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Jörg Kachelmann bei Günther Jauch.

© dapd

Jörg Kachelmann bei Günther Jauch: "Man kommt nie dahinter"

Bei Günther Jauch im Ersten ging es am Sonntag hoch her: Jörg Kachelmann und Gattin rechneten mit dem Vergewaltigungsfall ab und mussten sich einiges anhören - von "Wetterfuzzi" bis zum Vorwurf, wer so viele Frauen belüge, habe wohl einen miesen Charakter.

Er sei doch bloß ein alter Wetterfuzzi, so rieb es Hans-Hermann Tiedje dem Jörg Kachelmann hin. Nicht weiter wichtig, was ihm passiert sei, er solle sich nicht überschätzen. Aber da lag Tiedje falsch. Die Runde um Günther Jauch, zu der außer Frau Kachelmann noch Winfried Hassemer und Gerhart Baum zählten, Leute mit Jura-Kenntnissen, regte sich mächtig auf und ging, wie der Moderator am Ende voraussah, unzufrieden auseinander. Denn was vom Streite übrig blieb an Fragen, Vorwürfen, Unterstellungen und Zwickmühlen, das hatte es in sich. Der einzige, der die ganze Zeit ungerührt dabei saß, war die Hauptperson. Kachelmann hat sich wohl inzwischen in puncto Naturell seiner Wahlheimat Schweiz angepasst.

In den ersten fünfzehn Minuten konnten der Wettermann und seine Frau Miriam ihre Sicht der Dinge schildern, die Anschuldigung der Vergewaltigung, die U-Haft, den Prozess, den Freispruch, die Botschaft, die sie mit ihrem Buch jetzt verbreiten wollen, wobei Jauch schon mal ungnädig dazwischen fragte: Warum sie denn jetzt an die Öffentlichkeit gingen, anstatt ihre Ruhe zu genießen? „Wir sind ja kein Einzelfall“, sagte Frau Kachelmann, die ganze Sache solle einen Sinn haben. Und der müsse darin bestehen, dass Opfer von Falschbeschuldigungen künftig besser da stehen, dass die Macht des „Es bleibt immer etwas hängen“ gebrochen wird. Was die Kachelmanns vorhaben, ist eine Verteidigung all der Unschuldigen, die von Verleumdern vor Gericht gezerrt werden, denn auch wenn’s einen Freispruch gibt, befreit der ja nicht wirklich.

Jetzt kommen die Experten dazu. Tiedje muss sich anhören, dass die Medien, vor allem der Boulevard, eine üble Rolle gespielt haben bei der Vorverurteilung des Jörg Kachelmann. Aber dieser Journalist ist völlig schmerzfrei, wenn es um Angriffe gegen die Yellow Press geht, und er hat auch noch das Glück, dass sich die Runde bald auf einen weit größeren Skandal einschießt: die „Durchstechereien“ der Staatsanwaltschaft, die geheime Ermittlungsakten rausgab, worauf ein mediales Riesenspektakel losging, in dem kein Richter seine Objektivität bewahren konnte. Baum ist darüber empört und fordert eine Staatshaftung. „Ich möchte nicht in der Haut des Gerichtes gesteckt haben.“

Tiedje macht, so viel Boulevard muss sein, die alten Fronten noch mal auf. Kachelmann ein Opfer? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Schließlich wurde er nur aus Mangel an Beweisen frei gesprochen, in dubio pro reo. Eben deshalb, ereifert sich die Gattin, sei er ja ein Opfer. Nur wegen einer Falschbeschuldigung... Dürfe man denn davon sprechen, so Jauch, das Gericht habe ja nicht Kachelmanns Unschuld festgestellt. „Ich war dabei“, erklärt Kachelmann. Ach, und man solle ihm glauben, ihm, der so viele Frauen belogen hat? Das sei nicht strafbar. Spräche aber, so Tiedje, für einen „miesen Charakter“. Tumult.

Baum: „Sie können nicht generell sagen, deutsche Gerichte folgen Falschbeschuldigungen.“ Der Jurist will die Proportionen ins Lot bringen. Tausende Frauen würden jährlich vergewaltigt, nur ein kleiner Teil entschließt sich zur Anzeige, ein kleinerer Teil der Fälle kommt vor Gericht und ein noch kleinerer endet mit einer Verurteilung, ein verschwindend kleiner schließlich, vier Prozent, gehe auf Falschbeschuldigungen zurück. Sei es nicht eine Verhöhnung der vielen echten Opfer, so auf die wenigen, die – wie Kachelmann – womöglich aufgrund einer Falschbeschuldigung – „Eine Unverschämtheit!“ ruft Frau Kachelmann. Und Hassemer erklärt mit leiser Stimme, warum die Sache so schwierig, so peinlich und letztlich unlösbar sei. „Das ist strukturell. Es liegt in der Situation“. Eine intime Szene. Keine Zeugen. Zwei Menschen allein. Aussage gegen Aussage. Man kommt nie dahinter, wie es wirklich war.

Und das ist nun Kachelmanns Problem. Herr Tiedje wird sich nie dazu bereit finden, in ihm ein zweifelsfreies Opfer zu sehen. Der Rest der Welt wird nicht groß darüber nachdenken wollen. Deshalb haben die Kachelmanns ihr Buch geschrieben. Die Frauen, findet Kachelmann, hätten ein Opfer-Abo. Das will er jetzt auch.

 

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