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Völkermord-Mahnmal im armenischen Eriwan.

© dpa

Völkermord an den Armeniern: Krankhafter Hass

Rolf Hosfeld und Jürgen Gottschlich widmen sich in ihren neuen Büchern dem Völkermord der Türken an den Armeniern 1915. Eine Rezension

Als die jungtürkische Opposition im ausgehenden 19. Jahrhundert antrat, dass marode Osmanische Reich zu reformieren, war sie tief gespalten: Während ein Flügel für die Einführung der Verfassung und die Kooperation mit den Minderheiten warb, forderte der andere Flügel einen türkisch geprägten homogenen Staat. Dass schließlich die radikalen Nationalisten die Richtung vorgaben, war wesentlich auf die extrem grausamen Balkankriege 1912/13 zurückzuführen. Hunderttausende muslimische Flüchtlinge strömten damals in Richtung Istanbul, wodurch die türkische Politik in dramatischer Weise nationalistisch aufgeheizt wurde, schreibt der Potsdamer Kulturhistoriker Rolf Hosfeld in seinem Buch „Tod in der Wüste“. Die ethnischen Säuberungen während der Balkankriege seien für Innenminister Talat Pascha, der während des Ersten Weltkriegs gemeinsam mit Enver Pascha und Cemal Pascha ein Triumvirat bildete, das Muster für die „tödlichen bevölkerungspolitischen Planspiele“ gewesen, die in einen Genozid an über einer Million Armeniern mündeten, wie Hosfeld ausführt.

Tod in der mesopotamischen Wüste

Nach der Schlacht von Sarikamis im Januar 1915, in der die völlig unzureichend ausgerüstete III. Armee Enver Paschas gegen die Russen eine vernichtende Niederlage erlitt, begann alsbald die Suche nach Sündenböcken. Angeblich war die armenische Bevölkerung in den Grenzgebieten den osmanischen Truppen in den Rücken gefallen. Dass zu Kriegsbeginn noch 200 000 Armenier im osmanischen Heer gedient hatten, zeigt, wie absurd diese Behauptung war.

Unmittelbar vor der Landung der Alliierten auf Gallipoli ordnete Talat Pascha am 24. April 1915, vor hundert Jahren, die Verhaftung von führenden Vertretern der armenischen Gemeinde in Istanbul an. Das Ereignis gilt als Fanal für den ersten Genozid des vergangenen Jahrhunderts. Unter dem Vorwand militärischer Erfordernisse wurde wenig später die Deportation der Armenier aus Ostanatolien in die Wege geleitet. Inzwischen hatte man die Männer bereits entwaffnet und in Arbeitsbataillone ausgesondert, manchmal auch sofort getötet. Erbarmungslos wurden die verbliebenen Armenier in Richtung mesopotamische Wüste getrieben, Hunger, Epidemien und Vergewaltigungen ausgeliefert. Häufig kam es zu Massakern: Allein in den „Killing Fields“ der Kemah-Schlucht wurden zwischen 10. und 14. Juni 1915 mindestens 20 000 Menschen buchstäblich abgeschlachtet. Wie zahlreiche andere Massaker ging es auf das Konto der Teskilat-i Mahsusa, die von Bahaddin Schakir geführt wurde, einem Arzt, dem Zeitgenossen einen fast krankhaften Armenierhass attestierten. Ursprünglich für den Einsatz hinter den russischen Linien geschaffen, mutierte die „Sonderorganisation“, die sich aus ehemaligen Straffälligen, Tscherkessen und Kurden rekrutierte, zu einer Todesschwadron. Vor allem Kurden taten sich durch Grausamkeit gegen die Armenier hervor. Schon Sultan Abdulhamid II. hatte kurdische Stämme, die sogenannten Hamidiye-Regimenter, gegen Armenier eingesetzt. Zwar schürte das an sich irreligiöse Triumvirat gezielt antichristliche Ressentiments in der muslimischen Bevölkerung, doch entsprangen Vertreibung und Vernichtung vorrangig dem modernistischen Ideal der ethnisch-religiösen Homogenisierung, das im Schatten der Kriegshandlungen kaltblütig umgesetzt wurde.

„Das ist hart, aber nützlich“

Inwieweit war der große deutsche „Waffenbruder“ in die Verbrechen verstrickt? Hosfeld beleuchtet diese Frage kaum. Daher ist das Buch „Beihilfe zum Völkermord“ von Jürgen Gottschlich, dem langjährigen Istanbul-Korrespondenten der „taz“, eine wichtige Ergänzung. Der Journalist legt dar, dass deutsche Offiziere wie Generalstabschef Friedrich Bronsart von Schellendorf, der als rechte Hand von Enver Pascha galt, sogar an den Deportationsplänen mitwirkten. Dabei nimmt der Autor an, die deutsche Seite habe zunächst geglaubt, die armenische Zivilbevölkerung solle aus den umkämpften Gebieten umgesiedelt werden.

Bald schon aber mehrten sich Berichte über Gräueltaten. Am 10. Juni 1915 schickte der entsetzte Konsul Walter Holstein ein Telegramm an den Botschafter Wangenheim in Konstantinopel, worin er schrieb, dass die Armenier aus Diyarbakir, hunderte Kilometer von der russische Front entfernt, angeblich nach Mossul umgesiedelt werden sollten, stattdessen aber als verstümmelte Leichen den Tigris hinuntergeschwommen kamen. Marineattaché Hans Humann, der Sohn des Archäologen Carl Humann, der den Pergamon-Altar entdeckte, merkte handschriftlich auf dem Telegramm an: „Die Armenier werden – aus Anlaß ihrer Verschwörung mit den Russen! – jetzt mehr oder weniger ausgerottet. Das ist hart, aber nützlich.“

Zu den wenigen Deutschen, die sich für die Armenier engagierten, gehörte Paul Graf Wolff-Metternich, seit dem Tod Wangenheims im Oktober 1915 Botschafter in Konstantinopel. Anders als sein Vorgänger drängte er Berlin, angesichts des andauernden Mordens, der türkischen Regierung mit Sanktionen zu drohen. Doch Reichskanzler Bethmann Hollweg wies den Antrag brüsk ab „Unser einziges Ziel ist es, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber die Armenier zugrunde gehen oder nicht. Bei länger andauerndem Kriege werden wir die Türken noch sehr brauchen.“

Rolf Hosfeld: Tod in der Wüste. Der Völkermord an den Armeniern. C.H. Beck, München 2015. 288 Seiten, 24,95 Euro.
Rolf Hosfeld: Tod in der Wüste. Der Völkermord an den Armeniern. C.H. Beck, München 2015. 288 Seiten, 24,95 Euro.

© C.H.Beck

Aufschlussreich sind Gottschlichs Passagen über eigene Recherchen in türkischen Archiven. Seit Jahren wird darüber diskutiert, ob und wenn ja wie diese für die Erforschung des Genozids genutzt werden können. Tatsächlich sei das Osmanische Archiv in Istanbul allgemein zugänglich, doch seien längst nicht alle Dokumente katalogisiert. Zudem gebe es für die „armenische Frage“ keine eigene Abteilung, das heißt die relevanten Akten sind zerstreut. Dazu komme die sprachliche Hürde – die Dokumente der Kriegszeit sind in Osmanisch verfasst, der in arabischer Schrift geschriebenen alttürkischen Sprache, die etliche persische und arabische Lehnworte enthält.

Lange wurde die Vernichtung der Armenier in der Türkei tabuisiert. Doch seit zehn Jahren wird, zumindest unter Intellektuellen, offen über das Thema geredet, registriert Gottschlich am Ende seines lesenswerten Buches. Dass der damalige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im April 2014 in einer viel beachteten Rede den Nachfahren der Ermordeten sein Beileid bekundete, wäre vor einigen Jahren undenkbar gewesen. Allerdings ging Erdogan in der Rede, die im Anhang abgedruckt ist, nicht nur einen Schritt auf die Armenier zu, sondern zugleich wieder einen halben Schritt zurück, indem er das Schicksal der Armenier mit den osmanische Kriegsopfern vermengt und sich gegen eine „Hierarchie des Leids“ verwahrt. Auch als der Papst am vergangenen Sonntag die Verfolgung der Armenier in einer Gedenkmesse im Petersdom als „ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“ bezeichnete, rief er damit den Protest der türkischen Regierung und Öffentlichkeit hervor.

Jürgen Gottschlich: Beihilfe zum Völkermord. Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier. Ch. Links Verlag, Berlin 2015. 344 Seiten, 19,90 Euro.
Jürgen Gottschlich: Beihilfe zum Völkermord. Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier. Ch. Links Verlag, Berlin 2015. 344 Seiten, 19,90 Euro.

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Dagegen zeigte sich das osmanische Kriegsgericht nach Kriegsende konsequent: Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden Talat Pascha, der Hauptinitiator des Völkermordes, Enver Pascha und Bahaddin Schakir in absentia zum Tode verurteilt. Zwar konnten sie sich auf ihre bewährten deutsche Verbindungen verlassen und nach Berlin entkommen, doch wurden Talat und Schakir hier später von Armeniern aufgespürt und auf offener Straße erschossen.

Die Überreste von Bahaddin Schakir befinden sich übrigens auf dem alten türkischen Friedhof am Columbiadamm in Berlin. Während die umliegenden Gräber weitgehend verwittert sind, fällt Schakirs sorgfältig gepflegte Grabstelle gleich ins Auge. Auf dem strahlend weißen, mit geschmackvollen dunkelgrünen Einfassungen versehenen Stein, steht in Goldgravur geschrieben: „Dr. Bahaddin Sakir/Mitglied des Komitees für/Einheit und Fortschritt/geb. 1874 in Istanbul/ermordet am 17. April 1922 durch armenische Terroristen.“

- Rolf Hosfeld: Tod in der Wüste. Der Völkermord an den Armeniern. C.H. Beck, München 2015. 288 Seiten, 24,95 Euro.

- Jürgen Gottschlich: Beihilfe zum Völkermord. Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier. Ch. Links Verlag, Berlin 2015. 344 Seiten, 19,90 Euro.

Boris Peter

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