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Im Laufe der Ermittlungen kommt nach der Mutter auch ihr Sohn Martin (Rafael Gareisen) in U-Haft.

© Arte

Krimi: Mutterseelenallein

Der neue Fall in der „Unter Verdacht“-Reihe wird zum bedrückenden Film. Und der Vorgesetzte von Senta Berger alias Prohacek strampelt weiter auf der Karriereleiter.

Das Szenario könnte unbegreiflicher nicht sein: Der neunjährige David soll sich erhängt haben. Ein Kind, das keinen Ausweg mehr sah? „Ich weigere mich, das zu glauben“, sagt Dr. Prohacek in dem Film „Mutterseelenallein“. Kinder in dem Alter wüssten doch gar nicht, was das sei, sterben. Auch die ermittelnden Polizisten wollen nicht an einen Suizid glauben und verhaften nach einer Zeugenaussage von Davids älterem Bruder Martin die alleinerziehende Mutter. Also doch ein Tötungsdelikt? In jedem Fall eine Familientragödie – und damit ist der 22. Fall der ausgezeichneten „Unter Verdacht“-Reihe einer der bedrückendsten.

Doch warum sollte man sich das als Zuschauer antun? Zum Beispiel, weil man Ursula Strauss nicht verpassen sollte. Die österreichische Schauspielerin ist in der Rolle der Mutter grandios: verzweifelt und bemitleidenswert, aber auch aggressiv und bedrohlich. Ist sie Opfer oder Täterin? Strauss spielt mit dem Mut zur Hässlichkeit eine Frau, die gegen Depressionen kämpft. Und gegen die Einsamkeit. Die selbst leidet, aber die auch etwas zu verbergen sucht. Während der Schwangerschaft mit David soll sie einen Verkehrsunfall verursacht haben, bei dem Martin schwere Verbrennungen davontrug. Das Jugendamt betreut die Familie seit Jahren, zuletzt hatten Nachbarn wieder laute Streitereien gemeldet und eine Lehrerin entdeckte bei David mehrere Blutergüsse. Prohacek und ihr Kollege Langner sollen nicht den Todesfall klären, sondern das Vorgehen des Jugendamts überprüfen. Allerdings entdecken sie schnell, dass Martins Aussage nicht stimmen kann, mit der er seine Mutter belastete. Also kommt Petra Molnar frei und ihr Sohn Martin in U-Haft.

Strampeln auf der Karriereleiter

Die daraufhin einsetzende öffentliche Kritik an der Polizei ist gerade ungünstig für Prohaceks Vorgesetzten Dr. Reiter. Ihm wird der Posten des Polizeipräsidenten in Aussicht gestellt, allerdings muss er beim Treffen mit einer einflussreichen Politikerin eine gute Figur abgeben. Das Reiter’sche Strampeln auf der Karriereleiter – auch das sind tragische, einsame Momente in diesem bemerkenswerten Film. Der Ton ist insgesamt ernster, auf Dialogwitz und den komödiantischen Einschlag wird hier (fast) völlig verzichtet. Dafür überrascht Reiter damit, seiner Kollegin im entscheidenden Moment den Rücken zu stärken und gleichzeitig die eigenen Karrierechancen in den Wind zu schreiben. Ein geradezu befreiender Ausbruch, und eine schöne Variante in der Vita dieser elementaren Figur.

Herausragend ist zudem die vielseitige, intensive Kamera-Arbeit von Jo Heim, der 2012 für die Bildgestaltung der ZDF/ORF-Produktion „Die Hebamme – Auf Leben und Tod“ mit Brigitte Hobmeier einen Grimme-Preis erhielt. Heim wechselt häufig die Perspektiven, folgt den Protagonisten mal mit großem Abstand, mal aus großer Nähe, misst die Betonklotzsiedlung mit nüchternem Blick für geometrische Formen ab und fängt dann wieder mit wackliger Handkamera mitten im Geschehen Stimmungen ein. Der soziale Status spielt im Film eine Rolle, wird aber nicht ausgestellt. Dazu das Licht, das bewusst eingesetzte Wechselspiel aus Hell und Dunkel und die Überblendungen, die manche Szenen verfremden. Die Bildsprache setzt nicht auf puren, scheinbar objektiven Realismus, sondern auf Empfindungen, Atmosphäre, den subjektiven Blick.

Was hat sich nun wirklich zugetragen? Dieses vertraute, wohlige Krimi-Gefühl von einem Fall, der sich lösen lässt, und einer Polizei, die die Welt wieder heilt, ist trügerisch und weicht schleichend der Erkenntnis, dass hier am Ende gar nichts gelöst oder geheilt sein wird. Die Inszenierung von Martin Weinhart, der bereits den letzten Fall „Türkische Früchtchen“ über jugendliche Gewalttäter gedreht hatte, tastet sich eher behutsam in dieser Tragödie voran. Bis zu dem ungewöhnlichen Finale, das auf eine explizite Auflösung der Tat verzichtet. Den einzig möglichen Schluss zu ziehen, bleibt den Zuschauern überlassen.

„Unter Verdacht – Mutterseelenallein“, Arte, Freitag, 20 Uhr 15

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