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Im Herzen der Revolution. Die in der syrischen Stadt Homs getötete Reporterin Marie Colvin berichtete auch vom Tahrir-Platz in Kairo während der Arabellion in Ägypten. Foto: dpa

© dpa

Kriegsreporterin getötet: Die letzte Zeugin

Nach dem Tod der US-Journalistin Marie Colvin in Syrien ist eines klar: Kriegsreporter werden dringender gebraucht denn je. Sie müssen mithilfe ihrer Berichterstattung über Ungerechtigkeit und Unterdrückung auf der Welt berichten.

Es klingt wie ihr eigener Nachruf. Die Rede, welche die beeindruckende amerikanische Kriegsreporterin Marie Colvin im November 2010 bei einem Trauergottesdienst in London für im Dienst getötete Journalisten hielt, könnten Kollegen nun an ihrem Grab vorlesen. „Wir verändern etwas, wenn wir vom Grauen des Krieges und speziell von den Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung berichten“, zeigte sich die große Dame der Kriegsberichterstattung überzeugt. Und obwohl man heute mit Satellitentelefon, Laptop und Videokamera unterwegs sei, hätten die neuen elektronischen Übertragungsmöglichkeiten nichts daran geändert: „Einer muss hingehen und sich ansehen, was geschieht.“ Gleichzeitig wusste sie: „Es war nie gefährlicher als heute, Kriegsreporterin zu sein, weil Journalisten in Kampfzonen ein besonders beliebtes Ziel geworden sind.“ Am Mittwoch wurde die 52-jährige Reporterin, die seit 1985 für die britische „Sunday Times“ über die Kriege dieser Welt berichtete und dafür 2010 in Großbritannien zum zweiten Mal als ausländische Journalistin des Jahres ausgezeichnet wurde, in der syrischen Rebellenhochburg Homs durch eine Rakete getötet – zusammen mit dem französischen Fotografen Remi Ochlik. Wenige Tage zuvor war der zweifach mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete 43-jährige Nahost-Reporter der „New York Times“, Anthony Shahid, beim beschwerlichen Rückweg aus Syrien einem Asthmaanfall erlegen.

Mit Colvin hat die Welt eine der uneitelsten und mutigsten Reporterinnen verloren. Die in den USA geborene Frau berichtete aus Kriegen und Bürgerkriegen von Tschetschenien über Kosovo, Sierra Leone, Sri Lanka und Ost-Timor bis zur arabischen Welt. 2001 verlor sie ein Auge, als sie in Sri Lanka mit Rebellen unterwegs war und von einem Soldaten mit einer Granate beworfen wurde. „Er wusste genau, was er tat“, sagte Colvin, die seither eine schwarze Augenklappe trug. Doch auch mit ihrem einen Auge war sie oft die letzte Zeugin: So belegte sie 2009, dass der eingekesselte Anführer der Tamil Tigers zusammen mit seinen letzten Kämpfern von Regierungstruppen getötet wurde, obwohl die Männer sich ergeben wollten.

Anders als manche männliche Kollegen in dem Metier hat sich Colvin nicht damit gebrüstet, welchen Gefahren sie sich bei ihrer Arbeit ausgesetzt hat. Ihr Antrieb war die Überzeugung, dass man den Mächtigen auf die Finger schauen muss – insbesondere auch der eigenen Armee, die Krieg führt. Vor allem aber war sie immer ganz nah dran an den Menschen und gab der leidenden Zivilbevölkerung eine Stimme. So wie in ihrem letzten Bericht vom 19. Februar aus dem von der Armee abgeriegelten Viertel Baba Amro in Homs, wo Sniper von Dächern auf jeden zielen, der sein Haus verlässt, während Raketen diese Häuser und ihre Bewohner in Schutt und Asche legen.

Natürlich machen es die neuen elektronischen Medien jedem Aktivisten möglich, Bilder und Informationen um die Welt zu schicken, selbst wenn Diktatoren keine freie Berichterstattung zulassen. Doch die westlichen Medien stehen vor der Schwierigkeit, dass sie nicht wissen, wer ihnen welche Informationen zuspielt, wie die gezeigten Toten ums Leben kamen und warum. Der syrische Filmemacher Ali Atassi hat kürzlich in dieser Zeitung noch einmal ein anderes Dilemma beschrieben: „Politiker und westliches Publikum trauen den Bildern nicht. Das ist ein großes Hindernis. Der europäische und amerikanische Fernsehzuschauer ist daran gewöhnt, dass ihm sein Landsmann in seiner Sprache von den Ereignissen berichtet.“

Das syrische Regime hat das genau verstanden und daher monatelang keine ausländischen Journalisten einreisen lassen. Seit kurzem erteilt man wieder Journalistenvisa, aber die Reporter dürfen nur unter Aufsicht arbeiten. Das Ergebnis: Auch in Deutschland werden immer wieder Zweifel laut, ob das Regime von Präsident Baschar al Assad wirklich so grausam ist, ob die Redakteure von ihren Büros aus nicht Kampagnenjournalismus machen im Einklang mit den Interessen der westlichen Staaten, die einen Sturz des schon in der Vergangenheit unbequemen Regimes wünschen. Daher ist die Arbeit von Marie Colvin und den Kollegen, die sich zu Fuß, auf Mopeds und im Schutze der Nacht auf Schleichwegen nach Homs wagen und mit ihrer professionellen Glaubwürdigkeit berichten, auch in Zeiten von Youtube noch immer entscheidend und dringend notwendig.

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