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Nichts für Kinder. Der Mord von Annas Mutter und Bruder wird zwar nicht direkt gezeigt, doch die Furcht der Achtjährigen (Julie-Helena Sapina) sagt genug.

© WDR

Erster "Tatort" der neuen Saison: Kölner Trauerspiel

Die Kommissare Ballauf und Schenk eröffnen mit der Tragödie „Durchgedreht“ die neue „Tatort“-Saison. Das Urteil des Kritikers: Unspektakulär, aber nicht langweilig.

Der „Tatort“ beendet die Sommerpause? Falsch, der „Tatort“ kennt gar keine Sommerpause. Acht verschiedene Folgen wurden allein in der vergangenen Woche im Ersten, in EinsFestival oder in den Dritten Programmen wiederholt. Macht rund 80-mal Krimi-Königsklasse im zehnwöchigen Fernseh-Sommerloch, das die ARD wohl mühelos allein mit seiner populären Reihe füllen könnte. Während in Rio noch die letzten Olympia-Medaillen verteilt werden, wird vom heutigen Sonntag an mit frischen Folgen aufgestockt. Im November soll dann die offiziell 1000. Folge ausgestrahlt werden.

Aber ein bisschen Novemberstimmung kommt jetzt schon auf. Denn Nummer 990 – die Nummer 67 aus Köln – wird kein Spaß. Schwermütige Klaviermusik begleitet die vom Seelenschmerz gezeichneten Gesichter. Und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär), diese anständigen Ermittler, denen das „Tatort“-Leben manche Furche gezogen hat, wirken noch mitgenommener als sonst. In „Durchgedreht“ will die achtjährige Anna gerade ihr Kaninchen mit einer Möhre füttern, als sie beobachtet, wie sich ein maskierter Fremder ins Haus schleicht. Er wird ihren jüngeren Bruder und ihre Mutter töten. Sie selbst überlebt nur, weil der Täter sie nicht findet.

Die Rache von gepiesackten Steuerzahlern?

Während die Polizei am nächsten Tag im Reihenhaus die Spuren sichert, kehrt der Familienvater heim: Sven Habdank, ans Herz gehend gespielt von Alexander Beyer, ist Steuerfahnder und befand sich zur Tatzeit angeblich in einem Frankfurter Hotel. Er scheint tief getroffen, aber es ergeben sich Ungereimtheiten. Sein Alibi platzt, zwischen seiner Frau und seinem Bruder Michael (Christian Erdmann) gab es offenbar eine tiefe Freundschaft, und dann hatte der Witwer vor dem Verbrechen auch noch einen Vaterschaftstest bestellt. War also Eifersucht das Motiv? Oder rächten sich gepiesackte Steuerzahler an Habdanks Familie?

„Der Sven ist schon so ein Terrier“, sagt sein Kollege Schwarzhaupt (Oliver Bröcker) im Finanzamt. Zuletzt hat Habdank einem Bauunternehmer und einem Journalisten zugesetzt, und die halten nun wütende Reden gegen den Staat und die Unfairness seiner Steuerfahnder. Ballauf und Schenk kontern trotzig, bleiben aber nicht ganz unbeeindruckt. Da ist der Kölner „Tatort“, wo gesellschaftlich Relevantes zuverlässig seinen Platz findet, ganz bei sich – auch wenn Ole Winthir (Peter Benedict) mit seiner schicken Wohnung, dem Sportwagen und dem Millionenkonto in der Schweiz so grandios untypisch ist für freie Journalisten, worauf der Autor an dieser Stelle gerne einmal hinweisen möchte. Winthir windet sich dreist heraus aus der Nummer mit der Steuerhinterziehung, ganz im Gegensatz zum Unternehmer Pit Benteler (Max Herbrechter), den der Bankrott seiner Firma ins Mark trifft. Traurig auch dieser Abstecher in die Welt des Mittelstands. So werden diverse Spuren gelegt und auf die solide „Tatort“-Art ermittelt. Mit mal mehr, mal weniger gewitzten Dialogen und zwei Kommissaren, die milde aneinander geraten, weil Familienmensch Schenk viel Verständnis für den verdächtigen Habdank entwickelt. Und natürlich für das traumatisierte Kind, die einzige Zeugin, die Ballauf am liebsten sofort befragen möchte.

Die junge Anna (Julie-Helena Sapina) ist erst mal bei ihrer Tante und deren Mann untergekommen, bei Hilde und Gunnar Schwalb (Nicola Schössler, Stephan Szász). Spielzeug-Geschenke und alles gute Zureden der Kommissare helfen nicht, Anna bleibt stumm, trotz einer Therapie, in der sie immer wieder den Täter zeichnet, ohne ihn identifizieren zu können.

Ein Produkt verschiedener "Tatort"-Generationen

„Durchgedreht“ ist das Produkt verschiedener „Tatort“-Generationen: Das Drehbuch verfasste der erfahrene Norbert Ehry, der schon in den 1980er-Jahren seine ersten Folgen für die Krimireihe schrieb. Die Regie führte die in der DDR aufgewachsene Dagmar Seume, eine ehemalige Kunstturn-Trainerin, die nach der Wende ins Filmfach wechselte. Für den WDR hat sie nun einen unspektakulären, ruhigen, aber aufgrund der Figuren nicht langweiligen Film inszeniert. Sie lässt den Darstellern vergleichsweise viel Raum. Andererseits wäre weniger mehr gewesen: Weniger klavierklimpernde Melancholie, weniger Dialogroutine und ein weniger in die Länge gezogenes Finale, dessen Teil-Happy-End sich immerhin konsequent anfühlt. Bonjour Tristesse, „Tatort“.

„Tatort – Durchgedreht“; ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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