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Thomas Gottschalk war Studiogast bei Günther Jauch. Es ging um den Tod von Udo Reiter.

© dpa

Fernsehkritik: Günther Jauch überzeugt - dank Thomas Gottschalk

Was erst nach einer Nachrufsendung für Udo Reiter aussah, entwickelte sich rasch zu einem wertvollen Talk. Auch, weil Thomas Gottschalk bei "Günther Jauch" saß.

Vor wenigen Tagen hat sich der frühere MDR-Intendant Udo Reiter erschossen. Als er noch  Hörfunkdirektor beim BR war, hat Reiter Thomas Gottschalk entdeckt. Aus der professionellen Beziehung wurde eine Freundschaft. Thomas Gottschalk ist eng auch mit Günther Jauch befreundet, beim BR hatten sie sich kennen und schätzen gelernt. Am Sonntag wird aus dieser Freundschaft wieder eine professionelle Beziehung. Gottschalk ist Gast bei „Günther Jauch“. Thema: „Udo Reiters letzter Wille – Dürfen wir selbstbestimmt sterben?“ Wird hier passend gemacht, was passen soll? Der Selbstmörder Reiter, der zuschauerattraktive, weil sehr prominente Gottschalk, der Deutschen Lieblingstalkmaster Jauch. Wird das Sterben, nach dazu in der extremen Form der Selbsttötung, zum Quotenkampfmittel?

Udo Reiter hätte solche Bedenken laut weggelacht. Er saß seit 1966 im Rollstuhl, er wollte zeitlebens, dass über das selbstbestimmte Sterben - „Mein Tod gehört mir“ - offen und öffentlich gesprochen wird; zuletzt vertrat er diese Position im Januar 2014 bei „Günther Jauch“. Sein Freitod hat das Thema aktualisiert, auch das Für und Wider. Und sein Freitod bestimmt die Anfangsphase der aktuellen Talkshow-Ausgabe. Sie ist ein überlanger Nachruf, ein Nekrolog, ein übertriebener Freundschaftsdienst von Gottschalk und Jauch für ihren Freund Udo. Das geht so weit, dass Jauch aus Reiters Abschiedsbrief zitiert: Der „will nicht als von anderen abhängiger Pflegefall enden“.

Jauch zitiert aus Reiters Abschiedsbrief

Ja, das ist sehr persönlich, das tangiert die Grenze, dass ein Menschenleben für eine Fernsehsendung herangezogen bis ausgebeutet wird. Einerseits. Andererseits hat das überaus komplizierte, komplexe Thema seinen Fall, seine Konkretion, seine Emotion, das Thema hat die Betroffenheitsebene erreicht. Udo Reiter hat erreicht, was er wahrscheinlich erreichen wollte: Beschäftigung mit dem Thema, dem keiner entkommen kann, selbst wenn er es noch so will.

Die Runde hat sich eingestellt. Dunkel-seriös die Kleidung (auch bei Gottschalk), konzentriert die Wortmeldungen (auch bei Gottschalk), überlegt die Moderation durch Jauch. Der Moderator holt die ethischen, ja philosophischen Anflüge stets wieder auf die Ebene des Handbaren, des Alltäglichen, zur Reiter-Entscheidung zurück. Der Tod ist kein Intellektueller, das Sterben auch nicht, das Reden darüber vielleicht schon.

Wie schon in der Januar-Ausgabe sitzt Franz Müntefering in der Runde: Ehemaliger Parteivorsitzender der SPD, ehemaliger Arbeitsminister, gläubiger Katholik. Er hat die Haltung von Udo Reiter so scharf kritisiert, wie er jetzt dessen Tat kritisiert. Die finde er nicht in Ordnung. Und schon gar nicht in Ordnung sei, wie Reiter mit seiner Freitod-Begründung Pflegebedürftige wie Pflegende herabsetzt. Jeder Mensch sei ein Unikat, sagt Müntefering, Demenz und Hinfälligkeit gehörten dazu. Der SPD-Politiker gerät sich mit Bettina Schöne-Seifert in die Haare. Die Professorin für Medizinethik plädiert für eine aktive Sterbehilfe, sie argumentiert vehement, trotzdem sie ihre Position schier um ihren Glanz bringt, weil sie das Komplexe im Thema noch komplizierter macht. Sie hat es schwer gegen einen Lebenspraktiker und Lebensbejaher wie Müntefering.

Nikolaus Schneider ist auch da. Er wird in drei Wochen als EKD-Ratsvorsitzender aufhören, weil er seine krebskranke Frau pflegen möchte – auf dem Weg zur Heilung oder auf dem Weg zum Tod. Seine Frau möchte in der Schweiz den todbringenden Cocktail trinken, ihr Mann möchte das nicht, wird sich einem solchen Finale aber nicht in den Weg stellen. Auch Schneider agiert wie der Rest der Runde: Er wirbt für seine Sicht der Dinge, zugleich lässt er sich von den Auffassungen der Mitdiskutanten bewegen.

Gottschalk, Müntefering, Schneider, das sind Betroffene. Für Günther Jauch, den Konkret-Talker des deutschen Fernsehens, eine nahbare, sicherlich gewünschte, ideale Position. Er hat mit Menschen in einer konkreten Situation zu tun. Das macht diese „Jauch“-Runde wertvoll. Sie ist intensiv, sie ist ernst ohne geheuchelte Ernsthaftigkeit. Bis auf den fragwürdigen Start und die Einspielfilme, die zu sehr „quietschen“, sprich, direkt am Hirn vorbei auf das Herz des Zuschauers zielen.

Zum guten Schluss fragt Jauch seine Gäste vor 4,34 Millionen Zuschauern noch, wie sie sich ihren eigenen Tod wünschen. Thomas Gottschalk verdrängt seinen. Er geht davon aus, dass er noch mit 74 Jahren bei Jauch sitzen werde wie jetzt Müntefering. Mehr Gottschalk in dieser Talkshow, das wäre nicht der Tod von „Günther Jauch“.

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