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Wettbewerbsfilm "Tabu": Wie die große Liebe so spielt

Verfremdungseffekte, Schwarzweiß-Bilder, Voice-Over-Raunen: "Tabu" des portugisischen Regisseurs Miguel Gomes ist ein seltsamer Film, der ausdrücklich seltsam sein will.

Es ist, als blätterte man in einem sorgfältig geführten, uralten Album mit SchwarzWeißfotos. Nur die Jahreszahlen hat die Besitzerin, nennen wir sie Aurora, weggelassen, als sei alles fern vergangen, auch die Gegenwart. Zunächst die Fotos von ein paar Tagen rund um Neujahr im ziemlich heutigen Lissabon, und die Figuren stehen in den bewegten Bildern wie festgehalten für die Ewigkeit. Dann die Erinnerung an ein paar Monate aus Auroras Jugend irgendwo in Afrika, das müsste in den späten Fünfzigern oder den frühen Sechzigern gewesen sein. Erst gibt es Dialoge, schön wie Bildunterschriften in Sütterlin, nachher sprechen die Figuren gar nicht mehr. Nur eine Männerstimme erläutert das Gezeigte, oder Musik raschelt dazwischen wie Seidenpapier.

„Tabu“ ist ein seltsamer Film, der ausdrücklich seltsam sein will. Einer, der neugierig macht und zugleich Distanz hält, auch wenn er von den ganz großen Themen erzählt, Alter und Jugend, Liebe und Tod – und, wie sollte es anders sein, Liebe über den Tod hinaus. Das fängt mit dem Titel an: keine Südseewelten wie in F. W. Murnaus letztem, gleichnamigem Film von 1931, sondern die afrikanische Savanne mit einem „Mount Tabu“, den man bestimmt nicht auf Google-Maps findet. Ja, eine verbotene Liebe gibt es zwar, aber das Stammesgesetz, das diesmal verletzt wird, ist die bürgerliche Kolonialherren-Ehe. Und, anders als bei Murnau, gibt es erst „Das verlorene Paradies“ in Lissabon, dann „Das Paradies“. Aber war es denn das Paradies, damals? War es nicht ebenso von saudade überschattet wie die seltsame Gegenwart?

Aurora (Laura Soveral) also, die verrückte Alte, Aurora und ihre treue Dienerin Santa (Isabel Cardoso) und die auch nicht mehr junge Nachbarin Pilar (Teresa Madruga), eine gute Seele für alle Welt. Drei einsame Frauen – und als es für Aurora ans Sterben geht, soll ein gewisser Ventura kommen, und wie Pilar herausfindet, lebt Ventura am anderen Ende der Stadt im Altersheim. Fast feierlich langsam werden die Figuren zusammengeführt – und weil Ventura zu spät eintrifft zum allerspätesten Wiedersehen, erzählt er eben Pilar oder uns oder vielleicht auch sich selbst die ganze alte Geschichte.

Es sind die Bilder jener räumlichen und zeitlichen Ferne, die sich besonders einprägen: die Bilder vom kurzen Glück des jungen Ventura (Carloto Cotta) mit der jungen Aurora (Ana Moreira), die schwanger ist von ihrem Ehemann. Ja, den zugereisten Musiker-Dandy beginnt sie abgöttisch zu lieben – und, wie die große Liebe so spielt, entsagt sogar Ventura für immer jeglichem Donjuanismus.

Fast zu süß, diese Geschichte, oder? Also bestückt der portugiesische Regisseur Miguel Gomes sie mit allerlei Verfremdungselementen. Hier das unablässige Voice-Over-Raunen, dort die von der Tonspur getilgten menschengemachten Geräusche der Akteure, ihr Atemholen, ihr Sprechen, ihr Seufzen. Ein Stummfilm ist „Tabu“ in seiner zweiten Hälfte und zugleich keiner, ein Film, der mit seiner Geschichte wie mit der Geschichte des Kinos spielt – womit er an den aktuellen Oscar-Favoriten „The Artist“ von Michel Hazanavicius erinnert. Nur ist in „Tabu“ alles unrettbar melancholisch, auch und gerade die Liebe.

Fast nicht von dieser Welt, dieser Film, so fern wie die Stimmen der Liebenden, die sich Abschiedsbriefe vorlesen; ein Film abseits der großen Bilderparty namens Berlinale, ein Film so fein wie Seidenpapier. Besser nicht hinsehen, wenn Wind aufkommt. Jan Schulz-Ojala

15.2., 12 Uhr (Friedrichstadtpalast) und 18.30 Uhr (Haus der Berliner Festspiele), 16.2., 22.45 Uhr (Friedrichstadtpalast), 19.2., 10 Uhr (Berlinale-Palast)

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