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Medien: Im Zweifel für den Zweifel

Der Krieg im Libanon findet auch in deutschen Wohnzimmern statt. Hisbollah und Israel, Fernsehen und Zeitung kämpfen um die Köpfe

Von Caroline Fetscher

Nachrichten sollen liefern, was den neutralen Produktnamen „Information“ trägt, einen Pakt mit den Fakten. Doch können selbst Fakten zu Propaganda mutieren. Belege dafür blühen angesichts des derzeitigen Nahostkriegs wie Blumen in einer über Nacht bewässerten Wüste. Krieg, von modernen Massenmedien flankiert, ruft nach Ikonen: Opfer und Helden, die Leid und Siege symbolisieren.

Gern bringt derzeit der arabischsprachige CNN-Konkurrent Al Dschasira Interviews mit Hisbollah-Vertretern. Da äußerte sich unlängst jener bärtige Turbanträger, bekannt als „Generalsekretär der Hisbollah, Sayed Hassan Nasrallah“, auf Fragen des Beiruter Korrespondenten Ghassain Bin-Jiddu. Deutlich wurde sein ausgeprägtes Medienbewusstsein. Er beklagte die „Unterdrückung von Nachrichten“ durch Israel in den besetzten Gebieten der Palästinenser: „Sie haben den Massenmedien die Schlinge um den Hals gelegt“, sagte er, Zensur gebe es überall. „Sie wollen die wahren Kriegsszenen verbergen, die hätten Einfluss auf die israelische Bevölkerung, auf Israels Medien und sein Durchhaltevermögen.“ Immerhin, freute sich Nasrallah, berichteten libanesische Medien „über alles“, über „die Razzien, die zivilen Märtyrer, die militärischen Märtyrer“, jeden bombardierten Ort.

Vermutlich wäre Herr Nasrallah zufrieden mit dem Ergebnis einer aktuellen Studie, für die Medienforscher vom 21. Juli bis zum 3. August vier deutsche Nachrichtensendungen von ARD und ZDF ins Visier genommen haben. Bei der Auswertung von 334 Beiträgen Sendungen „Tagesschau“, „Tagesthemen“, „heute“ und „heute-journal“ zu Nahost, kommt sie zu dem Schluss: „Die Täter der Hisbollah tauchen in den Hauptnachrichtensendungen ähnlich selten auf, wie die israelischen Opfer der Hisbollah-Raketen“. Vor allem aber fehle es fast stets an Hintergrund: „Die UN-Resolution 1559 vom 2. September 2004, die in Verschärfung der Resolutionen 425 und 426 vom 19. März 1978, welche die Entwaffnung aller libanesischen und nichtlibanesischen Milizen fordert, wird in den wenigsten Beiträgen angesprochen. Das Versagen der UN-Truppen im Libanon taucht kaum auf“, und damit fehle die Grundlage zum „Verständnis für das Agieren der israelischen Regierung“. Zu diesen Statistiken des Bonner Instituts „Media Tenor“ erklärt die ARD, die Studie entbehre „jeder seriösen Grundlage“. In der Tat wirkt die Studie, teils unwissenschaftlich formuliert und schnell gestrickt. Doch jeder aufmerksame Mediennutzer weiß, dass wir in der ARD, in der „Süddeutschen“ oder der „tageszeitung“ etwas mehr Libanon, in der Springer-Presse, der „FAZ“ und im ZDF ein wenig mehr Israel sehen. So wie man von CNN mehr „Israel“ serviert bekommt und als BBC-Publikum mehr „Hisbollah“.

Pure Objektivität ist ein ideales Ziel, ein unerreichbares. Welcher Journalist spricht Arabisch und Hebräisch? Wer kennt Jahrzehnte komplexer Hintergründe? Wer lässt sich nicht, „vor Ort“, vom Leid erschüttern? Allerdings war es, als hätten die „Tagesthemen“ am Montag die Media-Studie bestätigen wollen, als sie einen hochprekären Bericht über den Einfluss der „jüdischen Lobby“ in den USA und deren Israel-Politik brachten. Warum kein Bericht über die arabische Lobby oder über das Versagen der UN beim Entwaffnen der Milizen im Libanon?

Zufälle, Sachzwänge, Zeitdruck, „gute Geschichten“, Beurteilung, redaktionelle Expertise, individuelle Ressentiments – all dies mag mitspielen, wenn solche Entscheidungen bei News-Crews fallen. Und manchmal auch krude Manipulation. Am Montag musste etwa die Nachrichtenagentur Reuters einräumen, sie habe „vorsorglich“ 920 Bilder des libanesischen Fotografen Adnan Hajj aus dem Verkehr gezogen. Hajj hatte auf einem Foto Rauchwolken über Beirut elektronisch „verdunkelt“, um die Wolkenwand eindrucksvoller aussehen zu lassen, ein andermal vervielfältigte er Leuchtkugeln hinter dem Heck eines israelischen Flugzeuges, offenbar um Leuchtkugeln, die der Radarablenkung dienen, den Eindruck von Bomben zu verleihen. Hajj, der meist als Sportreporter sein Geld verdient, muss nicht unbedingt ein Hisbollah-Fanatiker oder Israelfeind sein. Womöglich wollte der junge Mann schlicht mit sensationellem Material seine Kasse füllen.

Auffälliger mag der Fall des Mannes sein, den Blogger „Hizbollywood“ getauft haben, der eines der toten Kinder im Ort Kana angeblich mehrfach vor die Kameras getragen hatte, einmal hoch über dem Kopf, einmal in seinen Armen liegend, stets dasselbe Kind, Opfer einer israelischen Bombe, ein Fetisch für die Kamera, instrumentalisiert als Demonstration für die „Weltöffentlichkeit“.

Die Opferlogik von Terroristen kehrt sich um, in dem Augenblick, wo sie nicht allein die Täter sind. Solange das so ist, sind Terroristen wie die der Hisbollah oder Hamas die medialen Akteure par excellence. Wo sie ihre ultimativen Realityshows veranstalten, brauchen sie die Medien als Multiplikatoren ihrer Schreckensproduktion. Ohne Bilder und Berichte bliebe ja ungesehen, was Terroristen können. Wir sähen nicht den zerfetzten Reisebus in Ägypten, die blutige Kleidung der Toten auf einem irakischen Marktplatz, die aufgeplatzte Fassade einer attackierten US-Botschaft in Afrika oder die schreienden Touristen im Garten ihres Hotels in Bali. Medien sind für Terroristen kostengünstig. Für Bühne und Ausleuchten ihrer ideologisch aufgeladenen Realityshow müssen die Veranstalter hier keinen Cent zahlen. Gratis ist die „Location“, Sound und Licht bringen die Kamerateams, das Marketing des Ereignisses übernehmen die Sender und Verlage.

Für die Hisbollah hat sich das mediale Kalkül verschoben, seitdem sie sich im offenen Kriegszustand mit Israel befindet. Jetzt zählen ihre „Märtyrer“ als mediale Erfolge, nicht die toten Terroropfer. Israelische Opfer, die Toten, die es durch ihre inzwischen 2000 nach Israel gefeuerten Katjuscha-Raketen gab und gibt, kommen in arabischen und iranischen Medien so gut wie gar nicht vor. Auch verfügt die Hisbollah über ein eigenes „media outlet“, den Sender Al Manar, den zu zerstören der israelischen Armee nicht gelang.

Das Sehen aus der Ferne, in seiner medialen Variante „Fernsehen“ genannt, bringt uns Krieg oder Krise „ins Wohnzimmer“, wie der Klischeeausdruck schon lange heißt. Journalisten haben für uns das Vor-Sehen und Umsehen geleistet, wir haben das, wenn auch bequeme, Nachsehen. Auf dem Bildschirm präsentiert sich uns eine Miniatur-Wirklichkeit, komponiert aus minutenlangen Bildsequenzen, die dem Auge der Kamera folgen und unseren Blick lenken. Wir können nirgends stehen bleiben, in keinen Innenhof blicken, keinem Automechaniker oder Schulkind weitere Fragen stellen. Nur eins muss uns, als Zuschauer, klar sein: Wir müssen an Quellen zweifeln, Sender und Zeitungen vergleichen, selber denken. Am Ende kommen wir nicht drum herum, gelegentlich mal einen Gegenstand zur Hand zu nehmen, der „Buch“ heißt und in die Tiefe taucht.

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