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Der Berliner Trompeter und X-Jazz-Organisator Sebastian Studnitzky.

© Kay Strasser

X-Jazz-Festival: Angriff der Kellerkinder

Jazz ist in Berlin neuerdings wieder hip. Von Mittwoch bis Sonntag präsentiert das X-Jazz-Festival zum zweiten Mal die Vielfalt der Szene. Gastland ist Israel

Jazz, diese ihrem Wesen nach so lebendige Musik, hat in Berlin in den letzten Jahrzehnten gelitten – unter den Strukturen, in deren Rahmen sie aufgeführt wurde, und unter einer Klientel, die vor allem Bekanntes bewahrt sehen möchte. Live erlebte man ihn in gediegenen Clubs, die ihre besten Zeiten vor mehr als 40 Jahren hatten, oder einmal im Jahr, im ungemütlichen November, beim Jazzfest, wo sich seit gefühlten Ewigkeiten die immer gleichen Menschen zur stimmungsvollen Weihefeier einfinden. So kam es, dass nicht wenige Musiker und Veranstalter den Jazz gar nicht mehr erwähnen mochten, aus Angst, ein neues, dringend benötigtes Publikum zu verschrecken.

„Ich komme aus einer Zeit“, sagt der 1972 geborene Trompeter, Pianist, Komponist und Arrangeur Sebastian Studnitzky, der in diesem Jahr den Jazz Echo als bester Blechbläser erhalten wird, „als der Begriff Jazz regelrecht verbrannt war“. Wenn er das sagt, hört man den schwäbischen Dialekt seiner früheren Heimat und die Begeisterung über das, was in Berlin seit einigen Jahren in Sachen Jazz passiert. Wie unzählige andere Musikerinnen und Musiker hat es ihn in die Hauptstadt gezogen. Hier lässt es sich immer noch recht günstig leben, vor allem aber ist hier eine Szene entstanden, wie es sie sonst in Deutschland nicht gibt und wie sie sonst vielleicht noch in Paris oder London existiert. Eine Szene, die das Festival X-Jazz möglich machte, das bei seiner Premiere im vergangenen Jahr aus dem Stand zehntausend Besucherinnen und Besucher anzog und das „eine Menge Staub aufwirbelte“. Sagt Studnitzky, der zusammen mit Florian Burger, Jean-Paul Mendelsohn, Ulla Binder und Daniel W. Best für das Programm verantwortlich zeichnet. Vor allem sorgte es für eine frische Brise, wenn nicht gar für einen mittelkräftigen Sturm.

X-Jazz sucht Verbindungslinien zur elektronischen Musik

Denn bei X-Jazz ist alles anders: die Jahreszeit, die Locations, das Publikum, die Stimmung, das jugendliche Alter der Menschen auf und vor der Bühne. Und, in weiten Teilen, auch die Musik. „Wir wollten ein Festival machen, das den Begriff Jazz sehr weit fasst“, sagt Studnitzky. „Insbesondere war uns der Crossover-Bereich von Jazz und der in Berlin enorm bedeutenden elektronischen Musik sehr wichtig.“ Das führte dann etwa dazu, dass ein Jazz-Veteran wie der Vibrafonist David Friedman neben dem Produzenten und DJ Henrik Schwarz auf dem Plakat stand. In diesem Jahr sind die DJ-Legende Louie Vega und Altmeister wie Trompeter Ack Van Rooyen dabei. Auch Meisterschlagzeuger Günter Baby Sommer wird mit einem DJ bei der zweiten Ausgabe des X-Jazz-Festivals auftreten, das an diesem Mittwoch mit Aufwärm-Events im Prince Charles und Watergate beginnt und bis Sonntag weitere Kreuzberger Clubs bespielen wird.

Die Organisatoren hatten bereits ein paar Jahre lang darüber nachgedacht, wie man die neue und spürbare Begeisterung für Jazz in Berlin sinnvoll und erfolgreich zusammenfassen könnte. Studnitzky, der im Februar sein Album „Memento“ veröffentlichte, ein Werk, auf dem er sich von einem Streichquartett begleiten lässt, berichtet begeistert von dem, was in den vergangenen Jahren vornehmlich in Nord-Neukölln, Friedrichshain und Kreuzberg entstanden ist. Im Rest der Republik hadere man noch immer mit dem Genrebegriff, der in Berlin hingegen ganz positiv besetzt sei. Inzwischen gibt es 20, 30 Clubs auf wenigen Quadratkilometern, in denen regelmäßig Jazz gespielt wird. Keine feinen Läden, sondern, so Studnitzky, Kellerlöcher, in denen sonst DJs auflegen. Dienstag findet dann eben mal eine Bebop-Jam-Session mit hochklassigen Akteuren statt und in jedem zweiten Café läuft Jazz als Hintergrundbeschallung. Der Easy-Jet-Set, der am Donnerstag in Berlin einschwebt, wolle unterhalten werden und suche längst auch nach dieser neuen Musik namens Jazz.

Dass Jazzfest hat die jüngsten Entwicklungen verschlafen

Warum Jazz im Jahre 2015 – zumindest in der deutschen Hauptstadt – so ungemein hip ist, lässt sich nicht so leicht erklären. „Es gab ja schon mal eine Zeit, als diese Musik so hip war und von jungen Typen gespielt wurde“, sagt Sebastian Studnitzky. „Tony Williams war 17, als er bei Miles Davis anfing. Herbie Hancock Mitte 20, als er erfolgreich war.“ Zudem gebe es neben der Begeisterung der Massen für den Schlagerpop einer Helene Fischer eben auch ein großes Publikum, dem es gar nicht extrem genug sein könne, „die total auf Kante stehen“, Leute, die sich für Sun Ra oder krasse finnische Gitarrentrios begeistern.

Diese Entwicklung hat das altehrwürdige Jazzfest gründlich verschlafen. Wobei Studnitzky X-Jazz absolut nicht als Gegenveranstaltung zum Jazz-Dinosaurier verstanden wissen will. Durch den großen Erfolg im vergangenen Jahr sei man schnell, aber ungewollt zu einem politischen Akteur geworden. Es gehe auch nicht darum, einen Schnitt zu machen und zu sagen, das Alte sei schlecht und das Junge gut. Beides habe seine Berechtigung. Und es sei natürlich sehr gut, Institutionen zu haben, die über die finanzielle Kraft verfügten, einen Wayne Shorter bezahlen zu können. X-Jazz kann das nicht. Ohnehin ist jede Menge Engagement und Eigeninitiative der Musiker gefragt. Der Großteil der Gagen wird von den Eintrittsgeldern im jeweiligen Club bezahlt. Dieses „On the Door“-Spielen hat unter anderem für den oben erwähnten Staub und für Unmut bei offiziellen Jazz-Institutionen gesorgt, die seit Jahren für eine bessere ökonomische Absicherung von Jazz-Musikern in Deutschland kämpfen.

Junge Bands wie das Trio Shalosh organisieren alles selbst

Viele der jungen Musiker nehmen die Dinge lieber selbst in die Hand. Beispielhaft dafür steht das Trio Shalosh. Aus dem diesjährigen X-Jazz-Partnerland Israel kommend, hat die Band gerade eine selbst organisierte Tournee durch Europa hinter sich gebracht. Pianist Gadi Stern erzählt, wie man im gemieteten Kleintransporter jede Bühne ansteuerte, auf der sich spielen ließ, ganz egal in welch miserablem Zustand das Klavier dort sein mochte. Nach dem Konzert wurde gefeiert, übernachtet nicht selten auf dem Sofa des örtlichen Veranstalters. Ihr Album „The Bell Garden“ finanzierten Shalosh per Crowdfunding. Geschichten wie man sie sonst eher von Indie-Rock-Bands kennt. Daran sieht man, welche Kraft Jazz noch immer freizusetzen vermag.

Sebastian Studnitzky betont, dass es den X-Jazz-Machern darum gehe, für Berlin ein Festival zu veranstalten, das auch international von Relevanz ist. Dass das funktioniert, liegt auch daran, das achtzig Prozent der Musikerinnen und Musiker der aktuellen Festivalausgabe hier leben. „Wir können ein internationales Festival programmieren, bei dem die Musiker mit dem Fahrrad zum Gig kommen“, sagt Studnitzky lachend. Und bei dem die Großeltern zusammen mit den Enkeln bei Rotwein und Club Mate großartige Musik erleben können, mag man hinzufügen.

X-Jazz findet vom 7. bis 10. Mai in diversen Kreuzberger Clubs statt. Infos unter: http://ber.xjazz.net/

Andreas Müller

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