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Walter White (Bryan Cranston).

© Arte

Fernsehen und Geld verdienen: Besuch in einem Junkie-Treff

Mit Seriengucken Geld verdienen: Ein ungewöhnliches Berliner Start-up hängt an Don, Walter, Brody & Co. Serienjunkies.de weiß sogar, was du in den Werbepausen machst.

An der Wand hängen Poster von „True Blood“, „Entourage“ oder „Sons of Anarchy“. Auch der berühmte gelbe Overall, den Drogenbaron Walter White in der preisgekrönten Serie „Breaking Bad“ in seinem Labor trägt. Dazu viele Bilder von Treffen mit bekannten Seriendarstellern. Man muss sich Hanna Huge und ihre Kollegen in ihren Redaktionsräumen in Berlin-Friedrichshain als glückliche Menschen vorstellen. Den ganzen Tag Fernsehserien schauen, den Liebhabern dieser Formate Stoff zum Nachdenken liefern und dann auch noch Geld dafür bekommen. Hanna Huge ist Geschäftsführerin von serienjunkies.de, einer Website, die sich ganz und gar einer Leidenschaft verschrieben hat: Fernsehserien, Schwerpunkt Amerika und England.

Vorab schauen, was in den USA, beziehungsweise im Pay-TV schon läuft und demnächst nach Deutschland ins Free TV kommt, dazu Artikel schreiben, über jede einzelne Folge, Szene für Szene, im Podcast diskutieren, das bis zu 70 Mal die Woche – um nichts anderes kümmern sich zehn Festangestellte, zwei Praktikanten und fünf Freie ganztägig. Ein Traumjob für diejenigen, denen das Innenleben eines Don Draper („Mad Men“), eines Brody („Homeland“) oder eben Walter White fast wichtiger ist als das Leben drum herum. Was man dafür bekommt, möchte Hanna Huge nicht genau verraten. Die Bezahlung soll sich auf „taz“-Niveau bewegen.

Eine Erfolgsgeschichte. Die Serienjunkies haben mehr als eine Million Unique User monatlich, der Zugriff hat sich allein in den vergangenen zwölf Monaten verdoppelt, im zehnten Jahr des Bestehens der Seite. Im Schnitt gibt es 5000 Klicks pro besprochene Podcast-Folge, nachzuhören auch bei iTunes Deutschland. Eigene Videos zeigen darf das Special-Interest-Portal aus lizenzrechtlichen Gründen natürlich nicht. Aber ihre Nutzer wissen, wo sie sich mit Serienstoff zu versorgen haben: im Fernsehen, vor allem aber auf Video-on-Demand-Portalen im Internet, wo doch die Zeitspanne zwischen amerikanischem und deutschem Serienstart immer noch hoch ist. Die Fans wollen nicht ein halbes Jahr warten, um zu wissen, wie es bei „Breaking Bad“ weitergeht. Die letzte Staffel läuft derzeit auf Arte. Nicht nur Hanna Huge weiß längst, wie es mit Walter White endet.

Das musste wohl so kommen

Serienjunkies.de wurde 2003 von Hanna Huge und Mariano Glas gegründet. Seit den 1980ern schaut Hanna leidenschaftlich TV-Serien. „Ich komme aus einem Super–Fernsehhaushalt. Meine Eltern haben bei der ARD gearbeitet. Das musste wohl so kommen.“ Zurzeit sind es rund 25 Stunden die Woche, die sie mit dem Leben der anderen Serienfiguren verbringt. Anders als bei Spielfilmen interessiere Hanna Huge bei Serien, dass man eben sehr viel mehr Zeit am Stück mit den Figuren verbringt, ihre Charakterbildung nachvollziehen kann. Das kann schon mal süchtig machen. Zum Beispiel bei Brenda oder Claire aus „Six Feet Under“, neben „Twin Peaks“, aktuell „The Good Wife“ oder „Babylon 5“ eine ihrer All-Time-Favorites-Serien. Auf Huges Schreibtisch steht neben gleich zwei PCs ein großer Taschenrechner. Sie muss sich um die Vermarktung kümmern.

Viele Start-up-Unternehmen, auch hier im Berliner Friedrichshain in der ehemaligen Hausbesetzerszene, ringen ums Überleben. Finanziell scheinen die Serienjunkies dank kalkulierter Vermarktung und reichlich Werbung in guten Bahnen. Sky Atlantic ist als Sponsor miteingestiegen. Der Müncher Pay-TV-Sender, der selber zahlreiche der hier besprochenen Serien im Programm hat, weiß, wo vielleicht zukünftige Abonnenten zu haben, zu ködern sind. Fernsehsender möchte man sich im Grunde aber nicht ins Boot holen. Stichwort: Unabhängigkeit. „Wir wollen die zehnte Staffel von ,Grey’s Anatomy’ beispielsweise schon mal doof finden“, sagt Hanna Huge, „ohne dass wir Ärger mit dem ausstrahlenden Fernsehsender bekommen.“

Serienjunkies.de ist zu 100 Prozent eigenfinanziert. 1300 besprochene Serien stehen auf der Website, dazu Foto- und Video-Galerien, Hinweise auf DVD-Neuerscheinungen, aktuelle Nachrichten rund ums Fernsehgeschäft. Sämtliche in Übersee und Deutschland startende Serien werden aufgelistet. Ein Ausbau ist geplant mit dem Projekt „serienradar.de“. Die Website soll ermitteln, welche Serien bei Twitter wie oft und in welcher Weise erwähnt werden. Second Screen heißt das Zauberwort, Futter für Mediaplaner. So kann die Reaktion der Serienfans in den Werbepausen ermittelt werden.

Um Hanna Huges Reaktionen muss man sich keine Sorgen machen. Sie macht einen ausgesprochen entspannten Eindruck, genauso wie ihre – überraschend unnerdig aussehenden – Kollegen in den 120 Quadratmeter großen, mit seinen zusammengewürfelten Schreibtischen etwas provisorisch wirkenden Büroräumen. Serienkonsum soll nach einer aktuellen Zuschauerforschung des Seriensenders Fox beruhigend wirken. Zwar führte eine Horror-Szene aus „The Walking Dead“ zu einem etwas höheren Stresslevel als eine Comedy-Szene. Doch trotzdem sei selbst dann der Stress-Level niedriger gewesen als zum Zeitpunkt, als gar keine Serie geschaut wurde. Dies lasse laut Studie den Schluss zu, dass eine TV-Serie beziehungsweise der Akt des Fernsehens insgesamt eine eher beruhigende Wirkung auf den Körper hat.

Damit kann man sich künftig also zumindest wissenschaftlich dafür rechtfertigen, vor dem Schlafengehen noch eine Serie zu schauen. Es muss ja nicht „Walking Dead“ sein. Die Zombieserie mag Hanna Huge sowieso gar nicht.

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