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Medien: „Darf das Kanzler werden?“

Krass: Die „Titanic“ ist „Die Partei“ und macht die anderen Parteien nieder

„Es geht nicht um die Bekehrten“, sagt Mark-Stefan Tietze. Das Feuilleton, Studenten, die Leser. Für den „Titanic“-Redakteur entsteht die beste Satire in der Begegnung mit Ahnungslosen. Wenn ein Fernsehzuschauer die Werbespots der „Titanic“-Partei ernst nimmt: „Ihr Wahlpropangandist sollte sich mal schlau machen. Er zitierte Herbert Köhler. Weiß er denn nicht, dass der Bundespräsident Horst Köhler heißt. Schöne Blamage. Und so was soll man wählen?“

Unter dem scheidenden Chefredakteur Martin Sonneborn ist „Titanic“ politischer und härter geworden. Das Heft ist so oft in die Schlagzeilen geraten wie selten zuvor in seiner 26-jährigen Geschichte: Im bayrischen Landtagswahlkampf 2003 stellten sich Redakteure in die Fußgängerzone von Aschaffenburg und spielten Sozis: „Wir geben auf – Ihre SPD.“ Die überregionale Presse war begeistert. Im Jahr zuvor fand der thüringische FDP-Kreisvorsitzende Klaus Schneider am „antisemitischen Spaßwahlkampf“ der als Jungliberale verkleideten Titanic-Redakteure nichts auszusetzen.

Nun also „Die Partei“ (Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative) – im Unterschied zu den genannten Fremdwahlkämpfen gibt es sie wirklich. Ihre Ziele: Merkel verhindern („Darf das Kanzler werden?“) und Deutschland wieder zweiteilen („Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen. Außer uns.“). Nach nur einem Jahr hat sie über 4000 Mitglieder. In Hamburg und Berlin ist sie zur Wahl zugelassen. In weiteren Wahlkreisen gibt es Direktkandidaten. Ihre viel zitierten, mit Schleichwerbung gefüllten Wahlspots werden von einer der größten Werbeagenturen gedreht.

Die drei Meter breite Magnetwand in der Kreuzberger „Parteizentrale“ ist randvoll – mit Artikeln der letzten Tage. Der Tenor ist fast immer wohlwollend, amüsiert; „Titanic“ veralbert, worüber Redakteure nur ernsthaft schreiben dürfen. Angst vor medialer Übermüdung habe er nicht, sagt Sonneborn, der künftig das Berliner Büro leiten wird. „Vorher wird es uns langweilig.“ Angesichts der Dauerberichterstattung sehen er und seine Redakteure keine Konkurrenz. „Pardon“? „Jemand, der bei uns nicht reüssieren konnte“, höhnt Stefan Gärtner. Der „Eulenspiegel“? Laut Sonneborn „ein über 60-jähriger, seniler Herr, der keine Ahnung von Satire hat und sich seine Vorworte von einem freien Mitarbeiter für 200 Euro im Monat schreiben lässt“.

Fest steht: „Titanic“ ist das einzige relevante Satiremagazin in Deutschland. Das sagen nicht nur seine in dieser Hinsicht grenzenlos arroganten Redakteure: Harald Schmidt zitiert „Titanic“, das Feuilleton der „FAZ“ liest „Titanic“, und wenn Menschen wie Friedrich Merz („Fotzenfritz“) beleidigt werden, liegen die Anwaltsbriefe am nächsten Tag im Briefkasten. Den meisten Deutschen dürfte die Diktion des Magazins dabei entschieden zu krass sein. Siehe Angela Merkel: Die aktuelle „Titanic“ beschäftigt sich mit dem Schweißfleck-Foto ihres letzten Bayreuth-Besuchs. Die Kanzlerkandidatin, heißt es dort, leide unter „Megaturbohyperhidrose“. Ein fiktives Opfer erinnert sich an einen „Geruch von alter Butter und Katzenklo“.

Und nach „Titanic“? „Das Einzige, was ich machen würde, wäre die Chefredaktion der ,Zeit‘, um das Ding richtig in die Scheiße zu reiten“, sagt Sonneborn, wie immer mit ernster Miene. „Man kann Bücher schreiben oder Kinder aufziehen“, fügt er hinzu. Ein Buch hat er geschrieben: „Ich tat es für mein Land“, erhältlich ab der Buchmesse im Herbst. Thema: die Bestechungsfaxe, welche „Titanic“ – nach eigenen Angaben erfolgreich – vor der Entscheidung über das WM-Gastgeberland 2006 verschickt hat. Das Kind kommt im Dezember.

Am Schluss eines Gesprächs in der Berliner Zentrale der „Partei“ gibt Sonneborn zu, dass sein politischer Aktionismus intern durchaus umstritten war: „Es gibt Redakteure, denen das zu laut ist.“ Namen nennt er nicht, auch die Redakteure schweigen in diesem Punkt. Ob der neue Chefredakteur Thomas Gsella den Kurs fortsetzen wird? Als die komplette Redaktion kürzlich nach Berlin fuhr, um „Partei“-Arbeit zu machen, blieb er in Frankfurt, als Einziger. „Redaktionsdichter“ nennen sie ihn liebevoll. Bislang hatte er nur eine Viertelstelle, ab November dann das volle Redakteursgehalt, 3000 Euro. Doch auch wenn Gsella das Elend der Republik bislang nur lyrisch abarbeitet, wird „Titanic“ unter ihm sicher nicht freundlicher werden. Im aktuellen Heft beklagt der Kettenraucher (Husten als Klingelton auf der Homepage erhältlich) in einem Bericht über ostdeutsche Lyriker „provinzielle Kollektivmasturbationen“ auf dem „verfaulten Tummelplatz grotesk missratener Postabiturienten“.

Felix Serrao

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