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Landliebe. Die Domscheit-Bergs im heimischen Garten ihrer Villa an der Havel. Dass seine Frau Anke zehn Jahre älter ist als er, gefällt Daniel Domscheit-Berg. Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Anke und Daniel Domscheit-Berg: Der mühsame Kampf gegen die Internet-Überwachung

Sie wirken wie zwei Aussteiger. Er verließ Wikileaks, sie kündigte ihre Festanstellung. Ihr Haus tauften sie „havel:lab“. Von dort aus kämpfen Anke und Daniel Domscheit-Berg gegen Machtmissbrauch im Netz. Die Karriere steht dabei auch schon mal hinten an.

Von Barbara Nolte

Ihr Ehemann, sagt Anke Domscheit-Berg, habe Obama gekauft. Im Internet, wo sonst? 39 Euro hat Daniel Domscheit-Berg für den lebensgroßen Pappaufsteller des US-Präsidenten bezahlt. Obama steht also an einem Juninachmittag am Großen Stern in Berlin, inmitten einer Gruppe junger Menschen, die Plakate mit Aufschriften wie „Vereinigte Stasi von Amerika“ und „My phone sex is private“ mit sich tragen. Es ist eine Demonstration gegen das amerikanische Geheimdienstprogramm Prism, Anke Domscheit-Berg hat sie mitorganisiert. Sie ist eine zierliche Frau, die einen geblümten Rock und Sandalen im Orange der Piratenpartei trägt, für die sie bei der Bundestagswahl im September kandidiert. „Prism zeigt doch: Unter Obama ist Amerika paranoider denn je“, sagt Anke Domscheit-Berg. „Ich bin enttäuscht von ihm.“

Datenschutz als Spionagethriller

Anke Domscheit-Berg sieht, während sie ihre Unzufriedenheit formuliert, ziemlich zufrieden aus. Sie lächelt. Tage zuvor hat sie eine Petition im Internet gegen Prism mitverfasst. 42 000 Menschen haben unterschrieben. Es gibt also offenbar ein Aufregerthema im Sommer vor der Bundestagswahl: Der US-Geheimdienst hat jeden Monat in Deutschland eine halbe Milliarde Telefonverbindungen, E-Mails, SMS abgegriffen. Dem Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der diese Ungeheuerlichkeiten ans Licht gebracht hat und der sich derzeit im Transitbereich des Moskauer Flughafens aufhalten soll, drohen in seiner amerikanischen Heimat harte Strafen. Die Ereignisse müssten eigentlich den Piraten in die Hände spielen, ähnlich wie es das havarierte Atomkraftwerk in Fukushima für die Grünen tat. Der Datenschutz, das zweifelsohne wichtige, gleichwohl staubtrockene Kernanliegen der Piratenpartei, wird gerade zum Spionagethriller.

"Ich werde dich jagen und töten"

Mit Anke und Daniel Domscheit-Berg haben die Piraten zwei prominente Mitglieder, die sich mit dem Thema schon aufgrund ihrer Biografien besonders gut auskennen. Beide sind im Internet unterwegs, seitdem es existiert. Anke Domscheit-Berg als Unternehmensberaterin für IT-Projekte, unter anderem bei McKinsey, und für Microsoft. Außerdem ist sie eine umtriebige Netzaktivistin und Feministin. Daniel Domscheit-Berg kommt aus der Hackerszene. Bekannt wurde er vor allem deswegen, weil er bei der Enthüllungsplattform Wikileaks der engste Vertraute von Julian Assange war, mit dem er sich gründlich überworfen hat. „Ich werde dich jagen und töten“, drohte ihm Assange noch vor drei Jahren.

Die Domscheit-Bergs, ein exemplarisches Liebespaar

Daniel Domscheit-Berg ist ein schlaksiger, schwarz gekleideter Mann mit lichtem Haar und freundlicher Ausstrahlung. Bei der Demo am Großen Stern ist er gerade damit beschäftigt, ein Transparent auf eine Lkw-Plane zu kleben. Demonstranten haben Fotos von Snowden und von Bradley Manning vervielfältigt, groß kopiert und Masken daraus gebastelt. Manning war der Soldat im Irak, der Wikileaks mit den spektakulären Enthüllungen versorgt haben soll – unter anderem mit dem Video, das zeigt, wie US-Scharfschützen aus einem Hubschrauber Zivilisten erschießen. Manning steht derzeit in den USA vor einem Militärgericht, dem 25-Jährigen droht lebenslange Haft.

Keine Scheu vor Pathos

Anke Domscheit-Berg beginnt zu skandieren: „Free Bradley Manning!“ Sie hatte besagtes Video auf dem Computer ihres Mannes gesehen, noch bevor der es 2010 öffentlich machte. Da hatten sich beide gerade erst kennengelernt. „Ich zeige dir jetzt was, das wird die Welt verändern“, habe er damals zu ihr gesagt. Die beiden scheuen kein Pathos. Die „Zeit“ nannte sie das „exemplarische Liebespaar des digitalen Zeitalters“. Zwei Moralisten, die den Durchblick haben in einer Welt, die für Angela Merkel, wie sie kürzlich sagte, „Neuland“ sei. So stellen sie sich dar. Im Herbst kommt ein Dreamworks-Film in die Kinos, der die Geschichte von Wikileaks erzählen soll. Daniel Brühl spielt darin Daniel Domscheit-Berg.

Den Grünen fehlt "ein kohärenter Zukunftsentwurf"

Nun ist die Piratenpartei, anders als Hollywood, nicht auf Glamour aus. Statt auf Stars setzt sie auf Schwarmintelligenz. Kann sie mit den Domscheit-Bergs überhaupt etwas anfangen?

Anke Domscheit-Berg war zuvor lange bei den Grünen. Die Piraten hätten sie hartnäckig umworben, berichtet sie, bevor sie sich im vergangenen Sommer zum Wechsel entschloss. Ihren Mann hat sie mitgenommen. Bei den Grünen habe ihr „ein kohärenter Zukunftsentwurf“ gefehlt. Denn das Internet werde alle Lebensbereiche komplett verändern, sagt sie, auch die Politik. Kürzlich hat Anke Domscheit-Berg einen Mumble veranstaltet, so heißt bei den Piraten eine virtuelle Konferenz. Dabei saß sie zu Hause in Fürstenberg an der Havel vor ihrem Computer und debattierte mit anderen Piraten über den transparenten Staat.

Die Aussteiger der Zukunft

Das Haus der Domscheit-Bergs liegt gleich gegenüber vom Bahnhof. Eine Villa, von einem Gemüsegarten umgeben. An einem verregneten Vormittag steht Daniel Domscheit-Berg mit einem Paket in der Küche. Im Paket sind Fruchtfliegenfallen, die er bei Amazon bestellt hat. Er ist umtriebiger Heimwerker. Im Garten hat er eine Zisterne gegraben. Anke Domscheit-Berg sitzt am Esstisch und strickt. Sogar seine Socken macht sie selbst. Die beiden wirken wie ein Aussteigerpärchen, was sie auch sind. Sie hat ihre Festanstellung bei Microsoft aufgegeben – und er hat Wikileaks verlassen.

Auf dem Buch, das er darüber geschrieben hat, basiert nun der Film. Daniel Brühl war kürzlich in Fürstenberg zu Besuch, um sich ein Bild von seiner Filmfigur zu machen. Anke Domscheit-Berg wird im Film von einer Schwedin Mitte 20 gespielt. „Wohl so ein Hollywoodklischee“, sagt ihr Mann lachend. In Wahrheit ist seine Frau 45 und damit zehn Jahre älter als er. Daniel Domscheit-Berg gefällt, dass seine Beziehung Rollenbilder unterläuft. Er sieht sich „als männlichen Feministen“.

Zu schnelles Wachstum der Piraten war gefährlich

Zusammen mit ihrem 13-jährigen Sohn, den Anke Domscheit-Berg mit in die Ehe gebracht hat, bastelt er gerade einen 3-D-Drucker: Flüssiges Plastik wird nach digitalen Bauplänen zu Formen gespritzt. Bald, erklärt Domscheit-Berg, werde man Plastikersatzteile, die kaputtgingen, einfach selbst nachbauen. „Die Fertigungsindustrie wird vor der Sinnfrage stehen.“ Ihr Haus haben die Domscheit-Bergs „havel:lab“ genannt. Statt rückwärtsgewandt zu leben, wie es für Aussteiger typisch ist, wollen sie die unbefriedigende Gegenwart überwinden, indem sie die Zukunft vorwegnehmen.

Nur findet die Zukunft, so heißt es jedenfalls allenthalben, womöglich ohne die Piraten statt. In ihrer Hochphase erzielte die Partei bei den Landtagswahlen in Berlin um die acht Prozent. Nach permanenten Personalquerelen liegt sie nun in Umfragen bei zwei bis vier Prozent. Anke Domscheit-Berg gibt sich gelassen. Als problematischer habe sie die Hype-Phase der Piraten erlebt. „Viele glaubten, sich nicht mehr anstrengen zu müssen.“ Als Unternehmensberaterin wisse sie, dass zu schnelles Wachstum einer Organisation gefährlich werden könne.

Wikileaks war überfordert

Genau das sei Wikileaks zum Verhängnis geworden, ergänzt Daniel Domscheit-Berg. „Wir wurden Opfer unseres Erfolgs.“ Das Video aus dem Hubschrauber, mit „Collateral Murder“ betitelt, machte nicht nur Methoden der US-Armee im Irak weltbekannt, sondern vor allem Julian Assange. Der digitale Briefkasten, in dem Informanten ihre geheime Ware ablegen konnten, quoll kurz darauf über. Das Personal von Wikileaks, das nur aus einer Handvoll junger Männer bestand, war mit den Massen an Dokumenten überfordert. Bereits ein halbes Jahr später stockten die Enthüllungen von Wikileaks. Nach Vergewaltigungsvorwürfen sitzt Assange seit einem Jahr in der ecuadorianischen Botschaft in London.

Von Datenschutz und Überwachung bis zu Germany's Next Topmodel

In Fürstenberg läuft Daniel Domscheit-Berg durch seinen Garten. Er versucht, nach dem Zerwürfnis mit Assange einen neuen Beruf zu erfinden. Kürzlich hatte er Lehrer des Gymnasiums aus dem Nachbarort eingeladen. Er bot an, Kindern einen sinnvollen Umgang mit Daten beizubringen. „Projekte gäbe es zuhauf: von einem Wetterballon bis zu einer weiteren Automatisierung des Gartens.“ Außerdem, sagt er, arbeite er immer noch mit anderen Wikileaks-Abtrünnigen an einer eigenen Enthüllungsplattform: Openleaks. Es sei „hochkomplex“. Denn die Informanten müssen anonym bleiben können. Und: „Die menschliche Seite kann man fast gar nicht absichern.“ Bradley Manning offenbarte sich angeblich einem ehemaligen Hacker, der ihn anzeigte.

Das Gegenteil der Spitzenpiraten

Daniel Domscheit-Berg wirkt angeschlagen vom Ärger mit Assange und von Mannings Schicksal. Bei den Piraten hält er sich im Hintergrund, macht sich nützlich, indem er sie beispielsweise zu Wahlkampfauftritten fährt.

Anke Domscheit-Berg ist die Themenbeauftragte der Partei für „Open Government“. Seit der Aufregung um Prism ist sie gerade auch zur viel befragten Datenschutzexpertin in Talkshows geworden. Sie glaubt, das Thema müsse weiter gefasst werden: „Wie bewegen wir uns in Deutschland in Richtung Überwachungsstaat?“ Sie spricht leise, schaut dabei ernst. In ihrer nüchternen Art ist Anke Domscheit-Berg das Gegenmodell zu den oft kapriziösen Spitzenpiraten. Sie beschreibt sich selbst als „Rampensau“, was verwundert, doch sie sendet auf allen digitalen Kanälen, twittert unablässig. Zum Beispiel: „Leute, ich glaub’s nicht, ich krieg Bammel, weil ich gleich mit einer ,Germany’s Next Topmodel’-Finalistin über Politik reden soll.“

Ein Interview mit einer Germany's Next Topmodel-Finalistin

Die Finalistin, der sie eine paar Stunden nach dem Tweet im Görlitzer Park in Berlin gegenübersitzt, heißt Rebecca Mir. Für Pro7 führt sie Wahlkampfinterviews, die eine junge Zielgruppe ansprechen sollen. „Rebecca“, sagt die Redakteurin, die daneben steht, „frag bitte, was denn Lady Gaga verdienen soll, wenn alle ihre Musik umsonst aus dem Internet runterladen dürfen?“ Anke Domscheit-Berg antwortet, dass sich häufiges Kopieren positiv auf die Verkäufe auswirke. Studien hätten das ergeben. Rebecca Mir wirkt skeptisch.

Die Forderungen der Piraten und die Realität

„Ich will die Menschen immer so gerne überzeugen“, sagt Anke Domscheit-Berg, ein wenig unzufrieden über den Gesprächsverlauf. Lady Gaga wird über die Runden kommen, schon klar, aber was sollen unbekanntere Musiker und Autoren verdienen, wenn ihre Werke umsonst im Netz vervielfältigt werden dürfen, wie es den Piraten vorschwebt? Medien müssten beispielsweise ihre Einnahmequellen erweitern, erklärt sie: Spenden akquirieren, Merchandising anbieten. „Von den Alten werden es nur die Besten schaffen“, sagt sie. Es ist ein wirtschaftsliberaler Qualitätsbegriff: Der Beste ist für sie offenbar, wer kommerziell am erfolgreichsten ist. Doch es werde auch viele neue Medien geben. Außerdem forderten die Piraten das bedingungslose Grundeinkommen, monatliches Geld für alle, was Kulturschaffende dann beziehen könnten.

Doch all dies klingt wohlfeil, wenn man überlegt, dass Anke Domscheit-Berg zurzeit ausgerechnet von bezahlter „Autorentätigkeit“ lebt. Genaueres will sie nicht sagen, nur dass das, was sie schreibt, verkauft und nicht verschenkt wird. Mitunter schreibe sie auch umsonst. Ihr Mann finanzierte sich eine Weile lang von seinem Anteil an den Filmrechten.

Piraten profitieren nicht von der Überwachung

Das freie Kopieren im Netz ist das zentrale Wahlgeschenk der Piraten an ihre Klientel – und damit unantastbar. Ähnlich wie es das Betreuungsgeld für die CSU war. Denn die von den Amerikanern abgegriffenen Datenmassen scheinen die Menschen nicht in großer Zahl den Piraten zuzutreiben. Die Umfragewerte stagnieren, und auf der Kundgebung am Großen Stern sind fast so viele Piratenpolitiker wie andere Protestierende. „Krass wenig Leute hier. Dafür, dass wir dauernd überwacht werden“, sagt ein junger Mann zum Parteichef Bernd Schlömer. In ihrer Rede vor den Demonstranten versucht Anke Domscheit-Berg, das Thema zu emotionalisieren. „Ich war 21 Jahre alt, als die Mauer fiel“, sagt sie in ihrer Rede. In der DDR habe sie erlebt, wie ihre Briefe geöffnet ankamen. „Dieses schreckliche Gefühl, ich habe es gehasst. Es kommt zurück. Das macht mir Angst.“

Bundestagsmandat ohne Bedeutung

Für Anke Domscheit-Berg persönlich macht es im Grunde keinen Unterschied, ob es die Piraten ins Parlament schaffen: Nur bei einem exorbitant hohen Wahlergebnis würde sie in den Bundestag einziehen. Die Brandenburger Piraten haben sie lediglich auf den zweiten Listenplatz gesetzt. Doch sie will sich nicht beklagen. Sie habe, sagt sie sinngemäß, ein Bundestagsmandat nicht nötig. Sie bringe ein „Opfer“, weil sie die digitale Zukunft mitgestalten wolle. „Karrieremäßig war ich schon mal ganz woanders.“ Sie ist wirklich selbstbewusst. Und als ehemalige Grüne aus dem Osten, sagt sie, habe sie einen langen Atem. „Da hatte es auch immer geheißen, in den neuen Ländern schaffen es die Grünen nie in einen Landtag. Es ist anders gekommen.“

Erschienen auf der Reportage-Seite.

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