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Demonstrationen gegen den Mohammed-Schmähfilm. Viele Muslime fühlen sich durch ihn beleidigt.

© dapd

Interview mit Günter Wallraff: "Die Medien mit Religions-Karikaturen überschwemmen"

Die muslimische Welt ist in Aufruhr wegen eines Films und einiger Karikaturen. Wie weit darf Meinungsfreiheit gehen? Der Journalist Günter Wallraff spricht darüber im Tagesspiegel-Interview und nimmt Stellung zu Salman Rushdie und Blasphemie.

Von Caroline Fetscher

An vielen Orten auf dem muslimisch geprägten Teil des Globus gehen Hunderte oder Tausende auf die Straße, weil sie von einem Amateurfilm im Internet gehört haben, der den Propheten Mohammed verunglimpft. Wie viel Rücksicht müssen Demokratien auf solche Emotionen nehmen?

Jeder Mensch hat das Recht, seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen, das gehört auch zur Meinungsfreiheit. Sie endet aber ganz klar da, wo Leute zu Schaden kommen, bedroht oder getötet werden. Meist steckt dahinter eindeutig organisierter Terror, wie im Fall Salman Rushdie.

Gegen Rushdie erging 1989 eine Fatwa wegen seines Romans „Satanische Verse“. Sie haben ihm damals privates Asyl bei sich zu Hause gegeben und Solidaritätsinitiativen für ihn gestartet. Was hören Sie inzwischen von ihm?

In den vergangenen Jahren habe ich ihn zwei Mal wieder getroffen, und ich freue mich, dass seine Autobiografie gerade jetzt erscheint, genau zum richtigen Zeitpunkt. Für den Titel – „Josef Anton“ – verwendet er den Decknamen, den er sich zum Schutz zulegen musste. Rückblickend meint er heute, er hätte sich über seine Verfolger schon damals sogar noch deutlicher äußern sollen, als er es ohnehin tat.

Günter Wallraff
Günter Wallraff

© dpa

Im Mai dieses Jahres haben Sie den iranischen Musiker Shahin Najafi bei sich aufgenommen, gegen den es ebenfalls eine Fatwa gab.

Sogar vier Fatwas gibt es gegen ihn! In zweien haben ihn Ayatollahs namentlich genannt. Shahin Najafi war schon 2005 für einen Song, den er geschrieben hatte, zu 100 Peitschenhieben und drei Jahren Haft verurteilt worden. Das war der Grund für ihn, ins Exil nach Deutschland zu gehen. Jetzt sind 100 000 Dollar Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, er muss sich verstecken. In iranischen Internetforen werden Killerspiele verbreitet, in denen man virtuell auf ihn Jagd machen kann.

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Wie helfen Sie Najafi?

Er hat sich an mich gewandt, und ich unterstütze ihn, wir sind inzwischen Freunde geworden. Bis vor einer Woche hat er auch bei mir gewohnt, jetzt ist er an einem Ort, der noch sicherer für ihn ist. Es wäre aber gefährlich für ihn, zu sagen, wo er jetzt ist. Für ihn, für jeden in seiner Lage, ist es furchtbar, vor derartigen Drohungen auf der Flucht sein zu müssen – sogar noch in einem freien Land. Der psychische Stress, die Einschränkungen, sind enorm. Aber es stärkt, dass auf den Aufruf, den Klaus Staeck und ich gestartet haben, so viele Solidaritätsadressen – auch von bekannten Künstlerkollegen – eingegangen sind.

Welche Verantwortung tragen Satire-Magazine wie "Charlie Hebdo"?

Wenn religiöse Leute hochempfindlich sind, ist es dann sinnvoll, noch Öl ins Feuer zu gießen, indem man, wie jetzt die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“, schon wieder Karikaturen von Mohammed abdruckt?

Solange sich nur einzelne Individuen oder Medien an dieser Demonstration von Freiheit beteiligen, wird nicht viel erreicht. Man müsste im Grunde die Zeitungen, Illustrierten, Magazine jetzt überschwemmen mit Karikaturen – und zwar zu allen Religionen. Das wäre eine deutliche Botschaft. Das würde denen, die es noch nicht begriffen haben, direkt vor Augen führen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen. Die Gegner ermüden dann nämlich, denn so viel können sie gar nicht demonstrieren. Sie können nicht täglich gegen alles Aufstände anzetteln, was gedruckt und gesagt wird.

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Das Internet und auch viele westliche Medien sind voll von Aussagen, die in den Augen Andersdenkender blasphemisch wirken. Wo es zum Aufruhr kommt, werden jedes Mal einzelne Texte oder Bilder herausgegriffen, wie im Fall der dänischen Karikaturen.

Es sind jeweils Vorwände und nicht Anlässe. Nicht zufällig wurden die neuerlichen Proteste zum 11. September hochgepuscht. Den läppischen Filmausschnitt gab es aber schon seit Monaten im Internet, ohne dass einer davon Notiz nahm. Wenn die Übersättigung mit sogenannten blasphemischen Karikaturen und Texten gezielt eingesetzt wird, kann sie so funktionieren, wie sie sollte – für eine Stärkung von Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit und für eine souveräne Verteidigung demokratischer Positionen. Sich jetzt wegzuducken, ist genau der falsche Weg! Das ermutigt gerade diejenigen, die mit Drohungen, Einschüchterungen und mordlüsternen Aktionen Terrain gewinnen wollen.

Im Fall des dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard war es das Wichtigste, dass auch andere Medien sich entschlossen, die Karikaturen nachzudrucken. Das Prinzip ist klar: Wo sich viele um den Bedrohten scharen, ist er ein weniger angreifbares Ziel. Ohne das auch nur im Ansatz vergleichen zu wollen: Die Initiative der Dänen, die im Zweiten Weltkrieg anfingen, Davidsterne zu tragen, damit die Verfolger ihre Opfer in der Öffentlichkeit nicht mehr so leicht identifizieren konnten, ist bewundernswert und vorbildlich.

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Sie kritisieren im aktuellen Fall die Haltung von Politikern wie Guido Westerwelle.

Ich kann mir gut vorstellen, dass der Außenminister verzweifelte Hilferufe aus Botschaften und deutschen Institutionen im Ausland erhält, wo Mitarbeiter Angst haben. Deren Sorge ist verständlich. Aber gerade eine Partei, die den Freiheitsgedanken immer noch im Programm hat, sollte offensiver und selbstbewusster mit der Situation umgehen und nicht defensiv an die falsche Adresse Abbitte leisten. Unsere Justizministerin, die Menschen- und Bürgerrechte verteidigt, widerspricht dem Außenminister da zum Glück recht eindeutig.

Was bedeutet Ihnen persönlich die Meinungsfreiheit?

Meine gesamte Arbeit beruht auf der Durchsetzung von Meinungsfreiheit, es geht mir immer darum, Meinungsfreiheit und Zivilcourage zu fördern. Welchen Schutz diese demokratischen Rechte bieten, habe ich in Griechenland getestet, als ich dort im Mai 1974 gegen die Militärdiktatur und für die Freilassung politischer Gefangener demonstriert und das mit Haft und Folter bezahlt habe. Was Mangel an Freiheit heißt, habe ich direkt am eigenen Leib erfahren. Wer in einem autoritären Staat wegen seiner Meinung inhaftiert wurde, erwartet, dass Leute in der freien Welt sich eindeutig für die Meinungsfreiheit einsetzen.

Auch bei uns?

Da wo Al Qaida und andere islamistische Gruppen ihre Anhänger für Demonstrationen gegen „den Westen“ und die vermeintliche Provokation durch Karikaturen instrumentalisieren, erwarten diejenigen, die dort Aufklärung und Demokratie wollen, dass wir uns für ihre Interessen, ihre Rechte einsetzen. Wir leben, was das betrifft, in einem komfortablen Rechtsstaat. Die couragierten Frauen und Männer, die in unfreien Ländern für Meinungsfreiheit kämpfen und dabei oft genug ihr Leben riskieren, erwarten von uns, dass wir in solchen Situationen wie jetzt nicht einknicken. Ihnen schulden wir, mehr noch als uns selber, eine absolut eindeutige Haltung im Bekenntnis zu Freiheitsrechten.

Günter Wallraff, 69, ist Journalist und Schriftsteller. Seine TV-Reportage „Günter Wallraff deckt auf“ über Paketboten ist für den Deutschen Fernsehpreis 2012 nominiert.

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