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Gezappt wird heute weniger, obwohl es mehr Sender zur Auswahl gibt. Foto: dpa

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Es muss nicht immer Zapping sein: Fan-Fernsehen

Weniger Programme werden intensiver genutzt: Wie Zuschauer auf Angebotsexplosionen reagieren.

Fernsehen expandiert. Konnte ein Haushalt 2010 im Schnitt unter 78 Programmen wählen, so war es 2000 nur knapp die Hälfte, sprich 38 Programme. Die Frage ist, ob die Beweglichkeit der Sender größere Bewegungen im Publikum auslöst. Die Verbreiterung des Angebotes hat die fünf Spitzenreiter bei der Nutzung – ARD, ZDF, RTL, Sat 1 und Pro Sieben – in den Jahren der Programminflation nicht vom Thron gestoßen, wohl aber deren Marktanteile zusammenschmelzen lassen. Anfang der 90er Jahre erreichten die Spitzensender noch Marktanteile von 30 Prozent, 2011 musste sich Marktführer RTL bereits mit 14,1 Prozent begnügen. Entsprechend sind die Tagesreichweiten zurückgegangen. Das Erste sank von 30,04 Millionen (2000) an einem Durchschnittstag auf 27,32 Millionen (2010), RTL meldet einen Verlust von 27,07 auf 24,93 Millionen, Sat 1 hat es am stärksten erwischt: 24,03 Millionen in 2000, 19,92 Millionen zehn Jahre später. Die Verluste der Großen korrespondieren mit den Gewinnen der Kleinen, sprich Vox, Kika, Phoenix oder Arte. „In der Hauptsache sind es die kleinen Sender, welche in diesem Zeitraum eine positive Entwicklung zu verzeichnen hatten“, schreiben Bärbel Peters, Kerstin Niederauer-Kopf und Matthias Eckert in ihrer Studie „Die individualisierte Fernsehnutzung“, erschienen in „media perspektiven“.

Das Medium kann bemerkenswerte Zuwachsraten für sich reklamieren. Die Verweildauer pro Zuschauer an einem Durchschnittstag ist von 261 Minuten (2000) auf aktuell 311 Minuten geklettert. Dies entspricht einem Plus von 49 Minuten pro Tag oder 18,8 Prozent. Der Zugewinn verteilt sich über alle Altersgruppen, bei den Drei- bis 13-Jährigen (von 156 auf 165 Minuten) ist er am geringsten und in der Gruppe der 50- bis 69-Jährigen am stärksten (von 275 auf 351 Minuten).

Das Phänomen – sinkende Senderreichweiten bei zugleich wachsenden Zeitbudgets in allen Altersgruppen – spiegelt die Entwicklung wider, nach der die Zuschauer, wenn sie bestimmte Programme einschalten, dort länger verbleiben. Das „Fan-Fernsehen“ wächst. „Die Sender haben weniger Zuschauer, diese Zuschauer sehen aber ,ihre’ Programme immer länger“, heißt es in der Studie.

Entscheidend ist hier der jeweilige „Relevant Set“, sprich der Satz an Fernsehprogrammen, der mindestens 80 Prozent der individuellen Nutzung ausmacht. Im Mai 2011 verfügten Fernsehzuschauer in Deutschland über ein Relevant Set von 4,9, also fünf Sendern. Heißt: Fünf Sender machen wenigstens 80 Prozent der persönlichen Fernsehnutzung aus. Bemerkenswert ist die Beobachtung, dass bei Kindern und bei Senioren der Relevant Set schmaler ist, sprich weniger „Lieblingsprogramme“ zum Fernsehvergnügen auf der Fernbedienung gedrückt werden müssen. Der Relevant Set scheint in einer Zuschauerbiografie eine konstante Größe. Er lag 1996 auf dem Niveau von 2011, der zwischenzeitliche Höhepunkt 2006 bei durchschnittlich 5,6 Sendern. Intensive Nutzung übertrumpft extensive Nutzung, Gewohnheit schlägt Neugier.

Das Erste ist dabei bei 62 Prozent der Zuschauer im Relevant Set vertreten, RTL folgt mit 59 Prozent. In jedem Set gibt es eine Vielzahl von Kombinationen, die häufigste Top-3-Kombination mit elf Prozent ist die Variante aus ARD, ZDF und einem Dritten. Danach folgt die Kombination aus ARD, ZDF und RTL.

Mit dem Ersten verweilen die Zuschauer am Samstag dank „Sportschau“ am längsten (83 Minuten), die Dritten (88 Minuten) und das ZDF gewinnen den Sonntag. Unter der Woche registriert RTL mit Ausnahme des Mittwochs, an dem Sat 1 mit 88 Minuten und einer Minute Differenz knapp vorn liegt, die höchste Nutzungsdauer. Für alle Programme gilt: Je kürzer ein Format, desto länger bleiben die Zuschauer dran, wie bei der „Tagesschau“ . Joachim Huber

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