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Der Mörder war wieder der... Die Fahndung nach dem Täter lockt Abend für Abend Millionen Zuschauer vor den Bildschirm.

© mauritius images

Krimiflut im Deutsch-TV: Wo waren Sie um 20 Uhr 15?

Deutschland, einig Krimiland: Warum Zuschauer Mord und Totschlag über die Maßen schätzen. Entspannung durch Anpassung ist ein Grund. Aber es gibt noch andere.

Mich hat ja keiner gefragt. Hätte mich einer gefragt, hätte ich gesagt: Es reicht. Am Samstag hat das ZDF die Dresdner Kommissarin Bärbel Wallenstein in die Blutspur geschickt, am Sonntag ermitteln die Kölner am „Tatort“, am heutigen Montag muss der Ex-BKA-Zielfahnder Georg Dengler die Pillen der Pharmariesen sortieren. Krimi, Krimis, Fernsehen. Es ist eine wahre Springflut, die da durch die öffentlich-rechtlichen wie die privaten Programme schießt.

Krimi kommt immer, Krimi geht immer. Die Sender werden für ihre Anstrengungen vom Publikum belohnt; was wohl die zehn meistgesehenen Filme im Fernsehjahr 2014 waren? Fängt an mit „T“ und endet mit „t“. Eine Allensbach-Studie hat im vergangenen Jahr ermittelt, dass 19,34 Millionen Deutsche „großes Interesse“ an Krimiserien und Kriminalfilmen und 27,35 Millionen „Interesse“ haben. Kein Interesse haben nur 9,46 Millionen. Für ein Medium, das sein Angebot strikt und streng nach der Nachfrage ausrichtet, ist klar: Ohne Krimi geht die Quote nicht ins Bett.

Nur Nachrichten können Krimiserien und -filme in der Beliebtheitsskala des Fernsehpublikums übertrumpfen, da hilft kein Fußball, da muss aller Quiz à la „Wer wird Millionär?“ hintanstehen. Gerne können wir die Schuldfrage nach Genderart diskutieren: Während für Männer der Sport mit überragenden 45,2 Prozent das beliebteste Fernsehprogramm ist (nur getoppt von den Nachrichten), Frauen lieber Reisemagazine, Quiz und Unterhaltungsshows einschalten (auch hier sind die Nachrichten weit vorne), liegen sich die Geschlechter beim Krimigenre in den Armen – Gleichstand.

Fiktion im Fernsehen konzentriert sich auf Krimi

Camille Zubayr und Heinz Gerhard haben für die aktuelle Ausgabe der „Media Perspektiven“ die Tendenzen im Zuschauerverhalten 2014 ermittelt: „Der Fictionkonsum konzentriert sich weiterhin sehr stark auf das Krimigenre. 42 Prozent der Film- und Seriennachfrage bei den wichtigsten Sendern entfielen im Jahr 2014 auf Krimis – ein Prozent mehr als 2013.“ Diese auch aus dem Buchhandel bekannte Dominanz werde besonders deutlich am Abstand zum Genre mit dem zweitgrößten Nutzungsanteil: Liebesfilme und -melodramen könnten nur 13 Prozent der für Filme und Serien aufgewendeten Zeit für sich beanspruchen.

Deutschland, einig Fernsehkrimiland. Was aber treibt das Publikum in Millionenzahl zu Mord und Totschlag? Ein wesentlicher Faktor ist der Wunsch nach spannender Unterhaltung. Der Alltag im Beamten- und Angestelltenmilieu wird nicht von jedermann und jeder Frau als atemberaubende Berg- und Talfahrt erlebt. Sicherheit am Arbeitsplatz prägt auch die übrigen Stunden am Tag. Geborgenheit ist bei den Deutschen ein elementarer, auf vielen Ebenen und Wegen angestrebter Lebenswert. Nun gebiert Sicherheit als vertraute Rituale des Alltags auch Langeweile. Da kommt der Krimi, die kriminelle Handlung als krasse Abweichung vom harmlosen Leben gerade recht. Schon staunenswert, wie normal es geworden ist, sich die blutrünstigsten Gewaltexzesse anzuschauen und sich zugleich lecker Chips einzuwerfen. Die besten Krimis sind dann jene, die den Zuschauer vergessen lassen, dass die TV-Produkte pure Fiktion sind, alles nur gespielt. In dieser Anspannung liegt auch wohlige Entspannung. Mit dem Abstand zwischen Fernsehsessel und Bildschirm geht die Schranke zu Mord und Totschlag ja nur zeitweise, auf jeden Fall risikofrei auf. Und vom Ende fast aller Krimihandlungen her gesehen, wird die stupende Regel- und Ordnungsverletzung geahndet. Verbrechen lohnen sich nicht, jedenfalls nicht im deutschen Fernsehkrimi.

Die Identifikation nicht zu vergessen. Ein bisschen Täter, ein wenig Mörder, ein Meter Sheriff steckt in jedem. Für längstens 90 Minuten. Hier Sympathie zu entwickeln, ist prickelnd und letztlich ungefährlich. Der Hallenser Ethnologe Thomas Hauschild hat dieses Phänomen in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur so erklärt, dass auch „Kochsendungen von ganz viel Leuten geschaut werden, die kaum noch kochen“. Hauschild sagt zudem, die Menschen „wollen bei einer Sache wenigstens noch richtig durchblicken“. In der „Tagesschau“ prasseln komplexe Themen, globalisierte Krisen durcheinander, die Welt wirkt unübersichtlicher denn je.

Da kommt der gemeine Krimi gerade recht. Es gibt, im Regelfall, eine Frage – Wer ist der Täter? – und es gibt, im Regelfall, eine Antwort: Der Gärtner war’s. Das sind nicht unbedingt die besten Produkte, die häufigsten sind es bestimmt. Und dann, gar nicht zu übersehen: Die Spannung im „Tatort“ baut Aggression im Zuschauer ab, Katharsis eben. Es gibt mannigfaltige Möglichkeiten, Spannungen zu überwinden, doch kaum eine bequemere als den Fernsehkrimi. Da muss der Zuschauer nichts machen, nichts können, nur irgendwie den Plot mitkriegen. Größte Gefahr dabei: einschlafen.

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