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Innerhalb von wenigen Minuten muss sich Gerichtszeichner Yann Ubbelohde oft Angeklagte, Kläger und Zeugen merken. Denn geht es wie im Kachelmann-Prozess um intime Details, muss er den Saal verlassen und draußen sein Bild vervollständigen. Foto: dpa

© dpa

Stille Beobachter: Kachelmann im Profil

Vom Inhalt des Prozesses bekommen sie nicht viel mit. Kameras verboten, Stifte erlaubt: Warum Gerichtszeichner für Presse und Fernsehen unverzichtbar sind.

Nur eine Minute bleibt Martin Burkhardt Zeit. Schnell lässt er seinen Stift über das Papier gleiten, deutet Augen, Nase, Mund und Haaransatz der Frau an, die schräg vor ihm auf der Bank im Mannheimer Landgericht sitzt. Sie ist Zeugin im Prozess gegen Fernsehmoderator Jörg Kachelmann. Gleich soll sie Details über die Nacht schildern, in der Kachelmann angeblich seine damalige Freundin vergewaltigt hat, was Kachelmann jedoch abstreitet. Weil sich die Zeugin auch zu intimen Fragen äußern soll, muss das Publikum den Saal verlassen, auch Burkhardt. Deshalb prägt er sich schnell noch Haarfarbe, Kleidung und Körperhaltung der Zeugin ein, damit er sein Bild draußen vervollständigen kann.

Burkhardt ist Gerichtszeichner. Für Presse und Fernsehen ist seine Arbeit unverzichtbar, denn anders als in den USA, ist es an deutschen Gerichten verboten, während eines Prozesses zu filmen und zu fotografieren. Nur vor Verhandlungsbeginn dürfen Aufnahmen gemacht werden, manchmal noch nicht einmal das, beispielsweise wenn der Angeklagte dies vorher per Anwalt untersagt hat oder Jugendliche vor Gericht stehen.

Im Fall von Kachelmann dürfen nur an bestimmten Verhandlungstagen ausgewählte Teams und Fotografen Aufnahmen machen. Sobald die Richter reinkommen, müssen sie aufhören. Um trotzdem die Zeugen und die Stimmung während des Prozesses bebildern zu können, greifen Presse und Fernsehen auf die Darstellungen der Gerichtszeichner zurück. Burkhardt und seine Kollegen haben damit einen verantwortungsvollen Job. Denn während sich Zuschauer durch Fotos und Filmaufnahmen einen eigenen Eindruck machen können, nehmen sie Bilder vom Geschehen vor Gericht nur durch die Augen des Zeichners wahr.

Realitätsnah und möglichst objektiv muss Burkhardt deshalb arbeiten, künstlerische Freiheit bleibt ihm kaum. Einen Prominenten wie Kachelmann zu zeichnen, ist besonders schwer – denn viele Leser und Zuschauer kennen Kachelmann aus dem Fernsehen und können vergleichen, wie gut der Zeichner gearbeitet hat.

Allerdings: Zu exakt dürfen die Zeichnungen nicht immer sein, also fast der Genauigkeit einer Fotografie entsprechen. „Sonst besteht die Gefahr, dass die Persönlichkeitsrechte verletzt werden“, sagt Monika Lenz, die fürs ZDF vom Kachelmann-Prozess berichtet und mit dem Illustrator Stefan Bachmann zusammenarbeitet. Als Bachmann die markanten Züge des mutmaßlichen Opfers von Kachelmann wiedererkennbar zeichnete, musste das Bild anschließend mit einem Streifen über den Augen gepixelt werden. Hingegen saß die Mutter des mutmaßlichen Opfers mit dem Rücken zum Publikum, während sie als Zeugin befragt wurde. Bachmann zeichnete sie nur von der Seite, so dass sie jede 70-Jährige mit Kurzhaarschnitt hätte sein können.

200 Euro bekommt Bachmann vom ZDF für einen Prozesstag, Fahrtkosten und Spesen werden erstattet. Aber da es nicht jeden Tag Verhandlungen gibt, an denen Medien interessiert sind, ist die Arbeit als Gerichtszeichner oft nur ein Nebenjob. Es gibt für den Beruf weder eine Ausbildung noch eine Organisation. Viele Gerichtszeichner sind hauptberuflich Illustratoren oder Grafikdesigner, so wie Martin Burkhardt. Der 28-Jährige hat Kommunikationsdesign an der Hochschule Mannheim studiert und erstellt als Illustrator beispielsweise Broschüren oder Storyboards für Werbeagenturen. Gerichtsverhandlungen zeichnet er seit knapp sieben Jahren, seine Zeichnungen vom Kachelmann-Prozess wurden unter anderem von RTL und dem SWR gezeigt.

Es sind jedoch weniger die Geschichten rund um Gewalt, Rache, Recht und Gerechtigkeit, die Burkhardt an dem Job reizen. „Ich mag einfach figürliches Zeichnen und das geht vor Gericht sehr gut“, sagt Burkhardt. Er muss jedoch nicht nur gut zeichnen können, sondern auch ein gutes Gedächtnis haben, wenn er sich innerhalb von Minuten die Prozessteilnehmer einprägen muss. Vom Inhalt des Prozesses bekommt er deshalb auch nicht viel mit. „Die Verhandlung läuft im Hintergrund ab, ich bin ganz auf die Zeichnung konzentriert“, sagt er. Er versuche, typische Gesten einzufangen, beispielsweise blicke Kachelmann häufig in den Saal oder stütze sein Gesicht auf die Hand. Wenn er Kachelmann zeichnet, beginnt Burkhardt mit der Augen- und Nasenpartie, dann kommen die Haare. Sind die Umrisse fertig, malt er die Flächen mit Aquarellfarben auf dem leicht gelblichen Papier aus. Weiß darf es nicht sein, das flackert im Fernsehen zu stark.

„Kachelmann ist wegen seiner markanten Gesichtszüge sehr gut zu zeichnen“, sagt Burkhardts Kollege Yann Ubbelohde, der schon für dpa und RTL Zeichnungen beim Kachelmann-Prozess gemacht hat. Von der jeweiligen Rolle der Personen oder möglichen Vorurteilen versucht sich Ubbelohde nicht beeinflussen zu lassen. „Ich zeichne so genau und so objektiv, wie es geht“, sagt er.

Bis zum 21. Dezember wird er noch Kachelmann, Klägerin und Zeugen zu Papier bringen, dann wird der Urteilsspruch erwartet.

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