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Komplizierter Dialog: Hamed Abdel-Samad, hier mit Arte-Moderatorin Nazan Gökdemir, ist mit einer Fatwa belegt. Auf viele Muslime hat der Islamkritiker die Wirkung eines roten Tuchs.

© Foto AVE/Dietmar Ratsch

Arte-Doku mit Hamed Abdel-Samad: Wie ticken Europas Muslime?

Eine Arte-Dokumentation mit dem Islamkritiker Hamed Abdel-Samad lotet die Stimmungslage unter "Europas Muslimen" aus.

Bis zu der Minute war alles gut gegangen: der von der Sprecherin der Sehitlik-Moschee am Neuköllner Columbiadamm freundlich begleitete Gang durch die Reihen der Gläubigen am Tag des Fastenbrechens, die Anfrage der Arte-Moderatorin Nazan Gökdemir, ob an diesem Ort Kritiker willkommen sind, und sogar der wegen des Gedränges auf die Straße verlegte Disput mit Hamed Abdel-Samad, dem ebenso prominenten wie verhassten, mit einer Fatwa belegten Kritiker. Missbrauchte der Prophet die weiblichen Gefangenen? Die Diskussion der gotteslästerlichen Frage wird auf ein späteres Datum vertagt, zudem jetzt das Feuerwerk im Hintergrund die Worte übertönt, nicht so laut, dass man nicht die drohenden Rufe „Verpisst euch! Hier wird auch bald Frankreich sein!“ hören würde. Gemeint ist das Attentat von Nizza, das vom Breitscheidplatz sollte erst kommen. Die Personenschützer drängen Hamed aus der Gefahrenzone, Nazan Gökdemir steht der Schrecken im Gesicht.

Ungeplante Zwischenfälle sind in einer Doku wie das Salz in der Suppe. Auf dem türkischen Markt, beim spielerischen Anprobieren von Kopftuch und Burka störte noch niemand die wohlgemute Stimmung im ersten, dem Berliner Teil der Arte-Doku „Europas Muslime“, so der zu vielversprechende Titel, solange der muslimische Dissident unerkannt in der Deckung blieb. Aber was kann der bekannte ägyptische Autor von Büchern wie „Der islamische Faschismus“ oder „Mohamed – eine Abrechnung“ – wo er den Religionsgründer einen „Tyrannen“ (und Schlimmeres) nennt – anderes erwarten, wenn ein Gläubiger sein Gesicht erkennt? Es erstaunt schon, wie aufgeschlossen auf der Weiterreise im zweiten Teil über Brüssel, Paris und Marseille bis nach Granada mildere Islamkritiker mit ihm reden, ein früherer Großmufti zum Beispiel oder die Kabarettistin Samia Orosemane, die sich vor Ironie und Spott auf muslimische Schwächen nicht scheut und damit dem Film (Regie: Thomas Lauterbach) mal zu einer heiteren Zwischenszene verhilft. Doch am Ende der geschickt eingefädelten Reise wird ein durchaus freundlicher Imam an der neuen, stolz gegenüber der Alhambra thronenden Moschee die Begegnung mit dem ungebetenen Gast verweigern.

Eine Doku, randvoll mit Problemen

Geschmeidig im ersten Teil, von Ort zu Ort springend im zweiten, mutet der spannungsreiche Film wie ein Lackmustest im teils wenig auffälligen, teils gefährlich abdriftenden Islam in Westeuropa an. Ob eine spätere Reise zu den immer vitaleren islamischen Zentren auf dem Balkan oder im europäischen Teil Russlands führen wird, weiß bei Arte derzeit niemand zu sagen. Auch diese Doku ist, trotz unterhaltsamer Szenen, mit Problemen bis an den Rand vollgepackt.

Besonders hartnäckig drängt sich die Frage nach der Gewaltbereitschaft und dem Dschihadismus unter der muslimischen Jugend, den Enkeln der Gastarbeiter und Zuwanderer, auf. „Verpisst euch!“ Man vergisst nicht die Drohung in diesem Ruf. Gesprächsoffen zeigen sich eher die Älteren. Ist noch auf einen europäischen Islam zu hoffen, wie ihn vor Jahren der Ex-Kommunist Roger Garaudy in seinem Turm in Córdoba kommen sah? Für Hamed Abdel-Samad scheint das Thema abgetan. Aber warum sucht er dann immer wieder das Gespräch? Weil hier nur der Dialog hilft?

„Europas Muslime“, Arte, Dienstag, 20 Uhr 15 und 21 Uhr 05

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