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In den Startlöchern: Das Anti-Facebook

Das soziale Netzwerk Diaspora hat viele Vorschusslorbeeren und vor allem viele Spenden erhalten. Bis Ende November soll die öffentliche Betaphase starten. Der wichtigste Unterschied zu Facebook und Google+: Bei dem Non-Profit-Projekt steht die Privatsphäre im Mittelpunkt.

Seit einigen Wochen arbeitet Falko Kraft im Rahmen des Europäischen Freiwilligendienstes in einem Jugendzentrum in der türkischen Stadt Gaziantep – weit entfernt von seiner Heimatstadt Potsdam. Dass sich der 20-Jährige mit der Diaspora auskennt, hat allerdings eine ganz und gar ungeografische Bedeutung. Wenn Kraft von „Diaspora“ spricht, meint er das neue soziale Netzwerk, das als Anti-Facebook noch im November den internen Testbetrieb beendet und dann allen Interessierten offenstehen soll.

Das Diaspora-Projekt war vor gut anderthalb Jahren von vier Informatikstudenten der New Yorker Universität ins Leben gerufen worden, vor allem als Reaktion auf die zunehmende Kritik an der Datenschutzpolitik von Facebook. Maxwell Salzberg, der sich selbst als Hacker bezeichnet, ist der inoffizielle Sprecher der Gruppe, die inzwischen weltweit von Freiwilligen unterstützt wird. Und von einer Vielzahl von Spendern. Der Hype um den vermeintlichen Facebook-Killer spülte über 200 000 Dollar in die Kassen des Projekts, die in dessen Entwicklung investiert wurden. Auch eine zweite Spendenrunde war äußerst erfolgreich.

Wie jedes soziale Netzwerk ist der Austausch unter den Mitgliedern das Hauptanliegen von Diaspora – allerdings mit einigen entscheidenden Unterschieden zu Facebook oder Google+. „Hinter Diaspora steht die Idee eines privatsphärefreundlichen, quelloffenen sozialen Netzwerks“, begeistert sich Kraft. „Diaspora ist eine Non-Profit-Organisation, die sich allein über Spenden finanziert.“ Der gewerbliche Verkauf oder die Weitergabe von Nutzerdaten an Werbeindustrie und Regierungen widersprechen fundamental der Philosophie von Diaspora. „Jeder soll seine persönlichen Daten selber besitzen und verwalten können und ganz genau bestimmen, welche Inhalte er wem zugänglich macht.“ Das geht so weit, dass jeder, der dies möchte, seinen eigenen Server aufbauen kann, der dann ins Diaspora-Netzwerk aufgenommen wird.

Nach einigen technischen Rückschlägen steht Diaspora nun kurz vor der öffentlichen Betaphase. Von Ende November soll das Netzwerk dann jedermann auch ohne Einladung von Freunden offenstehen. „Wer will, kann sich auch jetzt schon auf den zahlreichen offenen Servern wie dem größten deutschen Pod Geraspora.de anmelden und Diaspora in der Alphaphase benutzen.“ Nach Amerika steht Deutschland bei den Nutzerzahlen an zweiter Stelle. Zur Zeit dominieren die technisch interessierten Mitglieder das Netz, es gibt aber auch viele Kreative. Zudem soll sich das Netzwerk bei den Anhängern der Occupy-Bewegung und des Piratenumfelds großer Sympathie erfreuen.

Falko Kraft ist bei Diaspora in erster Linie aktives Communitymitglied. Er nimmt an Diskussionen zu Verbesserungen der Software teil und berichtet über Fehler und Verbesserungswünsche. Dabei wurde der Diaspora-Pressesprecher Yosem Companys auf ihn aufmerksam und ermunterte ihn, sich um die Anfragen der deutschen Medien zu kümmern.

Sich in Diaspora zurechtzufinden, ist nicht schwer. Der Aufbau ähnelt stark Google+. Das Google-Netzwerk wird über Kreise (Circels) organisiert. Die Mitglieder können so entscheiden, ob sie Beiträge mit allen Kontakten oder nur mit Freunden, Kollegen oder der Familie teilen wollen. In Diaspora gilt das gleiche Prinzip, wobei hier von „Aspects“ gesprochen wird. Zudem können sich die Diaspora-Mitglieder über Themen und Interessen vernetzen. Dies geschieht über die von Twitter bekannten Hashtags – wer sich für das Netzwerk selbst interessiert, gibt zum Beispiel #Diaspora an und erfährt, was darüber diskutiert wird. Und wie in Facebook kann man über die „Gefällt-mir“-Funktion seine Zustimmung zu einem Beitrag bekunden. Darüber hinaus gehört auch bei Diaspora das Teilen von Fotos zu den beliebtesten Funktionen.

Eine Besonderheit ist, dass man Daten unter anderem von Facebook importieren, bearbeiten und wieder zurückstellen kann. Und noch etwas unterscheidet Diaspora von anderen Netzwerken: das Profil, mit dem sich jeder Nutzer der Außenwelt präsentiert. Für das Geschlecht gibt es bei Diaspora nicht das gewohnte Menü zum Auswählen zwischen „männlich“ und „weiblich“, sondern ein Eingabefeld. „Dort finden auch Menschen, die sich jenseits der üblichen Geschlechterdefinition verorten, ihren Platz“, sagt Falko Kraft. Dafür müssen die Diaspora-Nutzer zumindest jetzt noch auf Schnittstellen zu Spieleseiten von Zynga oder Wooga verzichten.

Man darf gespannt sein, wie groß der Zuspruch für das Alternativnetz sein wird.

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