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Kopftuch-Magazin: Der Reiz des Züchtigen

"Ala" ist das erste Magazin für Kopftuchmode in der Türkei und erfolgreicher als "Vogue" und "Elle" - doch trotzdem gibt's Kritik von islamischer Seite.

Erschöpft lässt sich die Krankenschwester Hatice in einen Sessel vor der Umkleidekabine fallen, in der ihre Freundin einen sogenannten „Pardösü“ anprobiert – einen jener leichten Mäntel, den fromme und konservative Frauen in der Türkei zum Kopftuch tragen. „Wir sind schon durch alle Geschäfte gezogen, um genau den richtigen zu finden, dies ist mindestens der achte oder neunte Laden“, jammert Hatice und verdreht dabei die Augen. Allerdings sei sie selbst nicht besser, gibt sie augenzwinkernd zu: „Ich besitze so viele Kopftücher, dass ich sie nicht mal zählen kann, zu jedem Outfit muss es das passende sein.“ Konsumfreudig, modebewusst und fromm sind die beiden Krankenschwestern – und damit entsprechen sie genau der Zielgruppe der Frauenzeitschrift „Ala“, der ersten türkischen Modezeitschrift für Kopftuchträgerinnen.

„Unsere typischen Leserinnen sind 18 bis 35 Jahre alt und verschleiert“, sagt Chefredakteurin Esra Sezis, die mit ihren Mitte zwanzig und dem elegant geschlungenen Kopftuch genau in ihre eigene Zielgruppe passt. „Tesettür“ heißt der Look in der Türkei, das bedeutet so viel wie „sittsam“ oder „züchtig“ und meint Kleidung, die vom Scheitel bis zur Sohle alles bedeckt außer das Gesicht; das Kopftuch gehört natürlich unverzichtbar dazu. Das heiße aber nicht, dass verschleierte Frauen sich langweilig oder schlecht anziehen müssten, findet Sezis – und tritt auf den Seiten von „Ala“ den Beweis an.

Auf den knapp 200 Hochglanzseiten der Zeitschrift mausert sich der züchtige Look zur Haute Couture. In der Februarausgabe kombiniert „Ala“ zum Bespiel eine Jacke von Ralph Lauren, einen Rock von Yamamoto und Stilettoabsätze von Sergio Rossi mit Kopftüchern von Salvatore Ferragamo und Vivienne Westwood. Die Outfits werden von perfekt geschminkten Models in Szene gesetzt, in der aktuellen Ausgabe etwa im Istanbuler Bohemeviertel Ortaköy.

Das Konzept hat „Ala“, deren Name osmanisch ist und „erhabene Schönheit“ bedeutet, aus dem Stand zur erfolgreichsten türkischen Frauenzeitschrift gemacht. „Auf so eine Zeitschrift habe ich schon lange sehnsüchtig gewartet“, twittert die Leserin Büsra Üzümcü. Die Redaktion werde täglich von hunderten Briefen und E-Mails dankbarer Leserinnen überhäuft, sagt Chefredakteurin Sezis.

Rund 200 Frauentitel erscheinen in der Türkei, darunter auch türkische Ausgaben westlicher Modezeitschriften wie „Vogue“, „Harper’s Bazaar“ und „Madame Figaro“. Spitzenreiterin in diesem Segment war lange „Elle“, die es monatlich auf eine verkaufte Auflage von um die 25.000 bringt. Doch „Ala“, deren erste Ausgabe im vergangenen Sommer auf den Markt kam, überholte schon im Herbst die gesamte Konkurrenz und verkauft derzeit 40.000 Hefte pro Auflage – und mit jeder Ausgabe mehr.

Die Facebook-Seite von Ala hat mehr als 120.000 Fans

Kritik aus der islamischen Ecke ließ allerdings nicht lange auf sich warten: „Ala“ kopiere westliche Dekadenz und die entwürdigende Vermarktung der Frau, lautet der Vorwurf. Die Redaktion nimmt solche Kritik gelassen, was angesichts des Erfolges nicht schwerfällt. Viele Frauen fühlten sich durch „Ala“ erst ermutigt, sich zu verschleiern, sagt Chefredakteurin Esra Sezis.

Zwei von drei Türkinnen tragen das Kopftuch, wie Studien regelmäßig belegen, und das schon seit Jahrzehnten unverändert. „Vor diesem Hintergrund ist es schon ziemlich ironisch, dass, bis wir kamen, ausnahmslos alle Frauenzeitschriften in diesem Land aussahen, als würden sie in Schweden erscheinen“, sagt Mehmet Volkan Atay, der Gründer und Herausgeber von „Ala“.

Auf die Zahl der tatsächlichen Leserinnen lässt die Facebook-Seite des Magazins schließen, die mehr als 120.000 Anhänger hat. Der Anzeigenverkauf läuft entsprechend, wie Mehmet Volkan Atay bestätigt. „Am Anfang waren die Anzeigenkunden etwas zurückhaltend und abwartend, aber inzwischen verlangen wir höhere Preise als alle anderen Magazine – und bekommen sie problemlos“, sagt der Herausgeber.

Kein Wunder, denn die Kundschaft hat Kaufkraft. Das neue anatolische Bürgertum, das mit dem wirtschaftlichen Boom in der Türkei im vergangenen Jahrzehnt zum Wohlstand gekommen ist, kann sich etwas leisten. Tauchten Frauen in Kopftüchern vor zehn Jahren noch höchstens als Reinigungskräfte in den luxuriösen Einkaufszentren von Istanbul auf, so sind dort heute oft mehr Designerkopftücher zu sehen als unbedecktes Haar.

Entscheidender für den Erfolg von „Ala“ als die Wirtschaftsmacht der Zielgruppe sei das politische Klima unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, meint Atay. „Geld hatten die frommkonservativen Kreise schon länger, nur wurden sie früher gesellschaftlich ausgegrenzt und hielten sich deshalb im Hintergrund.“ Unter Erdogan, dessen elegante Frau Emine selbst das beste Aushängeschild für keuschen Kopftuchschick ist, habe sich das geändert. Das neue politische Klima bedeute für seine Zielgruppe, „dass man sich endlich zeigen kann, dass man sich darstellen kann“, sagt Atay.

Das haben auch andere schon entdeckt. Frommkonservative Lifestylemagazine im Internet wie „Ahudem“ oder „Yesil Topuklar“ präsentieren schon länger Designer-Tesettür-Moden ebenso wie schicke Cafés ohne Alkoholausschank und Luxushotels mit nach Geschlechtern getrennten Swimmingpools. „Ala“ ist aber das erste solche Magazin, das den direkten Vergleich auf dem Hochglanzmarkt wagte. Und gewonnen hat.

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