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Don’t sweetheart me! Die Vagabundin Miss Shepherd, die 15 Jahre in der Einfahrt des britischen Autors Alan Bennett lebte: eine Paraderolle für Maggie Smith.

© dpa/Sony Pictures

The Lady in the Van im Kino: Wahre Geschichte über mysteriöse Londoner Lady

Maggie Smith ist „The Lady in the Van“ in der Verfilmung des gleichnamigen Stücks von Alan Bennett. Die merkwürdige Dame gab es wirklich in London.

Schon olfaktorisch war diese Frau eine Herausforderung. Nur zwei, drei Mal hat sie in all der Zeit das Bad von Alan Bennett benutzt – der dann stundenlang panisch putzte. Miss Shepherd, die mysteriöse, streng riechende Lady im Lieferwagen, sie war ein Phänomen, eine Legende. Der britische Schriftsteller und Dramatiker hat sie mehrfach gewürdigt, mit einem Artikel in der „London Review of Books“, später mit einem Hörspiel, einem Theaterstück und nun im Film: Bennett schrieb selber das Drehbuch zu dieser „ziemlich wahren Geschichte“, wie es im Vorspann heißt. Ja, es gab sie tatsächlich, die ältere Dame, die eines Tages mit ihrem klapprigen Van im Londoner Stadtteil Camden Town aufkreuzte und in der Gloucester Crescent vor ebenjenen Häusern logierte, in der die wohlhabenderen Altlinken lebten, Künstler, Theaterleute, Autoren, auch die Witwe des Komponisten Vaughan Williams (Frances de la Tour) – Leute wie Bennett eben.

Die skurrile Miss Shepherd gehörte dort zum Straßenbild. Gelegentlich löste sie wegen Lärmbelästigung (zu der in ihren Ohren vor allem der Blockflöten traktierende Nachwuchs der Bewohnerschaft beitrug) die Handbremse, verlagerte sie den Standort ihres zugemüllten Gefährts immer weiter straßenabwärts, bis sie vor Hausnummer 23 strandete, Bennetts Adresse. Als die Polizei ihr das Dauerparken dort jedoch untersagte, bot der Autor – hierzulande vor allem wegen seiner Queen-Novelle „Die souveräne Leserin“ bekannt – ihr seine Einfahrt an. Für ein paar Tage. Shepherd blieb 15 Jahre, bis zu ihrem Tod 1989.

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Miss Shepherd, das ist Maggie Smith, 1999 im gefeierten Bühnenstück und jetzt vor der Kamera: die eigentümlichste Pennerin seit Erfindung der Obdachlosigkeit. Sie steckt in diversen Schichten aus der Altkleidersammlung, wehrt die Welt mit unbestechlich-stechendem Blick ab, lächelt nie, bedankt sich nie, bleibt stur wie nichts Gutes und verblüfft mit erlesenem Vokabular sowie formvollendet ruppigen Manieren. „Ich bin eine kranke Frau, die dringend Assistenz benötigt“: So lernt Bennett sie kennen und wird gleich ersucht, den Wagen mit anzuschieben.

Die inzwischen 81-jährige Maggie Smith verleiht der tragikomischen Vagabundin – die in jungen Jahren eine vielversprechende Pianistin war und nach einem vermeintlich selbst verschuldeten tödlichen Unfall aus der Bahn geriet, wie die Rückblenden verraten – eine fabelhafte Noblesse. Nie gibt sie Miss Shepherd der Lächerlichkeit preis. Der britische „Telegraph“ feierte den Film als die „Maggiest of all Maggie Smith Performances“ ihrer späteren Jahre. Smith, Helen Mirren, Judi Dench – die Briten haben gleich drei dieser vor Aura und oft auch amüsanter Präsenz nur so vibrierenden Leinwanddiven. Beneidenswert.

Der Schriftsteller tritt in einer Doppelrolle auf: das Autoren-Ego, die scheue Privatperson

„The Lady in the Van“ ist Bennetts dritte Zusammenarbeit mit Regisseur Nicholas Hytner. Die beiden feierten mit „The Madness of King George“ (1994) und der Adaption des Broadwaystücks „The History Boys“ (2006) Kinoerfolge und gehen erneut auf Nummer sicher. Zum einen, indem sie jenen verschmitzten, durch den humorig eingesetzten Klassik-Soundtrack verstärkten Ton anschlagen, der Bennetts (auf Deutsch bei Wagenbach erschienenen) Erzählungen auch hierzulande zu Longsellern macht. Zum anderen, indem etliche Darsteller aus der Eliteschüler-Komödie von 2006 in der Gloucester Crescent in Nebenrollen auftauchen, dazu Alex Jennings als zweifacher Alan Bennett. Eine Doppelrolle als Dauer-Duell: hier das scheue Privat-Ich des Junggesellen, der irgendwann sein stilles Coming-out hat, dort das nach Schreibstoff gierende Schriftsteller-Ego – ein eigens für den Film installiertes Vexierbild, getreu Bennetts Autoren-Motto: „Wer schreibt, führt Selbstgespräche.“

Die echte Miss Shepherd war nicht nur skurril, sie verbreitete ultrarechte Parolen

Bei so viel comic relief hätten Bennett und Hytner getrost ein bisschen mehr riskieren können. Die wahre Miss Shepherd hielt sich für die bessere Eiserne Lady, gründete ihre eigene Partei, verbreitete ultrarechte Parolen und machte sich Sorgen, dass sie, wenn sie Thatcher erst mal abgelöst habe, von der Downing Street aus regieren müsse und nicht mehr aus ihrem Van. Als Stephen Frears von der Verfilmung hörte, soll er gesagt haben, das sei etwa so, als drehe man ein Biopic über Goebbels. Miss Shepherd im Film veranstaltet hingegen nur harmlosen patriotischen Firlefanz.

Und doch möchte man ihre respektgebietende Replik „Don’t sweetheart me!“, mit der sie einen fröhlichen Gemüseverkäufer in die Schranken weist, auf der Stelle in den eigenen Wortschatz übernehmen. Stimmt schon, gute Laune wird überschätzt.

In 7 Berliner Kinos. OV im Cinestar Sony-Center.

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