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ARD-Dokumentation: Akkord hinter Gittern

Die Doku „Westware aus dem Ostknast“ zeigt, was die DDR alles für Devisen unternommen hat.

Für den ganz normalen KaDeWe-Kunden zu Mitte der 80er Jahre hatte die Vorstellung nichts Abwegiges an sich, dass im West-Berliner Nobelkaufhaus auch Produkte aus der VEB-Produktion verkauft wurden. „Die Regierung treibt Handel mit der DDR, da kann ich mich nicht ausschließen“, sagt ein gut gekleideter Mann in das Mikrofon einer TV-Reporterin. Tatsächlich glaubten viele Menschen im Westen damals zu wissen, dass so manche Ware aus der Ost-Produktion stammte, auch wenn darüber beiderseits der gesamtdeutschen Grenze von offizieller Seite nicht gerne geredet wurde. Doch dass viele der Produkte nur deshalb so preiswert produziert werden konnten, weil der sozialistische Staat seine Gefängnisinsassen ausbeutete, wurde verschwiegen – trotz der erschreckenden Größenordnung: Im Jahr 1987 gab es in der DDR fast 20 000 „Häftlinge in Arbeit“, fand Filmautorin Anne Worst für die Dokumentation „Westware aus dem Ostknast“, die am Montagabend in der ARD zu sehen ist, heraus.

„Klippan“-Couchgarnituren von Ikea, Damenstrümpfe der Marke „Esder“, Elektrokleingeräte für den Quelle-Katalog, selbst Stahlröhren wurden zu Dumpingpreisen für den Westen produziert. 6000 Firmen waren an diesem innerdeutschen Handel beteiligt, erinnert sich ein ehemals leitender Mitarbeiter der Treuhandstelle Interzonenhandel. Mit der späteren Treuhandanstalt von Birgit Breuel hatte diese Einrichtung noch nichts zu tun. Der Interzonenhandel stimmte die Warenlieferungen mit dem Außenhandelsministerium der DDR ab. Ohne dessen Zustimmung geschah nichts – und geschehen ist viel: Das Handelsvolumen betrug viele Milliarden Ost-Mark im Jahr.

Autorin Anne Worst hat mit Betriebsleitern gesprochen. Und mit dem stellvertretenden Gefängnischef von Bautzen. Er erklärt in preußischer Sachlichkeit die Notwendigkeit des Arbeitseinsatzes. Dabei ist es nach UN-Konventionen untersagt, Gefangene wirtschaftlich auszubeuten, doch diese Übereinkunft war von der DDR nie unterzeichnet worden.

Die Arbeitshäftlinge hingegen wussten weder, für wen die Waren produziert wurden, noch zu welchen Schleuderpreisen sie beim Klassenfeind verkauft wurden. Bei der niedrigen Entlohnung konnte es ihnen auch egal sein. Laut Gesetz hätten sie 18 Prozent des vergleichbaren Lohns eines Industriearbeiters erhalten sollen. Die Wertmarken, die sie für den Einkauf im Gefängnis erhielten, hatten nur einen Bruchteil dieses Wertes, da noch diverse Umlagen abgezogen wurden.

Anne Worst hat aber auch mit ehemaligen Gefangenen gesprochen, darunter Menschen, die mehrere Jahre einsaßen, weil sie für die Freilassung anderer politischer Gefangener mit Flugblättern gekämpft hatten oder weil sie statt Volksarmee lieber Republikflucht gewählt hatten. Die dafür im Dreischichtbetrieb so gut wie ohne Arbeitsschutz im Akkord arbeiten mussten. Sich der Arbeit zu entziehen, war ihnen unmöglich, im Sozialismus herrschte Arbeitszwang – der nötigenfalls mit „Zwangsmaßnahmen“ wie verschärftem Arrest durchgesetzt wurde. Zwischen gewöhnlichen Kriminellen und politischen Gefangenen wurde dabei kein Unterschied gemacht. Doch davon wussten weder die ganz normalen KaDeWe-Kunden noch die anderen West-Käufer der Ost-Ware etwas. Kurt Sagatz

„Geschichte im Ersten: Westware aus dem Ostknast“, ARD, 23 Uhr 30

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