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Mord und Sport. Am 5. Juni 1977 patrouillierten Soldaten mit Schäferhunden durch das Stadion in Buenos Aires , in dem die argentinische Fußball-Nationalmannschaft gegen das deutsche Team antritt. Das Spiel fand statt, auch wenn der DFB wusste, dass die Junta die deutsche Studentin Elisabeth Käsemann kurz zuvor ermorden ließ. Fotos: NDR/imago

© IMAGO

Der politische Mord an Elisabeth Käsemann: Wie das Auswärtige Amt und der DFB in Argentinien versagten

„Das Mädchen“: Warum Diplomatie und DFB an der Ermordung von Elisabeth Käsemann 1977 in Argentinien Mitverantwortung tragen.

Am Ende steht da ein leerer Stuhl vor einer Kamera. Ein wirkungsvolles Bild, ein stummes Bild der Anklage. Der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, der ein Interview schon zugesagt hatte, ist lieber doch nicht gekommen. Er hätte sich Fragen aussetzen müssen zum Tod der deutschen Studentin Elisabeth Käsemann, die 1977 während der argentinischen Militärdiktatur in Buenos Aires verschleppt, gefoltert und nach wochenlanger Haft im Alter von 30 Jahren ermordet worden war – ohne dass sich die Regierung ihres Heimatlands jemals für sie eingesetzt hätte. Wie es andere Regierungen in vergleichbaren Fällen erfolgreich taten.

Es ist eine haarsträubende, erschütternde Geschichte, die der mehrfache Grimme-Preisträger Eric Friedler in dem Dokumentarfilm „Das Mädchen“ erzählt. Sie handelt vom Versagen der Diplomatie, von einem Zeitgeist, in dem die guten Beziehungen zu einer Diktatur mehr zählten als das Leben einer als verdächtig links eingestuften Frau. Die Dokumentation handelt auch von bis heute vorherrschender Wut auf der einen und bizarrer Uneinsichtigkeit auf der anderen Seite. Es treten auf: ehemalige Staatsminister, die ihre Mitschuld zugestehen. Ein Botschafter ohne jede Spur von Reue. Zeitzeugen aus Argentinien, Täter, Richter, Freundinnen und Freunde des Opfers, der Bruder von Elisabeth Käsemann, deutsche Politiker. Sowie Fußballer und Verbandsfunktionäre.

In Argentinien verschleppt, gefoltert und ermordet: Elisabeth Käsemann.
In Argentinien verschleppt, gefoltert und ermordet: Elisabeth Käsemann. Von der deutschen Diplomatie erhielt die linke Studentin keine Unterstützung.

© NDR

Denn am 5. Juni 1977, vor genau 37 Jahren, gastierte die deutsche Nationalmannschaft in Buenos Aires. Sie bezwang Argentinien mit 3:1. Klaus Fischer erzielte zwei Tore. Zwei Wochen zuvor war Elisabeth Käsemann zusammen mit 15 anderen politischen Gefangenen standrechtlich erschossen worden. Der deutsche Botschafter Jörg Kastl informierte den damaligen DFB-Präsidenten Hermann Neuberger, dem schon zuvor kein böses Wort über die Junta in Argentinien über die Lippen gekommen war. Und dem es offenbar weder in den Sinn kam, seinen Einfluss für eine Freilassung Käsemanns zu nutzen, noch nach deren Ermordung die Goodwill-Tour ins Gastgeberland der WM 1978 abzusagen. Den Fußballern selbst berichtete man vorsichtshalber erst nach dem Länderspiel von Käsemanns Tod.

DFB-Präsident Niersbach will sich nicht äußern

Diese Auslandsreise beschäftigt den Fußball noch heute. Der langjährige DFB-Direktor Horst R. Schmidt bekundet im Film sein „Unbehagen“ über das bevorstehende Interview, stellt sich aber doch den Fragen Friedlers – im Gegensatz zu DFB-Präsident Wolfgang Niersbach oder Altkanzler Helmut Schmidt. Denn auch davon handelt dieser Film: wie sehr der Sport, namentlich der Fußball, mit Politik und Gesellschaft verwoben ist. Das Milliardengeschäft bringt nicht nur Aufmerksamkeit und Einfluss, sondern bisweilen sogar die Pflicht zum Handeln mit sich: „Es hätte nur eines Anrufes des DFB bedurft“, sagt Schmidt in bemerkenswerter Offenheit. Und Elisabeth Käsemann hätte noch rechtzeitig gerettet werden können. Da vergeht selbst dem sonst so lustigen Ex-Nationaltorhüter Sepp Maier der Humor: „Eine totale Schweinerei ist das.“ Ein bedrückt wirkender Karl-Heinz Rummenigge sagt: „Es ist nicht zu entschuldigen.“ Und Paul Breitner schäumt: „Es kann keiner sagen: Ja, ich hab’s versucht. Wenn man dann nicht empört sein soll, wann dann?“ Die Fußball-Perspektive ist einleuchtend und auch aktuell angesichts der bevorstehenden WM. Doch die Hauptverantwortung lag zweifellos beim Auswärtigen Amt. Der nach den Dreharbeiten verstorbene Kastl macht hier eine beängstigend halsstarrige Figur und versteigt sich zu Sätzen wie: „Sie (Elisabeth Käsemann, d.Red.) wäre auch bereit gewesen, Bomben zu werfen.“ Oder: „Sie war erschossen und verscharrt worden, und zwar nicht ganz ohne Gründe, weil sie, wie gesagt, mit recht explosiven Gedanken nach Argentinien gekommen war.“ Damit lag Kastl bis zuletzt auf der Linie der argentinischen Diktatur, die Käsemann wie tausende Unschuldige als „Terroristin“ verfolgte.

Dabei gibt es für irgendeine Art von Gewaltbereitschaft Käsemanns keine Belege. Dass sie einst dem Freundeskreis Rudi Dutschkes angehörte und sich in argentinischen Slums sozial engagierte, galt jedoch offenbar als höchst verdächtig. Die damaligen Staatsminister Klaus von Dohnanyi (SPD) und Hildegard Hamm-Brücher (FDP) bemühen sich vor der Kamera um Erklärungsversuche, die von Friedler postwendend demontiert werden. Von Dohnanyi sagt schließlich, „mitschuldig, mit verstrickt“ zu sein. Er hätte sich mit dem Fall Käsemann selbst an Genscher wenden müssen, aber: „Ich war mit meinem Kopf in Europa.“

"Keine Belege für eine diplomatische Intervention"

Noch 2011 wurden in Argentinien einige der Täter wegen der Morde an Käsemann und den 15 anderen abgeurteilt. Bundesrichter Daniel Eduardo Rafecas erklärt, dass er „keine Belege für eine diplomatische Intervention“ gefunden habe. Kastl schadete das nicht weiter. Der Botschafter, der, wie Friedler nachweist, auch die Gelegenheit eines Freikaufs verstreichen ließ, wurde später nach Brasilien und später nach Moskau „hochbefördert“, wie er selbst sagt. „Also keine schlechte Karriere“, fügt Kastl trotzig hinzu.

Friedler beweist mit diesem Film erneut sein Gespür für unerhörte, (fast) vergessene Geschichten. Der NDR-Redakteur versammelt wie zuletzt bei seinem preisgekrönten Film über den israelischen Friedensaktivisten Abie Nathan („The Voice of Peace“) eine beeindruckende Zahl an Gesprächspartnern und montiert die Interviews dramaturgisch wirkungsvoll zu einer Art Politthriller. Vielleicht wird die eine oder andere Aussage zu oft wiederholt, werden Betroffenheit und Empörung allzu inflationär eingesetzt. Dennoch ist „Das Mädchen“ einer dieser Dokumentarfilme, die einen tiefen Eindruck hinterlassen und nachhallen. Udo Jürgens’ WM-Hit von 1978, „Buenos Dias Argentina“, den Friedler beim Abspann einsetzt, klingt jedenfalls noch furchtbarer als ohnehin schon.

„Das Mädchen – Was geschah mit Elisabeth K.?, ARD, Donnerstag, um 22 Uhr 45

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