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Die Haare schön. Hunderte junge Frauen sind am Montag zum Casting für die Pro-7-Show „Germany’s Next Topmodel“ zum Berliner Hotel Esplanade gekommen. Auf Heidi Klum warteten sie jedoch vergeblich. Foto: dpa

© dpa

Siebte Staffel: Die Modelmädchen-Rechnung

Statt der „Vogue“ wartet am Ende die „Alm“. Trotzdem stehen Frauen beim „GNTM“-Casting Schlange.

Es geht an diesem Tag um jeden Millimeter und weil Athena das weiß, hat sie ihre höchsten Schuhe mitgebracht. Zwölf Zentimeter messen die Absätze ihrer Pumps. Die 23-jährige Psychologiestudentin bewegt sich darin, als hätte sie Turnschuhe an. Sie hat vor dem Spiegel geübt. Bevor es gleich ernst wird, läuft sie noch einmal auf und ab, jeder Schritt muss heute sitzen – denn es geht um nicht weniger als ihren Traum: Athena will „Germany’s Next Topmodel“ werden.

Allerdings ist sie nicht die einzige, die davon träumt. Einige hundert junge Frauen reihen sich an diesem Montag in die Schlange vorm Hotel Esplanade am Lützowufer ein. Berlin ist die siebte Station von 21 Städten, in denen Bewerberinnen für die siebte Staffel der ProSieben-Show gecastet werden. Dass bisher keine der „Topmodels“ ein Topmodel geworden ist, sich die aktuelle Siegerin Jana Beller nach gerade zwei Monaten wieder von der „GNTM“-Agentur getrennt hat, die sie groß rausbringen sollte, schreckt offensichtlich nicht ab.

Auch Athena ist von „GNTM“-überzeugt: „Einen besseren Vertrieb für sich kann man doch gar nicht bekommen. Und dazu reist man um die ganze Welt.“ Oder auf die „Alm“, wie das ProSieben-Format heißt, bei dem Ex-„GNTM“-Kandidatin Gina-Lisa Lohfink gerade Ställe ausmistet und sich die diesjährige Zweitplatzierte Rebecca Mir als Reporterin versucht. Topmodel sieht anders aus.

Mitmachen darf beim Casting jede Frau, die mindestens 1,72 Meter groß und 16 Jahre alt ist. Auch wer keine Modelmaße hat, wird reingelassen. Athena und ihre Freundin Kamilla wollen zeigen, dass sie welche haben. Sie tragen Hotpants, weit ausgeschnittene T-Shirts. Mit wasserstoffblondierten Haaren, künstlichen Wimpern und einer dicken Glossschicht sieht Kamilla aus wie die kleine Schwester von Daniela Katzenberger.

Eine Stunde lang müssen die beiden Freundinnen warten, vorgelassen werden sie erst, wenn sie unterschreiben, dass sie ProSieben und der Produktionsfirma Tresor TV alle „Nutzungs-, Leistungsschutz-, Persönlichkeits- und sonstigen Rechte“ an den Ton- und Bildaufnahmen einräumen. Dann bekommen sie eine Nummer, B 101 und B 102, und los geht’s – mit der ersten Enttäuschung. Denn hinter der Tür wartet nicht etwa Heidi Klum, sondern Caster Yannick Aellen, der das Aussieben übernimmt. In Zehnergruppen treten die junge Frauen vor ihn, manche dürfen einmal auf dem Laufsteg auf und ab gehen, auch Athena, wie sie später erzählt. Doch Aellen sieht sofort, was Athena mit ihren hohen Schuhen versucht hat zu verstecken. Das Maßband wird rausgeholt: 1,71 Meter zeigt es. Das war’s. Auch Kamilla muss gehen. „Dass die so streng sind, hätte ich nicht gedacht“, sagt Athena, Kamilla schweigt und kämpft mit den Tränen.

Yannick Aellen ist genervt, wenn Bewerberinnen wie Athena versuchen zu tricksen und falsche Größen angeben. „Was auch nicht geht, sind überzupfte Augenbrauen, zu krasse Gelnägel, Solariumbräune“, sagt er. Davon bekommt er in Berlin allerdings eine ganze Menge zu sehen. „Das ist eben die Diskrepanz zwischen realer Modewelt und der Straße“, sagt Aellen. Immer wieder winkt er die Kandidatinnen weiter.

Klack, Klack, Klack hallt es im Zehnminutentakt durch die Lobby, wenn eine Gruppe fertig ist. Die gerade noch voller Hoffnung strahlenden Gesichter sind blass vor Enttäuschung. „Jetzt kann ich endlich einen Burger essen. Und danach ein Schokoeis“, ruft eine zum Trotz und stökkelt nach draußen, aber bloß nicht vorbei an der Schlange. Muss ja nicht jede sehen, dass es nicht geklappt hat.

„Es ist schwieriger, aus hunderten von Nobodys Potential rauszuspüren, als in Paris die besten 20 Kandidatinnen für eine Schau aus Supermädchen von Agenturen wie Elite, Next oder Women auszuwählen“, sagt Aellen.

Auch Denise Kahnt hat vor ihm nicht bestehen können, obwohl sie mit ihren 1,80 Meter und der sehr schlanken Figur wie ein Model aussieht. Aber: „Ich bin 27 und damit schon eine Oma in dem Business“, sagt sie selbst und freut sich für ihre Freundin Annabelle Reiß. Die 22-Jährige ist eine Runde weiter und darf jetzt einen Fragebogen ausfüllen. Nach ihren Schwächen und was ihr Rezept dagegen ist, wird sie gefragt, was ihre Problemzonen sind und was sie hässlich an sich findet. Es sind Fragen, mit denen die „TV-Tauglichkeit“ überprüft wird, wie Aellen es nennt. Denn neben den üblichen Modelkriterien wie „Größe, Maße, Proportionen und Gesicht, Ausstrahlung und Auftreten“ ist sie eines der entscheidendsten Kriterien. Denn bei „GNTM“ muss die Mischung stimmen: eine Zicke, eine Schüchterne, eine Unscheinbare – all diese Typen braucht die Sendung, um Quote zu machen.

Annabelle Reiß hat noch gar keine Zeit, sich Gedanken zu machen, welchem Typ sie wohl entspricht. Gleich wird ein Video von ihr aufgezeichnet, das später vielleicht Heidi Klum zu sehen bekommt. Aus den von Aellen herausgepickten Bewerberinnen wählt die Moderatorin die Kandidatinnen für die siebte Staffel aus. Aus Berlin werden wohl nicht viele kommen. „Es waren ein paar gute Mädchen dabei, es war aber nicht der großartigste Castingtag der Tour“, sagt Aellen. Annabelle Reiss erfährt in den nächsten Wochen, ob sie für die Staffel ausgewählt wird, die ab Frühjahr 2012 ausgestrahlt werden soll. „Danke, wir melden uns dann“, heißt es am Ende für sie unverbindlich.

Derweil verarbeiten Athena und Kamilla noch immer die Nachricht, nicht „Topmodel“-tauglich zu sein. „Es gibt ja noch andere Wege, um Model zu werden“, sagt Athena und stöckelt entschlossen auf ihren zwölf Zentimetern davon.

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