort an der Mecklenburgischen Seenplatte ganze 22 000 Einwohner – und eben ein Theater, das Schauspiel, Oper und Puppentheater anbietet. Außerdem hat hier auch noch die Deutsche Tanzkompanie ihren Sitz.

Im fernen Schwerin findet man das Neustrelitzer Kulturangebot unverhältnismäßig üppig. Das Theater, das bereits in 2001 mit dem Orchester im 30 Kilometer entfernten Neubrandenburg fusioniert worden ist, soll darum mit den Doppelbühnen von Greifswald und Stralsund zum „Staatstheater Nordost“ zusammengezwungen werden. Der Plan von Kultusminister Mathias Brodkorb sieht vor, dass die Operntruppe in Stralsund residiert, das Sprechtheater und das Ballett in Greifswald. Neubrandenburg wäre Sitz des Orchesters samt Generalmusikdirektor. Und in Neustrelitz bliebe – fast nichts. Außer den zentralen Werkstätten und 25 Stellen für „musikalisches Schauspiel“, was auch immer die Münchner Unternehmensberatung darunter versteht, von der sich die Landesregierung ihr Konzeptpapier hat entwickeln lassen.

Wie aber soll man eine vernünftige Probe für eine große Musiktheater-Premiere hinbekommen, wenn dafür Ballett, Orchester und Sänger jedes Mal herumreisen müssen? Und was passiert, wenn jemand etwas vergisst? Wenn sich kurz vor der „Barbier von Sevilla“-Vorstellung in Greifswald plötzlich herausstellt, dass zwar die Kostüme rechtzeitig aus den Zentralwerkstätten in Neustrelitz geliefert wurden, dass aber die für die Gewitterszene unerlässliche Windmaschine, oh weh!, noch in Neubrandenburg steht?

Damit Stadttheater funktioniert, müssen Künstler vor Ort sein

Damit das Prinzip Stadttheater funktioniert, müssen die Künstler vor Ort präsent sein. Damit ihnen die Zuschauer auch mal zufällig auf der Straße begegnen können oder beim Bäcker. Nur dann nämlich werden die Abonnenten sie wirklich als „ihre“ Sänger und Schauspieler anerkennen, deren Entwicklung sie über die Spielzeiten hinweg mitverfolgen wollen. Mit einer Wanderzirkustruppe wird es kaum gelingen, die Leute weg vom Fernseher hin zur Livekultur zu locken.

Nur 0,48 Prozent des Landeshaushalts von Mecklenburg-Vorpommern werden derzeit für die Förderung der Bühnenkunst ausgegeben, hat der Neustrelitzer Theaterförderverein ausgerechnet. Und die Summe soll laut Beschluss der SPD- CDU-Regierung bis 2020 auch nicht steigen. Was zwangsläufig zu einer jährlichen Personalreduzierung führt, damit die in allen Bereichen vom Strom bis zu den Kostümstoffen steigenden Kosten aufgefangen werden können. Es ist ein Theatertod auf Raten.

Bühnen sind ein ebenso schützenswertes Gut wie Schlösser

Mit viel Jubelrufen wurde gerade die weltweit einmalig vielfältige, aus der Kleinstaaterei erwachsene Theater- und Orchesterlandschaft in die Liste des deutschen immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen. Wenn dieser Schritt nicht nur leeren Symbolwert haben soll, müsste sich bei der Politik auch in Mecklenburg-Vorpommern die Erkenntnis durchsetzen, dass Bühnen ebenso ein schützenswertes Gut darstellen wie historische Bauten. Schlösser, Herrenhäuser und Gutshöfe werden auch im armen Norden Deutschlands liebevoll auf Staatskosten restauriert und hinterher von der öffentlichen Hand als Museen betrieben.

Dabei ermöglichen diese Gebäude lediglich den Blick in vergangene Zeiten. Theater dagegen, arbeiten sie nun in Berlin oder in Neustrelitz, widmen sich nicht nur der Klassiker-Pflege. Sie sind aber auch Treffpunkte, Zentren der Bürgergesellschaft, in denen die Frage bewegt wird, wie wir morgen leben wollen.

Natürlich ziehen die Bühnen weniger Touristen an als die Schlösser. Weil sie ihre Premieren ja vor allem für die Menschen vor Ort produzieren, machen sie auch nur selten in den überregionalen Zeitungen von sich reden. Aber sie tragen zur Lebensqualität der Städte bei. Ohne die Theater wären die meisten von ihnen nur noch Provinz.

Das Land darf seine Stadttheater nicht kaputtsparen

Darum sollte das Land Mecklenburg-Vorpommern seine Theater nicht kaputtsparen, sondern sie stolz als Teil des kulturellen Erbes hegen und pflegen. Am 22. Januar wollen die Neustrelitzer ihre Lokalpolitiker lautstark daran erinnern: Mit einer abendlichen Demonstration vor dem Rathaus, die genau zu der Stunde stattfindet, wenn sich dort die Stadtvertreterversammlung trifft. Neustrelitz hat übrigens kein Schloss mehr. Das fürstliche Domizil brannte 1945 aus, die Ruine wurden später von der DDR dem Erdboden gleichgemacht. Aber Neustrelitz hat einen Musentempel, einen eleganten Bau mit 400 Plätzen, Säulen vor der Tür und einem Schiller-Zitat im Giebel: „Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben. Bewahret sie – sie sinkt mit Euch, mit Euch wird sie sich heben.“

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