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Projekt „24h Jerusalem“: Unterm Brennglas

Das Projekt „24h Jerusalem“ sprengt den Rahmen. Einen Tag lang beobachten 70 Drehteams den Alltag in dieser Stadt, die alles andere als alltäglich ist.

Esther Shimberg, 28, arbeitet in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Sie fotografiert die Karteikarten von Holocaust-Opfern. Neulich lag eine Karte vor ihr auf dem Tisch, drauf die Unterschrift „Adolf Hitler“. Shimberg hat die Karte nicht anfassen können. Pater Armando Pierucci, 78, lebt als Mönch im Kloster in Jerusalems Altstadt. Er schreibt christliche Musik. Ob er auch weltliche Musik komponieren könnte? Milde lächelt der Pater den Fragesteller an, wie aus einer anderen Welt. Imad Hoshiyah, 35, ist Hotelangestellter im „Ambassador“. Ohne die Mauer könnte er in einer halben Stunde bei der Arbeit sein, mit Checkpoint und Mauer sind’s drei Stunden.

Jerusalem ist wie ein Brennglas aller politischen und religiösen Konflikte. Die Fernseh-Produktion „24h Jerusalem“, die am Dienstag im Berliner „Arsenal“-Kino vorgestellt wurde und am 12. April ab sechs Uhr morgens auf Arte und BR ausgestrahlt wird, zeigt einen Tag in einer der historisch interessantesten Städte der Welt. Was für ein Aufwand: 24 Stunden, 70 Drehteams, 90 Protagonisten, insgesamt 500 Menschen vor und hinter der Kamera, über 500 Stunden Filmmaterial, vier Jahre Vorbereitung. Das Ziel: ein multiperspektivischer Blick auf die Stadt, durch das Auge der Bewohner, „der Wirklichkeit möglichst nahe kommend“, sagt Projektregisseur Volker Heise. Die Heilige Stadt ist die Wiege der drei großen monotheistischen Religionen. Für Israel unteilbare Hauptstadt, für die Palästinenser eine besetzte Stadt und für Europäer eine ferne Welt.

Keine einfache Arbeit, nicht so ungefährlich wie das Vorgängerprojekt „24h Berlin“ vom RBB, das 2009 ebenfalls von Zero One 24 Film produziert wurde. Unter teilweise massiven Drohungen wurde vor gut einem Jahr die 24-Stunden-Doku gedreht. „Wir hatten natürlich eine große Aufmerksamkeit in der Stadt. Das macht dieses Format so verwundbar“, sagte Produzent Thomas Kufus.

Die Drehteams, darunter namhafte Regisseure wie Dani Levy, Andres Veiel und Maria Schrader, zeigen die Menschen, die Straßen, das Leben in Jerusalem, gewissermaßen in Echtzeit. Juden, Christen, Moslems. Ein verdächtiger Siedler, schwerbewaffnete Polizisten, ein palästinensischer Historiker oder eben Esther Shimberg und Pater Pierucci. Je ein Drittel der Drehteams sei palästinensisch, israelisch und europäisch gewesen, sagt Kufus. Dazu muss man wissen: Wochen vor Drehstart wurde das Projekt mit Vorwürfen von palästinensischer Seite konfrontiert. Es ergreife Partei für Israel und normalisiere den Zustand der Besetzung. Der seit über 70 Jahren währende politisch-religiöse Wahnsinn in der Region geht wohl auch nach diesem multimedialen Projekt weiter. Leider.Markus Ehrenberg

www.24hjerusalem.tv

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