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Medien: Der Star und der Stalker

Zum 25. Todestag des Ex-Beatles am 8. Dezember zeigt Arte die Dokumentation „Mordfall: John Lennon“

„Stell dir vor, John Lennon wäre tot.“ Mark David Chapman soll das schon als Jugendlicher gesungen haben, in Abwandlung von „Imagine“, dem größten Hit Lennons nach dessen Beatles-Zeit. Doch der 1955 geborene Chapman machte in seinem Leben viele extreme Wandlungen durch, war auch zeitweise ein fanatischer Fan von Lennon, ehe er schließlich am 8. Dezember 1980 vor dem Dakota Building in New York tatsächlich zur Pistole griff. „Ich tötete John Lennon, weil ich es nicht mehr aushalten konnte, ein Niemand zu sein“, sagt Chapman in der Dokumentation „Mordfall: John Lennon“, die heute von Arte ausgestrahlt wird.

Allerdings ist nur seine Stimme zu hören, und das Dokument ist auch nicht ganz neu. Es stammt von Tonband-Interviews, die Chapman-Biograph Jack Jones Anfang der neunziger Jahre geführt hat. Egon Koch und Friedrich Scherer greifen in ihrer Doppelbiografie vom Weltstar und seinem Mörder auf das alte Material zurück, weil Chapman zurzeit keine Interviews gibt. Alle zwei Jahre wird über eine Freilassung des zu einer Haftstrafe von 20 Jahren bis lebenslänglich verurteilten Texaners entschieden. Wenn er weiterhin in die Öffentlichkeit strebe, wirke sich das nicht günstig aus, haben die Autoren in Erfahrung gebracht.

Auch Lennons Witwe Yoko Ono reagiert regelmäßig – zuletzt nach der Ausstrahlung eines NBC-Films in den USA – erzürnt, wenn Auszüge aus den Jones-Interviews mit Chapman veröffentlicht werden. „Aus verständlichen Gründen“, findet Scherer. Immerhin brachte Chapmans übersteigertes Bedürfnis nach Anerkennung ihren Mann ins Grab. Eine Interview-Anfrage an die japanische Künstlerin haben sich die beiden Autoren gleich gespart, auch wenn Scherer „nicht wüsste, warum Yoko Ono etwas gegen unseren Film haben sollte“.

Neue Erkenntnisse sind hier zum 25. Jahrestag des Lennon-Mords nicht zu erwarten, doch die Autoren entschieden sich für einen ungewöhnlichen Ansatz: Koch und Scherer suchen nach Parallelen in den Lebenswegen von Lennon und Chapman – und finden sie in den schwierigen Bedingungen ihrer Kindheit. Während sich Lennons Eltern trennten und die Mutter später bei einem Autounfall ums Leben kam, war Chapman das Muttersöhnchen in einer zerrütteten, aber fortdauernden Ehe. „Bei beiden wuchs aus dem Gefühl einer gewissen Verlassenheit das Bedürfnis nach Anerkennung und Ruhm“, sagt Scherer. Nur dass Chapman kein besonderes Talent mit auf den Weg gegeben worden sei. Zum Phänomen der Stalker genannten Extrem-Fans, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, wird der Darmstädter Kriminalpsychologe Jens Hoffmann befragt. Prominente, die ihr Privatleben öffentlich machen, seien häufiger Opfer von Stalker-Attacken als andere, erklärt er.

Dass sich „Nobody“ Chapman mit dem ruhmreichen Lennon identifizierte, galt freilich nur vorübergehend. Irgendwann sei ihm wohl der Gedanke gekommen, wenn er nicht im Guten berühmt werde, dann eben im Schlechten, meint Scherer. Dabei spielte auch J.D. Salingers Roman „Der Fänger im Roggen“ eine Rolle. In Chapmans kruder Welt sah sich der Attentäter wie Romanheld Holden Caulfield als Kämpfer gegen die Verlogenheit, für die John Lennon als reicher Prominenter, der sich lautstark für Frieden und Gerechtigkeit einsetzte, in seinen Augen stand. „Ich wurde zu einem lebendigen Buch, aber in meinen Seiten gab es ein echtes Gewehr“, sagte Chapman einst zu Jones. Man muss wirklich nicht böse sein, dass Chapman, der später als Wanderprediger durch die USA ziehen möchte, keine weiteren Interviews mehr gegeben hat.

Der Film „Mordfall: John Lennon“, in dem natürlich auch die Musik eine bedeutende Rolle spielt, ist in einer um zehn Minuten gekürzten Version noch einmal am Sonntag im ZDF-Magazin „History“ zu sehen.

„Mordfall: John Lennon“: Arte, Mittwoch, 20 Uhr 40 , Sonntag, ZDF-„History“, 23 Uhr 55

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