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Hartz-IV-, Kriegs- und Überwachungsbefürworter: Wie auf diesem Protestplakat in Facebookoptik sehen viele im Netz Joachim Gauck.

© dpa

Lehren aus dem Gauck-Bashing: Der netztypische Absolutheitsanspruch der Gemütsterroristen

Als einer der ersten kritisierte Christian Jakubetz zu Wochenanfang die Art und Weise, wie im Netz Kritik an Joachim Gauck geübt wurde. Dafür wurde er selbst angefeindet. Vor diesem Hintergrund schreibt er heute für uns über das Diskussionsklima im Netz und außerhalb.

Halten wir das gleich zu Beginn fest: Es gibt keine Netzgemeinde. Es gibt unzählige Menschen in diesem Ding namens Netz, und es gibt wie im echten Leben ein paar Schreihälse. Das Dumme ist nur, dass die gerne von sich behaupten, sie sprächen für die (Netz-)Gemeinde. Und dummerweise gibt es auch immer welche, die meinen, dass diejenigen, die von sich behaupten, für alle zu sprechen, tatsächlich für alle sprechen.

Was dabei gerne herauskommt, ist eine Art netzlicher Absolutheitsanspruch schmallippiger Gemütsterroristen. Der lässt die Möglichkeit außer Acht, dass es neben Schwarz und Weiß auch noch Grau gibt. In etwa so, wie es ein knorriger bayerischer Zeitungsredakteur schon vor 25 Jahren, vermutlich ungewollt hintersinnig, auf den Punkt brachte: „Das ist meine Meinung und auch richtig.“ Im konkreten Netz-Fall: Du bist im Netz und musst rigoros gegen ACTA sein. Du bist im Netz und darfst deshalb Gauck keinesfalls für „your president“ halten. Gauck ist nicht deiner Meinung und deswegen ungeeignet. Du bist im Netz und findest deshalb, dass Zeitungen ungefähr das Letzte sind.

Du denkst was anderes oder hast leise Zweifel am grundsätzlichen Dagegen-Reflex? Dann bist du nicht im Netz oder hast dort wenigstens nichts verloren. Bevor ich übrigens aus dem Netz fliege und von der nichtexistenten Gemeinde geächtet werde: Ich habe große Zweifel an ACTA, leise Zweifel an Joachim Gauck, und ob eine solche Kolumne in 15 Jahren noch zuerst auf Papier erscheint, bezweifle ich auch. Trotzdem durfte ich mir diese Woche solch nette Bezeichnungen wie „hirnloser Hetzer“ anhören, weil ich öffentlich gefordert hatte, man möge doch bitte Kritik an Gauck wenigstens anhand von vollständigen Zitaten üben. Grau ist eben nicht so eindeutig einzuordnen wie Schwarz oder Weiß und im rasenden täglichen Neuigkeitenstrom wird Schwarz eh besser wahrgenommen.

Wahr ist leider auch, dass es mit der analogen Gemeinde nicht sehr viel besser aussieht. Die Kritik an der Kritik an Gauck ist dort vielfach so missverstanden worden, als sei sie eine allgemeine Kritik am Netz. Die ACTA-Kritiker sind demnach in Wirklichkeit alles Musik- und Bilderdiebe, die zudem für ordentlichen Journalismus nichts bezahlen wollen.

Schwierige Tage also, wenn man als bloggender Journalist (oder umgekehrt) einen blogartigen Text für eine Zeitung schreiben soll, der für eine bestimmte Haltung Position beziehen soll, dabei aber gleichzeitig in Betracht zieht, dass nicht alles, was der andere sagt, vollständig bescheuert sein muss. Auf der anderen Seite: Das ist Demokratie, das ist Journalismus. Journalisten, das schrieb schon Hanns Joachim Friedrichs vor vielen Jahren, säßen am besten da, wo sie hingehören: zwischen allen Stühlen.

Christian Jakubetz

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