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Gemeinsam schaffen wir es. Kathrin (Anneke Kim Sarnau) tröstet ihre Tochter Merle (Greta Bohacek).

© MDR

ARD-Film: "Keine Zeit für Träume“: Offene Türen

Bei Merle wird ADS diagnostiziert. Soll das Kind Tabletten bekommen? Ein ARD-Film über eine Familie, die an ihre Grenzen stößt.

Wer ist schuld? Gibt es ungelöste familiäre Konflikte? Sind Medikamente nötig und nützlich? All diese Fragen beschäftigen das selbstständige Bauleiter-Paar Kathrin und Roman Falk. Ihre elfjährige Tochter Merle (Greta Bohacek) hat die Diagnose ADS bekommen, Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom. Über kaum eine Krankheit wird so viel diskutiert, und bei kaum einer Krankheit wird mehr Kritik geäußert. Den Zappelphilipp, den Tagträumer und Klassenclown gab es doch auch früher schon – wozu braucht es heute ADS-Diagnose, Verhaltenstherapie und Ritalin?

„Nehmen Sie Merle von der Schule“

Die Geschichte von Autorin Regine Bielefeldt („Blutgeld“) dürfte daher auf großes Interesse stoßen, bietet aber, das sei vorweggenommen, keine wirklichen Antworten auf die Fragen. Als Merle auf dem Leipziger Gymnasium immer öfter nicht weiß, wo ihr Geodreieck liegt, und sie sich nicht auf die Mathematikaufgaben konzentrieren kann, wird es dem Lehrer zu viel. Merles Eltern (Anneke Kim Sarnau und Harald Schrott) hören den Satz, den keine Mutter, kein Vater hören will: „Nehmen Sie Merle von der Schule“, empfiehlt der Klassenlehrer (Thomas Bading). Und dann: „Merle hat ADS“, sagt die Kinderpsychologin.

An dieser psychischen Störung sollen in Deutschland, oft ohne es zu wissen, geschätzt zwei Millionen Menschen leiden. Ihr Problem: Sie sind extrem aufmerksamkeitsfähig, können die ganzen Informationen aber nicht verarbeiten, weil sie nicht entscheiden können, was wichtig ist und was nicht. Die Kinderpsychologin im Film erklärt es anhand eines Bildes. Wenn eine Mathematikaufgabe wie ein langer Flur mit offenen Türen links und rechts ist, an dessen Ende die Lösung steht, geht es dem ADS-Kind so, dass es bei jeder Tür ausscheren muss. Oft handelt es sich um besonders sensible und kreative Menschen.

Wer will da seinem Kind Tabletten geben?

Wer will da seinem Kind Tabletten geben? Die Ärzte raten zu einem Mix aus Medikamenten, Psychotherapie und Elternbetreuung. Doch die Falks, aufgeklärte Akademiker, stemmen sich gegen Psychopharmaka. ADS ist nur eine Modekrankheit, eine „konstruierte Krankheit“ oder gar eine „Lüge der Pharmaindustrie“. Zu leichtfertig werden Diagnosen gestellt. Das hört man oft und auch hier. Vater Roman leugnet ohnehin, dass seine Tochter krank ist. Oma Hedy (Petra Kelling) hilft im Haushalt und fügt der Garde aufopferungsvoller, selbstloser, alles verstehender Großmütter im Fernsehfilm eine weitere Figur hinzu. Leider gerät dieses Fernsehdrama an manchen Stellen doch etwas zu vorhersehbar, zu holzschnitthaft.

Vor allem dann, wenn es darum geht, wie die Eltern ihre eigene Beziehung wieder auf die Reihe kriegen. Sie teilen sich ihre berufliche Arbeit neu auf und nutzen jede freie Minute, um ihr Kind zu unterstützen. Kein Kino mehr, kein Theater, kein gemeinsamer Restaurantbesuch. Doch das gewünschte Ergebnis tritt nicht ein. Merles schulische Leistungen werden nicht besser. Mutter Kathrin bricht auf einer Baustelle zusammen und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Man denkt es sich. Die pubertierende Tochter Lea (Stella Kunkat), die, natürlich, aus einer früheren Beziehung von Kathrin stammt, bekommt zu wenig Aufmerksamkeit und reißt aus. Zu wenig werden bei dem Ganzen die Ursachen für die Krankheit ADS thematisiert. Vielleicht ist das auch zu viel verlangt für einen 88-Minüter, den das feinsinnige Spiel der Protagonisten trägt. Sarnau und Schrott gehören mit zu den Besten im Lande.

Auch Pablo Picasso hatte ADS

Es ist das Verdienst der alltagsnahen und konservativ inszenierten (Regie: Christine Hartmann) Geschichte, ADS in den Mittelpunkt zu stellen und auf unterhaltsame Weise Aufklärung zu leisten. Auch darüber, dass Medikamente für Kinder bei so einem psychischen Leiden nicht immer pauschal zu verdammen sind, wie es im Film der Vater tut. Trotz ADS schrieben Pablo Picasso, Albert Einstein und Bill Gates Geschichte. Merle hat einen IQ von 123.

„Keine Zeit für Träume“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15

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