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Adrenalin für Baumeister: Kultiviert und gelassen

Die „Bauwelt“ übt seit 100 Jahren Architekturkritik.

4892 Hefte muss eine Zeitschrift erst einmal herausbringen. Die in Berlin verlegte „Bauwelt“, die führende deutsche Architekturzeitschrift, hat es mitsamt der am Freitag erschienenen Ausgabe geschafft und ist darüber 100 Jahre alt geworden. Das war natürlich Anlass für ein rauschendes Fest, denn welche Zeitschrift vermag schon ein volles Jahrhundert durchzuhalten? Offenbar sind Architekturblätter langlebig, denn der ewige Konkurrent „Baumeister“ aus München hat gar schon 107 Jahre auf dem Buckel. Die übrigen deutschen Konkurrenten der Gegenwart – fünf weitere darf man als Architekturzeitschriften im engeren Sinne bezeichnen – sind jüngeren Datums. Mit ihrer wöchentlichen Erscheinungsweise steht die „Bauwelt“ allerdings einzig da; jahrzehntelang gab es sogar zwei Ausgaben pro Woche. Das trägt sich nicht länger, dafür gibt es seit September einen runderneuerten Internetauftritt (www.bauwelt.de), der nicht allein Appetit aufs Freitagsheft machen soll, sondern eigenständig mit Bildstrecken und Videos und, und, und daherkommt.

Rund 12 000 Exemplare beträgt die Druckauflage, immerhin 8000 Hefte gehen ins Abonnement. Am Anzeigenmarkt behauptet sich die Zeitschrift gut, und die stolze Zahl von zwölf festangestellten Redakteuren dürfte gleichfalls Spitze sein. Dafür darf der Leser stets die ausführliche Würdigung wichtiger Neubauten weltweit erwarten – in thematischer Zusammenstellung –, mit kritischer Beschreibung, Plänen und stets sachlich-nüchternen Aufnahmen ausgewiesener Architekturfotografen. Themen werden gleichfalls behandelt, obgleich die „Bauwelt“ auch nach selbstkritischer Einschätzung darin wieder stärker werden könnte.

„Als Fachzeitschrift will sie ihre Leser informieren und anregen, sie muss Aktuelles kommentieren und kritisieren und darf dabei auf Anstand beharren“, heißt es im Jubiläumsheft 1-2.10, mit dem die „Bauwelt“ ihr Geburtstagsjahr einläutete. Doch vielleicht nicht immer ist noble Zurückhaltung am Platz: So ist es einem Aufruf der „Bauwelt“ zu verdanken, dass Mies van der Rohe in Berlin die Neue Nationalgalerie bauen konnte. Wolfgang Pehnt, der 79-jährige Doyen der deutschen Architekturkritik, hieb in dieselbe Kerbe, als er dem Blatt mit leiser Ironie „appetitlich zubereitete Information, kultivierte Skepsis und amüsierte Gelassenheit“ attestierte. Die „Bauwelt“, die ein stürmisches Jahrhundert von den großartigen Anfängen im bauwütigen späten Kaiserreich über zwei Kriege bis zum heutigen Tag überstanden hat, darf’s als Kompliment verstehen. Der Berufsstand des Architekten hat nichts nötiger als Gelassenheit und seriöse Information. Die liefert die einst von Ullstein begründete Zeitschrift, die heute im Gütersloher Bauverlag GmbH erscheint. Pehnt rief ihr „ad multos annos“ zu. Was auch sonst. Bernhard Schulz

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