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Zahlen, bitte! Mehr und mehr Verlagshäuser gehen dazu über, für Journalismus im Netz Geld zu verlangen.

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Journalismus im Netz: Die Gunst des Geldverdienens

Paid Content bleibt ein Marathon für die Zeitungsverlage. Aber die Zahlungsbereitschaft wächst.

Die Verlage haben Paid Content verschlafen. Die existierenden Bezahlangebote sind unattraktiv. Ein unkompliziertes und preiswertes Abomodell wie bei Netflix muss her. Drei Behauptungen, die Branchenkenner häufig aufstellen, wenn es um die Monetarisierung von Journalismus im Netz geht. Gleichzeitig schielen sie bewundernd zur „New York Times“, die mittlerweile rund 3,5 Millionen Abonnenten, davon 2,5 Millionen Digitalabonnenten hat.

Streamingdienste und App-Stores haben Internetnutzer ans Bezahlen von Digitalinhalten herangeführt. Laut einer Studie der Hochschule Fresenius Hamburg gemeinsam mit dem DCI Institut von 2017 haben rund 18 Prozent der Befragten schon einmal Geld für digitale Inhalte ausgegeben. Zehn Prozent von ihnen für Nachrichten, 40 Prozent für Filme und Serien und mehr als die Hälfte für Spiele und Musik.

Es ist ein weiter Weg von der Erkenntnis, dass es nicht reicht, nur ein PDF der gedruckten Zeitung als E-Paper zu verkaufen, bis zum Etappenziel, den Leser zum Bezahlen eines ständig aktualisierten Online-Angebots zu bewegen. „Paid Content ist ein Marathon für die Verlage“, meint Holger Kansky, Digitalchef vom Bund deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Laut BDZV-Statistik haben 205 von rund 800 deutschen Nachrichtenseiten Digitalangebote. Davon nutzen neun Prozent eine harte Bezahlschranke, 22 Prozent das „Metered Modell“ mit eingeschränkter Artikelzahl und 68 Prozent das „Freemium Modell“ mit einzelnen kostenpflichtigen Artikeln.

Zahlungsbereitschaft steigt

In einer Befragung des BDZV unter 94 Verlagen gaben rund zwei Drittel an, dass investigative Recherchen, Leitartikel und Kommentare zu regionalen und lokalen Themen hohe Priorität für ihre Bezahlangebote hätten. Exklusive und regionale Geschichten sind bei Paid Content treibende Kraft. „Die Gesamtbereitschaft der Leser, für Journalismus im Netz zu bezahlen, wird kontinuierlich wachsen. Je mehr Verlage darauf setzen, desto mehr profitiert die ganze Branche“, prophezeit Kansky. Doch solange es kostenlose Nachrichteninhalte an anderer Stelle gebe, würden Leser dorthin ausweichen.

Es gibt Erfolgsgeschichten: Seit dem Start von Z+ im Frühjahr 2017 verzeichnete „Zeit Online“ 400 000 Registrierungen für sein neues Digitalangebot. Per Anmeldung ihrer Mail-Adresse können Leser exklusive Beiträge, die mit einem grau unterlegten Z+ markiert sind, kostenlos abrufen. 30 000 Probe- und kostenpflichtige Digitalabos, die weitere Online-Artikel freischalten, verbuchte der Verlag seitdem. 41 500 E-Paper gingen im Quartal IV/2017 an Abonnenten, rund 16 000 mehr als im Vorjahreszeitraum. Bereits 2015 startete die „Süddeutsche Zeitung“ ihr Digitalangebot SZ Plus, das als Tages- oder Monatsabo das E-Paper der „SZ“ und den freien Zugang zu allen Online-Beiträgen beinhaltet. Seit dem Start stieg die Zahl der verkauften Ausgaben im E-Paper-Abo von rund 18 000 auf etwa 40 000.

Auch der Tagesspiegel wird für digitale Inhalte Geld verlangen

Auch der Tagesspiegel will in diesem Jahr bei Paid Content nach dem Vorbild seiner Schwesternverlage Handelsblatt und Zeit nachziehen. „Die erfolgreiche Entwicklung und stetige Steigerung der E-Paper-Auflage zeigt, dass bei den Leserinnen und Lesern des Tagesspiegels die Bereitschaft vorhanden ist, für digitale Inhalte Geld zu bezahlen“, sagt Florian Kranefuß, Sprecher der Geschäftsführung. Rund 23 000 E-Paper-Ausgaben bezogen Tagesspiegel-Abonnenten im vergangenen Quartal.

Doch viele Verlage sind weiterhin zögerlich. „Jeder Verlag hat unterschiedliche Bedingungen vor Ort, etwa starke kostenlose Konkurrenzangebote im Verbreitungsgebiet“, sagt Digitalexperte Kansky. Ein Zählmodell wie das der „Times“ muss dem Leser die Qualität der Inhalte in der Breite schmackhaft machen, damit er sie abonniert. Eine harte Bezahlschranke, die etwa die „Rhein Zeitung“ herunterließ, eigne sich nur, wenn der Verlag nur geringe digitale Werbeeinnahmen habe und keine unmittelbare Konkurrenz mit freien Inhalten in seiner Region.

Interessant sind aus Marketingsicht die Nutzungsinformationen, die durch die Anmeldung des Abonnenten auf der Seite entstehen, etwa welche Beiträge er liest: „Das kann perspektivisch für den Werbemarkt relevant werden, denn wenn man diese Daten sammelt, kann man gezielter Werbung ausspielen und auch personalisierte Inhalte vorschlagen, also ein spezielleres Angebot stricken“, erklärt Kansky. Auch ohne Registrierung bewerten Algorithmen mithilfe des Surfverhaltens der Nutzer Vermutungen bezüglich deren Alter, Geschlecht oder Position im Job und schalten entsprechende Anzeigen. Als zusätzliche Einnahmequelle sei Paid Content sinnvoll, so Kansky. „Je früher man damit anfängt, desto besser.“

Zweifel an digitalen Geschäftsmodellen

Den Paid-Content-Optimismus des BDZV teilt Medienwissenschaftler Stephan Weichert von der Hamburg Media School nicht: „Ein digitales Geschäftsmodell, das Printverluste vollständig kompensiert, ist reines Wunschdenken.“ Nur wenige Medien in Deutschland seien bisher erfolgreich mit Paid Content, darunter „Zeit Online“, „SZ“, „Bild“ und „Spiegel“. Er warnt: „Nur weil das Digitalmodell bei der ,Times‘ funktioniert, heißt das noch nicht, dass es auch bei der ,Bergedorfer Zeitung‘ oder anderswo funktionieren muss – es bedeutet aber auch nicht, dass es nicht funktioniert.“

Weichert, der den stiftungsfinanzierten Medien-Thinktank Vocer.org mitgegründet hat, verweist auf andere Erlösmodelle: etwa Native Ads und Sponsored Content, also journalistischen Beiträgen ähnelnde Werbeanzeigen oder Werbetexte, die mehr oder weniger deutlich von redaktionellen Inhalten unterscheidbar sind und sich an der Grenze zur Schleichwerbung bewegen. In den USA seien Redaktionen mit dieser Art Werbung erfolgreich gewesen, so Weichert. Auch nichtjournalistische Rubriken-Portale für Immobilien oder Dating sind verbreitet. Laut BDZV führen über 600 deutsche Zeitungen solche Angebote, die oftmals die dicke Zeitungsbeilage ersetzen.

Inhaltlich versuchen sich Online-Redaktionen indes vom 80-Zeilen-Format loszulösen, etwa mit aufwendigen Multimedia-Reportagen und Podcasts. „Man kann sich einige Trends aus den USA abschauen“, findet Weichert, darunter bei Storytelling, Social Bots und Conversational Interfaces, also Sprachsteuerung. In der Breite werde dies hierzulande aber noch zu wenig praktiziert.

Zudem plädiert Weichert für einen Schulterschluss mit Facebook und Google, über die laut dem Analysetool Parse.ly 80 Prozent der Internetnutzer Nachrichteninhalte finden. „Facebook ist angewiesen auf ein sauberes Informations-Ökosystem und daher auf Qualitätsinhalte.“ Auch wenn wie angekündigt der Newsfeed-Algorithmus geändert werden sollte, könne Journalismus einen wesentlichen Teil zu dessen Qualität beitragen. „Wenn die Werbeeinnahmen gerechter untereinander aufgeteilt würden, wäre das eine schöne Zweckehe.“

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