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Umgänglich. Einige Schattenseiten der Lichtgestalt bleiben bei der Dokumentation von Thomas Schadt (rechts) über Franz Beckenbauer unbeleuchtet.

© BR

Franz-Beckenbauer-Doku: Der Unantastbare

Die ARD schenkt Franz Beckenbauer einen Film zum 70. Geburtstag. Der Sendeplatz dafür erklärt einiges - vor allem das, was in dem Porträt ungesagt bleibt.

Über Tote soll man bekanntlich nicht schlecht reden. Dass dieses Diktum des Anstands auch für Lebende gilt, beschränkte sich indes auf solche in Ornat und Robe. Doch das ist lang her, theoretisch. Praktisch jedoch pflegt das Volk bis heute ein seltsames Schweigegelübde gegenüber den Missetaten seiner Regenten. Altkanzler etwa, denen man jede Unart im Amt verzeiht. Und Kaiser natürlich, sofern sie auf Rasen regiert haben. Den Beleg liefert ein Fernsehfilm, der am Mittwoch in Hamburg vorab gezeigt wurde. Er huldigt einem Herrscher, der am 11. September 70 Jahre wird und nun zum Jubelfeste gnädigst Audienz im ersten Programm gewährt: Franz Beckenbauer.

Thomas Schadt schenkt dem Ehrenspielführer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft Münchens Südosten ein Porträt und siehe da – es ist sehenswert geworden. Und missraten zugleich. 90 Minuten scheint nach dem „Tatort“ am 6. September die Sonne aufs Haupt jenes Liberos, der dem Sport eine neue Richtung gab. 18 Monate hat ihn das Team des preisgekrönten Filmemachers – „Der Mann aus der Pfalz“ über Helmut Kohl, „Der Rücktritt“ über Christian Wulff – begleitet, ist ihm in Archive voller Schwarz-Weiß- und Bonbonfarbenbilder gefolgt, zu den Stadien zwischen Giesing und Rom, Olympiapark oder New York, die einen Mythos zur Unsterblichkeit geformt haben. „Fußball - ein Leben: Franz Beckenbauer“ heißt der Film.

Mit seiner besonderen Fähigkeit, altes mit neuem Material fast sinfonisch zu arrangieren, ist dem Popstar des Dokumentarfilms ein Blick ins Wesen dieses weiß gereiften Über-Ichs des globalen Fußballs gelungen, der ihm nicht nur die Seele öffnet, sondern seine heiligen vier Wände. Nur wo genau die stehen – das hätte dem Autor schon mal einen Nebensatz wert sein können.

In Salzburg nämlich.

Ein Steuerparadies, zumindest von Beckenbauers bayerischer Heimat aus betrachtet, wo die Abgaben weit höher sind, was des Kaisers Ruf vom Fiskusflüchtling begründet. Aber im Film? Kein Wort davon! Wie so viele Schattenseiten der Lichtgestalt unbeleuchtet bleiben. Da wäre die Stimme des früheren Fifa-Funktionärs für die Weltmeisterschaften in Katar und Russland, was auf unappetitliche Weise mit PR-Tätigkeiten für Putins Staatskonzerne sowie seiner menschenverachtenden Aussage über Arbeitssklaven im vulgärkapitalistischen Scheichtum korreliert, von denen er partout keinen gesehen haben will. Da wäre zudem das dumpfe Raunen über Unregelmäßigkeiten beim Zustandekommen des Sommermärchens 2006, Franz Beckenbauers Sommermärchen.

Da wären also diverse Matschflecken auf dem Hermelin dieser charmanten, einvernehmenden, manchmal cholerischen, aber meist umgänglichen Persönlichkeit. Die ARD hat sie rausgewaschen.

Nur warum?

Weil derlei Kritik mit fünf Minuten nonchalanter Einlassung Beckenbauers zu seinem persönlichen Ausschluss von der WM 2014 infolge nicht beantworteter Fragen der Ethikkommission zur WM-Vergabe „abgehandelt worden ist“, wie Produzent Jochen Laube betonte. Weil der Film dem Gefilmten „ein Versprechen auf Vertrauensebene gemacht“ habe, das zu brechen ein „ganz anderes Projekt hervorgebracht hätte“, sagte Bettina Reitz, Noch-Fernsehdirektorin des zuständigen Bayerischen Rudnfunks. Weil der Franz auf all die heiklen Fragen „ohnehin nur das geantwortet hätte, was man sich tausendfach bei Youtube“ ansehen könne, sekundierte der hauptverantwortliche Nico Hofmann von Ufa Fiction und verwies auf die feinen Zwischentöne im Film über den Schwerenöter und dessen Selbstvermarktungsdrang.

Allein, das hätte man auch nur mit einem Gutteil der fabelhaften Archivbilder eines lebenden Denkmals haben können, das schlicht zu solide ist, um durch ein paar harte Worte der Wahrheit Kratzer zu erlangen. So bleibt nach 90 tiefgreifenden, toll komponierten, tadellos inszenierten Minuten aus dem Dasein eines grandiosen Sportlers der Makel, ihm nicht allzu nahe treten zu wollen. Vielleicht erklärt das ja den Sendeplatz. Es ist der von Günther Jauch.

Jan Freitag

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