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Internet-Firmen.

© dpa

Andrew Keen: Warum das Internet (bisher) ein Desaster ist

Andrew Keen ist selbst im Silicon Valley aktiv, was ihn nicht von Kritik abhält. In Berlin redet er über die Internet-Wirtschaft, wie sie unsere Gesellschaft gefährlich verändert und was deshalb getan werden sollte.

Andrew Keen sieht sich nicht als Apokalyptiker, für den Zukunft und Veränderung per se etwas Schlechtes bedeuten. Als Moderator Ali Aslan ihn am Mittwochabend im "Base-Camp" in Berlin als den "Anti-Christen" des Silicon Valley einführt, will Keen das zurechtrücken. Spätestens seit der Veröffentlichung seines dritten Buches "The Internet is not the answer" 2014 sieht sich der Brite eher in einer Linie mit Internet-Pionieren wie Jaron Lanier oder Ethan Zuckerman, denen niemand Technik-Feindlichkeit vorwirft, die aber selbst inzwischen sehr kritisch auf die digitale Entwicklung blicken.

Keen (in den 90ern versuchte er sich selbst erfolglos mit einem Start-Up), wirft Internet-Giganten wie Google, Facebook oder Amazon vor, eine Welt vorzugauckeln, die es nicht gibt. Dass das Internet die Gesellschaften demokratischer und gleicher mache, sei eine Lüge, sagt Keen. In Wahrheit fördere die Netz-Wirtschaft Monopole und mache einige wenige obszön reich, während die Mittelschicht in der Gesellschaft verschwinde und die große Mehrheit ohne Arbeit oder in wenigen verbliebenen Dienstleistungsjobs zurücklasse.

Peter Rampling aus der Geschäftsführung des Mobilfunkanbieters "Base" ist da ein interessanter Sekundant auf dem Podium. Auch sein Unternehmen will, dass Kunden möglichst viele Daten abrufen. Doch seine Firma basiert auf einem anderen Geschäftsmodell als Google oder Facebook, die scheinbar erst einmal kostenlos sind, tatsächlich aber als Währung Unmengen Daten über ihre Nutzer er- und behalten. Der Mobilfunkanbieter wiederum nimmt erst einmal Geld von seinem Kunden, dann erhält dieser eine vorher vereinbarte Leistung. Was für die Firma neben gesetzlichen Regelungen auch eine Reihe von Verpflichtungen mit sich bringt.

Solche Pflichten für alle, mehr Regulierung, weniger Wildwuchs, das wünschen sich deshalb Rampling sowie Keen, letzterer auch wegen der Folgen für die Gesellschaft insgesamt. Für sein Argument, wie die Netz-Ökonomie Arbeitsplätze vernichtet, hat er sich die Firma Kodak ausgesucht - ein plastisches, nicht ganz unproblematisches Beispiel. Der Film- und Fotomaterialhersteller Kodak hatte 1989 rund 145.000 Angestellte. Im Jahr 2012 war das Unternehmen bankrott - was unter anderem für 55.000 Kodak-Pensionäre zum existenziellen Problem wurde. Mehr oder weniger ersetzt hat Kodak, so Keen, der virtuelle Fotoservice Instagram, der 2012 von Facebook für eine Milliarde Dollar gekauft wurde. Zum Zeitpunkt des Verkaufs arbeiteten laut Keen 15 Techniker für Instagram.

Ein Einwand, der dann oft - und auch am Mittwochabend - gemacht wird: Technischer Fortschritt kann eben dazu führen, dass einst erfolgreiche Unternehmen wieder verschwinden. Seinerzeit war auch Kodak Monopolist. Keen ist darauf vorbereitet: Sicher, sagt er, für keine Firma gibt es ein Recht auf eine dauerhafte Existenz. Das Problem sei, dass die bisherige Annahme, neue wirtschaftliche und technologische Entwicklungen brächten auch automatisch neue Arbeitsplätze, nicht mehr mit der Realität übereinstimmen würden.

"Wir müssen die Technologie kontrollieren, nicht umgekehrt"

Dann kommt Keen vom Ökonomen Joseph Schumpeter direkt zu Karl Marx und vergleicht die Digitalisierung mit der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts. Diese habe in ihren Anfängen ebenfalls extremste Auswüchse mit sich gebracht wie Kinderarbeit, große gesellschaftliche Ungleichheit, massive Umweltverschmutzung, und es habe zwei Generationen gedauert und "schwere politische Auseinandersetzungen" gebraucht, um etwas daran zu ändern - durch entsprechende staatliche Regulierungen. Gleiches fordert er jetzt für das Netz und die wenigen Akteure, die dort gerade extrem reich würden, ohne ausreichender Kontrolle unterworfen zu sein.

Peter Rampling räumt ein, dass er selbst vor zwanzig Jahren noch nicht nach mehr Markt-Regulierung gerufen hätte. Jetzt hält er sie für notwendig, unter anderem um Innovationen eine Chance zu geben. Andrew Keen nimmt den "Antitrust-Lawsuit" gegen Microsoft als Vorbild. Damit ging die US-Regierung in den 90er Jahren gegen das Monopol des Software-Riesen vor, der dieses auf immer mehr Bereiche ausdehnte. Danach, so sein Argument, habe es eine deutlichen Anstieg an Innovationen im digitalen Bereich gegeben. Andererseits mache es der immense Vorsprung in Technik und Erfahrung, den die etablierten Unternehmen wie Google oder Facebook inzwischen haben, schwierig, echte Konkurrenten in Stellung zu bringen.

Allerdings will Keen zuerst einmal aufrütteln. Er fordert seine Zuhörer auf, "endlich darüber nachdenken, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen". Was es heißt, wenn wir bei Amazon ein Buch bestellen oder lieber Uber nutzen als mit einem klassischen Taxi zu fahren. Denn seine Maxime ist nicht, dass das Internet "böse" ist, sondern, "dass letztlich wir die Technologie kontrollieren und nicht umgekehrt. Sonst können wir ja alle gleich einpacken."

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