zum Hauptinhalt
Die Band The Chap auf der Bühne.

© Promo

The Chap live in Berlin: Global total

Großes Politrock-Theater: The Chap gaben in der Kantine am Berghain ein mitreißendes Konzert.

Von Jörg Wunder

Politischer Rock hat seinen Sinn. Aber er kann auch gewaltig nerven, nicht nur wegen der ihm tendenziell innewohnenden musikalischen Grobschlächtigkeit, sondern auch wegen überdeutlich formulierter Botschaften. Aber wer etwas bewegen will, muss sein Anliegen eben auf massenkompatible Slogans herunterbrechen können. Auch The Chap sind eine politische Band.

Zumindest behaupten sie das. Fast jeder Song bei ihrem Auftritt in der Kantine am Berghain wird mit „dies ist ein politisches Lied“ oder „this is a political rocksong“ angekündigt, je nachdem, ob Johannes von Weizsäcker, der deutsche Sänger und Gitarrist, oder Panos Ghikas, der griechische Sänger und Bassist dieser paneuropäischen Band, ans Mikro tritt. Zwischen ihnen thront Keith Duncan am Schlagzeug, das er, diverse Sticks zerprügelnd, so brachial bearbeitet wie Sylvester Stallone die Schweinehälften beim Boxtraining in „Rocky“. Und ganz links drückt Berit Immig Keyboardtasten und singt schräge Zweitstimmen-Harmonien.

Könnte also eine ganz normale politische Rockband sein. Genug Druck haben ihre Songs, deren Sound sich am Post- Punk der ausgehenden Siebziger und dessen späteren Mutationen in allerlei Lärm- Subgenres orientiert. Doch was ist hier eigentlich ernst gemeint? Nicht nur die Verweise darauf, was als Nächstes zu hören sein werde, zerstören die Illusion von Authentizität, auch die Performance selbst, denn die Band scheint dauernd ironische Kommentarebenen einzubauen. Etwa wenn sich die vier mit aufgerissenen Augen in übertriebene Posen werfen – während die Musik vom Band weiterläuft.

Hingabe und Schweiß bis hin zum finalen Feedbackorkan

Würde es nicht falsche Comedy-Assoziationen wecken, könnte man fast von einer Musikparodie sprechen. Eher ist es wohl so, als würden extrem gute Schauspieler die Performance einer Politrockband gleichzeitig auf die Spitze treiben und ins Lächerliche ziehen – und somit die Mechanismen dieser Musik offenlegen.

Gleichzeitig ist dies aber fantastischer, mitreißender Politpop, wie man ihn mindestens seit den besten Zeiten von Chumbawamba oder sogar Gang Of Four nicht mehr gehört hat: mit klugen, hintergründigen Texten, extrem energiegeladen und technisch brillant gespielt. Mit von Weizsäcker als Saitenirrwisch und manisch grinsendem (und dabei an David Byrne von den Talking Heads erinnernden) Parolenshouter, mit echter Hingabe, echtem Schweiß bis hin zum finalen Feedbackorkan – zu dem sie abermals zur Bandskulptur erstarren. Ganz toll: The Chap sind die European Globetrotter des Politrock.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false