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Interaktive Spiele: Mit Vollgas in die neue Spielsaison

Viele der 200 Gamescom-Premieren sind Fortsetzungen, die die Fans dennoch begeistern werden.

Game-Designer Warren Spector gehört zu den angesehensten Vertretern seiner Zunft. Mit Titeln wie „System Shock“ oder „Deus Ex“ hat der 55-jährige Amerikaner Videospielgeschichte geschrieben: Düsteren Cyberpunk-Visionen, die maximale Handlungsfreiheit gewähren und keine moralischen Vorgaben machen. Dass Spector stets für Überraschungen gut ist, zeigt sein neues Werk „Epic Mickey“: Aus der keimfreien Disney-Kultfigur wird wieder die anarchische Maus der frühen Zeichentrickjahre. Mit ihr erlebt der Spieler an der Wii-Konsole von Nintendo Abenteuer in einem Paralleluniversum vernachlässigter Disney-Kreaturen – Mickeys „Waffen“ sind Zeichenfarbe und Farbverdünner. „Epic Mickey“ ist nur eines von zahlreichen Highlights auf der Videospielmesse Gamescom in Köln. Gut 200 Premieren warten auf die Besucher, die noch bis Sonntag zu Hunderttausenden aufs Messegelände strömen werden.

Besonders auffällig bei der diesjährigen Gamescom ist, dass an allen Ecken und Enden gehampelt, gekickt und geboxt wird. Mit großer Vehemenz versuchen die Konsolenhersteller Sony und Microsoft, neue Bewegungssteuerungen unters Gamervolk zu bringen und Nintendos Wii Marktanteile abzunehmen (siehe Kasten). Auch gibt sich Sony Mühe, das Thema 3-D-Games voran zu bringen. Actionspiele wie „Motorstorm: Apocalypse“ sollen die dafür notwendigen, aber teuren Bildschirme und Shutterbrillen attraktiv machen. Auf der Gamescom lässt sich die Hardware zwar an einigen Ständen ausprobieren. Ob Sonys Stereoskopie-Offensive ein Erfolg wird, dürfte sich aber frühestens 2011 zeigen, wenn die genannten 3-D-Titel erscheinen.

Die Mehrzahl der Gamescom-Besucher will ohnehin lieber Spiele aus den klassischen Genres Strategie, Rollenspiel, Shooter und Autorennen testen – und nimmt dafür auch mehrstündige Wartezeiten vor den tempelähnlichen Messeständen in Kauf. Erstmals lässt sich in Köln das Fantasy-Epos „Dragon Age 2“ spielen – nach dem Erfolg des ersten Teils ein Muss für jeden Fan von Solo-Rollenspielen. „Fable 3“ lässt den Spieler in die Haut eines Herrschers schlüpfen – mit allen Vor- und Nachteilen, die der Politikjob mit sich bringt. Bei den Multiplayer-Rollenspielen hat Marktführer „World of Warcraft“ zwar mit „Cataclysm“ eine Erweiterung am Start, muss sich aber zunehmender Konkurrenz durch „Guild Wars 2“ und „Star Wars: The Old Republic“ erwehren. Eine jüngere Zielgruppe spricht „Lego Universe“ an, das ebenfalls auf der Gamescom gezeigt wird. Bei den Lebenssimulationen präsentiert Electronic Arts mit „Die Sims – Mittelalter“ ein komplett eigenständiges Spiel – inklusive Minnesang, Pranger und Streckbank.

Für Rennspielfans lohnt sich die Gamescom in diesem Jahr besonders. Von der realitätsnahen Rennsimulation bis zum wilden, die Gesetze der Physik missachtenden Arcade-Racer wird alles geboten. Besonderes Augenmerk gilt „Gran Turismo 5“, das Sony Ende November nach jahrelanger Verzögerung herausbringt. Die Trümpfe von GT5 sind eine detaillierte Grafik und die gewaltige Auswahl an Strecken und Fahrzeugen, zur vollwertigen Simulation fehlt allerdings ein realistisches Schadensmodell. Entwickler Codemasters zeigt auf der Gamescom die Formel-1-Simulation „F1 2010“, die Ende September erscheint und mit realistischen Witterungsbedingungen beeindruckt. Der Arcade-Racer „Need for Speed: Hot Pursuit“ schließlich bietet wilde Verfolgungsjagden mit der Polizei, kann aber ebenso wenig durch Originalität überzeugen wie „Nail’d“.

Wirklich originelle Spielideen sind auf der Gamescom allerdings Mangelware. Die meisten Hersteller beschränken sich darauf, bestehende Konzepte geringfügig zu verändern. Im Musikspiel „Rock Band 3“ ist die größte Neuerung die Einführung eines Keyboardcontrollers. Konkurrent „Guitar Hero: Warriors of Rock“ versucht mit einer Hintergrundgeschichte zu punkten, in der nach und nach neue Charaktere freigeschaltet werden. Auch nicht ganz taufrisch, aber immerhin spannend ist das Duell der beiden Fußballsimulationen „Fifa 11“ und „Pro Evolution Soccer 2011“. In Sachen Spieldynamik und Steuerung hatte „Fifa“ zuletzt die Nase vorne, „PES“ punktete mit Strategieoptionen und Realismus. Auf der Gamescom offenbarte die Steuerung von „PES 2011“ einige Schwächen – hier sollte Hersteller Konami bis zum Erscheinen im Oktober nachbessern.

Die jahrelange „Killerspiel“-Diskussion hat dem Shooter-Genre nichts anhaben können. Im Gegenteil: Auf der Gamescom sind die Messestände, an denen Spiele wie „Call of Duty: Black Ops“ oder „Medal of Honor“ gezeigt werden, von Besuchertrauben umringt. Die Hersteller werben mit kriegerischem Realismus. Schauplatz von „Medal of Honor“ ist Afghanistan. Noch einen Schritt weiter geht das Spiel „Homefront“, das den Konflikt auf US-amerikanischen Boden verlagert. Hohe Verkaufszahlen dürften allen diesen Ab-18-Titeln sicher sein. Unlängst hat das Kriegsspiel „Modern Warfare 2“ die Schallmauer von weltweit 20 Millionen verkauften Exemplaren durchbrochen.

Dass es nicht nur kriegerisch, sondern auch kreativ geht, zeigt der Nachfolger des Playstation-Hits „Little Big Planet“. Der erste Teil bot einen leistungsfähigen Level-Editor für die Hindernisläufe der drolligen Sackboys. Teil 2, der im November erscheint, ist ein Baukasten für völlig eigenständige Spiele, vom 2-D-Labyrinth bis zum 3-D-Hüpfabenteuer. So wird der Spieler zum Game-Designer – Warren Spector wird es freuen.

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