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Margrit Herbst wollte sich an der Vertuschung von BSE-Vorfällen nicht beteiligen

© NDR/Sebastian Bellwinkel

ARD-Doku: Die Einsamkeit der Whistleblower

Eine ARD-"story" zeigt, dass Whistleblower für ihr Tun keinen Dank ernten, sondern ihre Jobs verlieren, gemobbt oder verurteilt werden

Was wäre die Welt ohne Störenfriede? Ohne Polizisten wie Swen Ennulat, der sich nicht damit abfinden wollte, dass seine Vorgesetzten die Ermittlungen gegen rechte Gewalttaten ausbremsten – wie vor zehn Jahren in Sachsen-Anhalt geschehen? Ohne Angestellte wie Antoine Deltour, der die Beteiligung der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) an der immensen Steuervermeidung von Konzernen öffentlich machte? Deltour brachte vor zwei Jahren den LuxLeaks-Skandal ins Rollen. Whistleblower helfen, Missstände ans Tageslicht zu befördern – was meist die Voraussetzung dafür ist, um sie zu beseitigen. Die Folgen für sie selbst sind oft weniger erfreulich.

Wie im Fall von Tierärztin Margrit Herbst, die nach ihrer Kündigung durch den Kreis Segeberg keine Arbeit mehr finden konnte. Im Alter von 54 Jahren wurde sie 1994 entlassen, weil sie in den Medien von BSE-Verdachtsfällen berichtet hatte. Zuvor hatte sie jahrelang versucht, den Verdacht intern klären zu lassen. Doch weitere Untersuchungen zur Ausbreitung der Rinderseuche seien abgeblockt worden. Und nach ihrer Beschwerde habe ihr der Landrat nahe gelegt, Wohlverhalten zu zeigen oder zu kündigen, heißt es in der „story“-Dokumentation „Whistleblower – Die Einsamkeit der Mutigen“. Autor Sebastian Bellwinkel rückt die Altersarmut der 76-jährigen Rentnerin etwas aufdringlich in den Vordergrund, aber Margrit Herbsts Geschichte ist tatsächlich ein bitteres Lehrstück. Noch 20 Jahre später verordnet der Kreistag dem damals verantwortlichen Landrat einen Maulkorb fürs Interview mit dem NDR. Der SPD-Abgeordnete Peter Säker bedauert, dass er über die Gründe nicht sprechen dürfe, weil die Entscheidung in nicht-öffentlicher Sitzung getroffen worden sei. Worüber er aber sprechen kann, ist über Margrit Herbst – und zwar abfällig: Er selbst habe sich letztlich immer gegen Vorgesetzte durchgesetzt. „Man muss nun mal standhaft sein“, sagt Säker über Herbst.

Jobs verloren, gemobbt, verurteilt

Die Tierärztin hat ihre Prozesse vor den Arbeitsgerichten verloren, die Kündigung war also rechtens. Ennulat („Man gehört über Nacht nicht mehr dazu“) wurde versetzt und aus der Polizei gemobbt, Deltour wurde im Juni von einem Luxemburger Gericht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der Film beschränkt sich in der politischen Debatte aber auf die deutsche Perspektive. Seit Jahren versuchen Politikerinnen und Politiker verschiedener Fraktionen, einen verbesserten Informantenschutz gesetzlich zu verankern. Auch der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD enthält einen Prüfauftrag. Bellwinkel zitiert ehemalige Arbeitsrichter, lässt Vertreter des Whistleblower-Netzwerks zu Wort kommen und befragt die Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele (Grüne) und Waltraud Wolff (SPD). Von der Gegenseite äußert sich Roland Wolf vom Arbeitgeberverband, Interview-Absagen hagelte es dagegen von Unions-Politikern. Auch Peter Bleser, derzeit Parlamentarischer Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, wollte nicht erläutern, warum er mal von „Denunziantenschutz“ gesprochen hat.

Der Film konzentriert sich auf Versäumnisse der Union

Bellwinkels Film springt zwischen den drei Fällen Herbst, Deltour und Ennulat hin und her, was leider ein rechtes Durcheinander anrichtet. Noch seltsamer ist allerdings, wieso der Autor auf der bundespolitischen Ebene allein CDU und CSU ins Visier nimmt. „Den Menschen nicht helfen zu können, über mehrere Legislaturperioden hinweg, das ist schon eine große Niederlage“, sagt die Sozialdemokratin Wolff. Den letzten Versuch hatten die Grünen im Juni 2015 gestartet. Deren Gesetzentwurf wurde aber nicht nur von der Unionsfraktion abgelehnt, wie im Film korrekt berichtet wird, sondern auch von der SPD. Außerdem: Dass die laut Koalitionsvertrag vorgesehene Prüfung bisher nicht in Angriff genommen wurde, schiebt Wolff allein dem Koalitionspartner zu. Die Union wolle im Informantenschutz nicht tätig werden. „Still ruht der See“, sagt sie. Auf die Flaute bei der SPD wird allerdings niemand angesprochen. Auch nicht die sozialdemokratischen Minister Heiko Maas (Justiz) und Andrea Nahles (Arbeit und Soziales), die bei diesem Thema ein  Wörtchen mitzureden hätten. Wenn sie denn wollten.

„Whistleblower – Die Einsamkeit der Mutigen“, ARD, Montag , 22 Uhr 45

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