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Transparenz bei Gesetzen und Lobbyismus: Warum der Tagesspiegel den Politiker-Check veröffentlicht

Dass Ministerien und Abgeordnete von Experten und Lobbyisten beraten werden, gehört zum politischen Alltag. Doch es muss dabei mehr Transparenz geben.

Anders als in religiösen Lehren müssen Gesetze in aufgeklärten demokratischen Gesellschaften erst hergestellt werden, bevor man sie verkünden kann. Ein aufwändiger Prozess mit vielen Beteiligten, außerdem einer, der sich in einem zumindest teilweise offenen System vollzieht. „Der Bundestag verhandelt öffentlich“, heißt es im Grundgesetz über die zentrale Agentur der Gesetzgebung. Spätestens unmittelbar vor dem Beschluss gibt es Transparenz und weithin vernehmbare Debatten um die Regeln, die künftig für alle gelten sollen.

Zu spät? Vermutlich ja. Weite Teile der Arbeit an Gesetzen vollziehen sich in Ministerien oder Ausschüssen des Bundestags und damit ohne oder nur mit wenig öffentlicher Aufmerksamkeit. Auch das Mitwirken der Abgeordneten spiegelt sich vor allem in deren eigenen öffentlichen Äußerungen wieder – eine systematische Erfassung ihres Zutuns fehlt.

Das Tagesspiegel-Portal „Politiker-Check“ verschafft erstmals vertieft Einsicht in das Innere des Systems. In der Praxis der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes ist es neben dem Willen der Volksvertreter der Wille der Regierung, der durch die Gesetze abgebildet wird. Der weit überwiegende Teil aller später umgesetzten Initiativen geht von den Bundesministerien aus. Das meiste ist ausverhandelt, bevor ein Entwurf das Parlament erreicht. Der „Politiker-Check“ bietet hier erstmals eine visualisierte Datenbasis, die Rückschlüsse darauf erlaubt, wer an welchen Stellen Einfluss auf Gesetze nimmt. Im Fokus stehen weiterhin die Abgeordneten selbst. Der „Politiker-Check“ zeigt an, welche Projekte sie wann in welchem Umfang vorangetrieben haben, wie ihre öffentliche Resonanz ist und welche Kontakte es zu Interessengruppen gab.

Big Data plus Recherche 

Gemeinsam mit Informatikern rund um Junior Professor Lutz Maicher des Fraunhofer-Zentrums für Internationales Management und Wissensökonomie (IMW) in Leipzig und deren Big Data Center hat der Tagesspiegel diese Einflussnahme auf Gesetze strukturiert erfasst. So wurden knapp 10.000 Tagesordnungen von Bundestagsausschüssen nach Expertennamen und Verbänden durchsucht, und das Verbänderegister des Deutschen Bundestags kontinuierlich verarbeitet. Zusätzlich werden regelmäßig alle Dokumente analysiert, die das Archivsystem des Bundestags sammelt. Anhang derer Schlagworte wird analysiert, zu welchen Themen Abgeordnete besonders stark arbeiten – also Anträge und Anfragen stellen, Gesetzesentwürfe vorlegen oder Stellungnahmen abgeben.

Von bisherigen Ansätzen der Visualisierung von Lobby-Einflüssen unterscheidet sich der „Politiker-Check“ dadurch, dass die Verwendung vorhandener Informationen mit einer umfassenden Recherche verknüpft ist. So wurden sämtliche Bundesministerien gebeten, eine vollständige Übersicht zu liefern, welche Verbände sie bei ihren jeweiligen Gesetzgebungsvorhaben beteiligt haben. Parallel dazu wurden Daten über die Erteilung von Zutrittsberechtigungen von Verbandsvertretern für den Deutschen Bundestag, den so genannten Hausausweisen. Wer einen besitzt, gilt im Berlin der Lobbyisten als Einflussnehmer mit direktem Draht zur Politik. Angaben zu den Lobby-Zugängen hielt die Parlamentsverwaltung lange geheim. Erst nach einer erfolgreichen Auskunftsklage des Tagesspiegels gegen die von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) geführte Behörde wurden die Listen herausgegeben. Diese Listen wurden bereits veröffentlicht.

Der „Politiker-Check“ aktiviert neben journalistischen Auskunftsrechten auf breiter Front Zugangsrechte zu behördlichen Dokumenten, wie sie im Informationsfreiheitsgesetz (IFG) geregelt sind. Das IFG gewährt jedem, den es interessiert, Zugang zu Behördenakten, unabhängig von seinen Motiven. Problem ist nur, dass diese Informationen bisher einzeln abgefragt werden mussten und erst dann zusammengetragen und ausgewertet werden konnten. Daher fehlte es bislang an kompakter Übersicht, wie sie nun der „Politiker-Check“ liefert.

Transparenz gegen die Vormacht weniger

Mehr Transparenz und ein schneller Zugriff zu Fakten der Gesetzgebung sind aus Sicht des Tagesspiegels ein notwendiges Fundament demokratischer Mitbestimmung. Von sich aus unternimmt die Bundesregierung bisher wenig, um den Bürgern die benötigten Informationen zu liefern. Einen Schritt voran geht das Bundesjustizministerium von Heiko Maas (SPD), das reichhaltige Informationen zu laufenden und abgeschlossenen Gesetzgebungsvorhaben frühzeitig auf die amtliche Webseite stellt.

Zwar wird über Gesetze viel geredet und ihre Auslegung samt Rechtsprechung füllt Bibliotheken, doch wie sie genau entstehen, ist eine Materie für Eingeweihte. Der Bundestag ist hier regelmäßig eher ein Ausführungs- als ein Initiativorgan. Die maßgeblich die Legislaturperiode bestimmenden Vorhaben kommen aus der Exekutive. Dort, in den Ministerien, arbeiten die „Legisten“ den Wortlaut aus, der später allgemeine Geltung entfalten soll. Und es sind nur in den seltensten Fällen sie selbst, die einen Regelungsgegenstand identifizieren. Neben Festlegungen aus dem Koalitionsvertrag sind es häufiger Vorgaben der Hausleitung, die umgesetzt werden sollen. Andere Motive sind die Umsetzung von EU-Vorgaben oder Gerichtsentscheidungen.

Oft kommen schon hier, am Ursprung einer neuen Vorschrift, die Lobbyisten ins Spiel. Wer beispielsweise eine Regulierung verhindern möchte, sollte schon frühzeitig argumentieren, weshalb keine nötig sein soll. Und wenn bereits feststeht, dass es neue Vorschriften geben muss, ist es aus Sicht von Betroffenen und Interessengruppen ratsam, sie durch eigene Vorschläge mitzugestalten.

Der frühe Kontakt von Ministerialen und Interessengruppen hat Skepsis verdient, jedoch kein grundsätzliches Misstrauen: Die Exekutive ist auf sachkundige Informationen angewiesen. Welche Regelungen angesichts welcher Verhältnisse auf jeweils welchem Gebiet sinnvoll und angemessen sein sollen, ist nichts, was sich mit einer „Google“-Suche beantworten ließe. Die Politik braucht kompetenten Input, von Verbänden genauso wie von Bürgerinitiativen oder Nichtregierungsorganisationen. Prinzipiell kann sich jedermann mit seinen Ideen an die Exekutive wenden. Sinnvoll ist aber, Expertise zu bündeln. Die Beamten merken schnell, ob jemand nur überzeugen will oder auch die Argumente bieten kann, die zur Überzeugung taugen.

Vom Gesetzesentwurf in den Bundestag

Der „Politiker- Check“ ist das erste Online-Tool, dass auch auf diese frühen Phasen des Gesetzgebungsgangs zugreift. Hier existiert ein Vorhaben erst in der Form des so genannten Referentenentwurfs, ein tradierter Begriff, der auf die Herkunft aus den Referaten verweist, in die sich Ministerien neben Abteilungen und Unterabteilungen gliedern: Hier sieht die Gemeinsame Geschäftsordnung der Ministerien (GGO) vor, dass die Verbände zu beteiligen sind. Deshalb hat der Tagesspiegel alle Ministerien gefragt, welche Verbände sie beteiligt haben. Und wir ordnen die Antworten im Politiker-Check denjenigen Ministern und Parlamentarischen Staatssekretären zu, die dafür verantwortlich sind.

Eine sensible Phase, in der Änderungswünsche eingearbeitet werden. Die Endfassung des Entwurfs, wie er dann bei den mittwochs stattfindenden Sitzungen des Kabinetts als Gesetzentwurf der Bundesregierung beschlossen wird. Erst dann, mit der Zuleitung an Bundestag und Bundesrat, ist der Job der Exekutive beendet und es beginnt die parlamentarische Befassung.

Nach der ersten Lesung im Plenum wird das Vorhaben in die Ausschüsse überwiesen. Es gilt das nach dem früheren Bundesverteidigungsminister und Fraktionsvorsitzenden der SPD Peter Struck benannte „erste Strucksche Gesetz“, wonach kein Gesetz aus dem Parlament so herauskommt, wie es eingebracht worden ist. Die Überweisung an die Ausschüsse ist ebenfalls als Stunde der Lobbyisten bekannt. Hier bietet sich noch einmal Gelegenheit, auf die Vorhaben einzuwirken, zumal die Koalitionspartner oft noch einmal in Einzelfragen neue Kompromisse aushandeln müssen. Der "Politiker-Check“ erfasst hier, von wem sich die Abgeordneten in den Ausschüssen beraten ließen.

Der Politiker-Check soll jetzt im Wahlkampf allen Wählern erlauben, sich ein Bild davon zu machen, woran ihre Abgeordneten gearbeitet haben, wie viel Aufmerksamkeit sie in den Medien erfahren und mit wem sie in ihrer Ausschussarbeit zu tun haben. Nach der Wahl soll der Politiker-Check auf den neuen Bundestag angepasst werden und dann kontinuierlich die Arbeit der nächsten Legislaturperiode begleiten. Denn jeder sollte stets so viele Informationen wie möglich über seine gewählten Vertreter finden können. 

Hier geht es zum POLITIKER-CHECK.

Der Tagesspiegel Politiker-Check basiert auf dem gemeinsamen Forschungsprojekt Check Your Government von Tagesspiegel und Fraunhofer IMW, Leipzig. Das Projekt wurde im Rahmen des Programms »Wissenschaft und Datenjournalimus« von der  VolkswagenStiftung gefördert.

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