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Filmprojekt: Life in a Day - Google hat verstanden

Die Youtube-Produktion "Life in a Day" ist nicht nur ein einzigartiges Filmexperiment, sondern auch ein kluger Schachzug des Mutterkonzerns Google.

Es ist hinreißend, sich im Bett völlig fremder Menschen wieder zu finden. Durch die Linse einer Kamera sieht man ihnen dabei zu, wie sie aufwachen, wie sie gähnen, sich strecken, sich die Zähne putzen, schlaftrunken Frühstück zubereiten. Es ist der 24. Juli 2010. Ein Tag auf Erden wie jeder andere. Ein Tag im Leben von rund 6,9 Milliarden Menschen.

Youtube-Nutzer auf der ganzen Welt haben ihn liebevoll dokumentiert. Ihre Aufnahmen haben sie für ein einzigartiges Filmprojekt auf der Videoplattform Youtube hochgeladen. Die Hollywood-Regisseure Ridley Scott und Kevin Macdonald flickten die Schnipsel zu einer Dokumentation in Spielfilmlänge zusammen.

In der Nacht zu Freitag feierte das Werk seine Premiere auf dem alternativen Sundance Film Festival in den USA. Es wurde live in die Welt übertragen. Am Freitagabend kam schließlich auch das europäische Publikum in den Genuss – per Livestream-Wiederholung im Internet.

Bei der Verbreitung des Films hält es Youtube also eher traditionell. Nach guter alter Glotzkisten-Manier hat sich der Zuschauer zu einer bestimmten Zeit vor seinem internetfähigen Gerät einzufinden. Übertragung verpasst? „Weitere Ausstrahlungen für 2011 werden bald hier bekannt gegeben“, lautet die Antwort auf dem Youtube-Kanal von „Life in a Day“. Der Schrecken der audiovisuellen Medienbranche spielt nach den Regeln des „alten“ Fernsehens. Für jeden Youtube-Nutzer ist das eine lästige Überraschung. Youtube-Nutzer sind es gewohnt, jeden Inhalt jederzeit verfügbar zu haben – kostenlos, bedingungslos. Eine Übertragung wie im Fernsehen ist nicht ihr Ding.

Andererseits ist die Verschmelzung von Fernsehen und Internet bereits Tatsache, und dass die Medienanbieter darauf eingehen eine logische Konsequenz. Videoinhalte machen einen wachsenden Anteil am globalen Datenverkehr aus. Unter den 14- bis 19-Jährigen nutzen 95 Prozent regelmäßig Videoplattformen im Internet. In der Altersgruppe 20 bis 29 sind es 85 Prozent. Youtube ist in diesem Bereich unbestrittener Marktführer, auch in Deutschland.

Mit dem Projekt „Life in a Day“ beteiligte sich jedoch zum ersten Mal ein reiner Internetkonzern am Film- und Fernsehgeschäft. Nicht umsonst hat sich Youtube zwei Hollywood-Größen ins Boot geholt, die nicht nur das nötige Handwerk meisterhaft verstehen. Sie verleihen dem Projekt auch Namen mit Donnerhall. Da war der Weg zum Sundance Film Festival nicht mehr weit.

Ganz falsch ist „Life in a Day“ dort natürlich nicht. Die Idee, die Internetcommunity einen Film produzieren zu lassen, ist bahnbrechend. Die überwältigende Beteiligung spricht für sich: 80.000 Beiträge aus 197 Ländern wertete das Team rund um Regisseur Kevin Macdonald aus, insgesamt 4600 Stunden Videomaterial. Das Ergebnis ist eine faszinierende Dokumentation des Alltags.

Youtube zeigt in dem Film unmissverständlich: Wir können etwas, das keiner kann. Clips mit belanglosem Inhalt und schlechter Qualität erzielen über das Videoportal eine Publikumsreichweite, von der TV-Sender nur träumen können. Pro Tag werden zwei Milliarden Videos abgerufen. Pro Minute sorgen 35 weitere Stunden Videomaterial für eine unversiegbare Quelle an bewegten Bildergeschichten. Glaubt man den Experten, liegt der besondere Reiz an Youtube-Videos in ihrer Authentizität.

Alles echt? Daran kommen immer wieder erhebliche Zweifel auf. Auch bei „Life in a Day“ sieht nicht alles echt aus. Hier und da wurde nachgeholfen. Ridley Scott schickte über seine Produktionsfirma „Scott Free Productions“ professionelle Kamerateams in die entlegenen Winkel der Erde. So sollte der Film seinem Titel auch gerecht werden. Denn dass die Nutzer von Youtube nicht in der kenianischen Savanne, sondern mehrheitlich in den USA, Europa und Australien leben, liegt auf der Hand.

Mit der Welt-Doku „Life in a Day“ markiert der Youtube-Mutterkonzern Google einmal mehr sein Revier. Kein anderer Medienkonzern kann sich rühmen, ein globales Verbreitungsgebiet zu haben. Kein anderes Unternehmen hat sich den Titel „Weltkonzern“ mehr verdient als Google. Das könnten manche als eine Bedrohung empfinden. „Life in a Day“ setzt aber ein beschwichtigendes Signal: „Wir kümmern uns um die Belange der Welt“, scheint der Film sagen zu wollen. Google tritt als Förderer von Kunst, Kultur und Weltfrieden auf und folgt damit treu seinem Leitspruch „don’t be evil“ – „tu nichts Böses“.

Einen Schritt auf die Film- und Fernsehbranche zuzugehen und sich als würdigen und fähigen Kooperationspartner zu präsentieren, kann man als einen cleveren Schachzug des Internetriesen sehen. Schließlich ist Youtube den etablierten Medienkonzernen schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Die Bemühungen, das Imperium zu zerschlagen sind ebenso zahlreich wie vergeblich. Wenn Google nun seine Arme in eine neue Richtung ausstreckt, dürfte das nicht nur Begeisterung, sondern auch viel Misstrauen auslösen. Dabei geht es um ein einfaches Prinzip: Feinde, die man nicht besiegen kann, soll man sich zu Freunden machen. Google hat das verstanden.

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