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Markus Beckedahl, Gründer des Portals Netzpolitik.org

© dpa/Britta Pedersen

Markus Beckedahl, Betreiber von Netzpolitik: "Wir sehen die Ermittlungen als Einschüchterungsversuch"

Den Begriff "Landesverrat" habe er bis gestern nur aus Geschichtsbüchern gekannt, sagt Netzpolitik-Betreiber Markus Beckedahl im Interview mit dem Tagesspiegel. Das Ruhen der Ermittlungen ist für ihn kein Grund zur Entwarnung.

Generalbundesanwalt Harald Range will die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen die Journalisten des Portals Netzpolitik.org erst einmal aussetzen. Netzpolitik-Betreiber Markus Beckedahl ist dennoch beunruhigt. Im Interview mit dem Tagesspiegel sorgt er sich um die Zukunft von Netzpolitik.org.

Herr Beckedahl, gefährden Sie mit Netzpolitik.org die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, wie es Ihnen der Generalbundesanwalt vorwirft?

Natürlich nicht! Wir setzen uns mit journalistischen Mitteln dafür ein, dass das Internet grundrechtsfreundlich gestaltet wird und sehen unsere Enthüllungen zum Ausbau des Überwachungsstaates eher als Bereicherung einer demokratischen Landschaft an - und nicht als Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands.

Der Generalbundesanwalt ermittelt wegen des Verdachts auf Landesverrat gegen Sie, nachdem sie Geheimdienstdokumente veröffentlicht haben. Sind Sie überrascht, dass so schweres Geschütz aufgefahren wird? 

Ja, den Begriff Landesverrat kannte ich bisher nur aus Geschichtsbüchern, ich wusste gar nicht, dass es den noch gibt. Deshalb irritiert es schon, dass der Staats und seine Sicherheitsbehörden mit dem schärfsten Geschütz, das ihnen zur Verfügung steht, gegen uns kleine Journalisten vorgehen. Das hätte ich nicht für möglich gehalten.

Die Ermittlungen gehen zurück auf zwei Artikel, in denen Sie über Pläne zum Ausbau der Internet-Überwachung berichten. Haben Sie zu einem Zeitpunkt selbst daran gezweifelt, ob es richtig ist, die Geheimdokumente zu veröffentlichen?

Nein, denn wir halten es für dringend notwendig eine gesellschaftliche Debatte darüber zu führen, ob es richtig ist, dass die einzige Antwort der Bundesregierung zwei Jahre nach den Snowden-Enthüllungen zur NSA einfach nur mehr Überwachung und einen Ausbau unserer Geheimdienste bedeutet. Wir haben mit den Artikeln offen gelegt, dass der Verfassungsschutz neue Fähigkeiten zur automatisierten Rasterfahndung in sozialen Netzwerken erhalten soll. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es fraglich, ob er das darf. Erst durch unsere Enthüllungen sind diese Pläne überhaupt an die Öffentlichkeit gekommen.

Würden Sie heute wieder genau so handeln?

Ja,  weil wir glauben, dass unsere Leserinnen und Leser sich bei solchen Vorgängen aus auch Originalquellen informieren können sollten. Auch, um unsere Arbeit als Journalisten kontrollieren zu können.

Sehen Sie die Ermittlungen auch als Einschüchterungsversuch?

Ja, wir sehen die Ermittlungen ganz klar als Einschüchterungsversuch gegen uns - aber auch gegen alle anderen Journalisten, die daran mitarbeiten, diesen größten Überwachungsskandal in der Geschichte der Menschheit aufzuklären. Die Ermittlungen sind aber auch ein Einschüchterungsversuch gegen alle Quellen und potentiellen Quellen aus den Behörden und dem politischen Berlin, die uns dabei unterstützen, diesen Überwachungsskandal überhaupt aufklären zu können. Insofern sind wir mit Netzpolitik.org wahrscheinlich nur ins Visier genommen worden, weil wir das kleinste Medium sind und von uns vermeintlich der geringste Widerstand zu erwarten ist.

Bisher wurden in ähnlichen Fällen eher große Medien wie „Spiegel“ oder „Cicero“ ermittelt. Mit Netzpolitik.org wurde nun erstmals ein Blog ins Visier genommen.

Wir betreiben zwar einen Blog und kommen aus dem Netz, machen aber Journalismus.  Insofern ist es vielleicht auch mal an der Zeit, dass ein Internetmedium eine Rolle einnimmt, die früher ein Printmedium eingenommen hat – obwohl uns die Nummer jetzt ein bisschen zu groß ist. Es hätte ruhig eine Nummer kleiner sein können.    

Der Generalbundesanwalt will das Verfahren nun zunächst ruhen lassen, um ein Gutachten einzuholen. Beruhigt Sie das?

Nein, das ist leider gar kein Grund zur Entwarnung. Es irritiert eher, dass erst die Ermittlung gestartet und die Öffentlichkeit informiert wird, um dann ein Gutachten einzuholen. Das bestätigt eher unsere These, dass es sich bei den Ermittlungen um einen Einschüchterungsversuch handelt.

Sie rechnen also nicht damit, dass es tatsächlich zur Anklage auf Landesverrat  kommt, auf den eine Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr steht?

Bis gestern wusste ich nicht, dass man in Deutschland für journalistische Arbeit ins Gefängnis kommen kann. Aber selbst ein langjähriges Gerichtsverfahren könnte unsere Arbeit komplett lahm legen. Wenn das das Ziel der Bundesregierung und ihrer Sicherheitsbehörden ist, dann ist das ganz klar ein Angriff auf die Pressefreiheit. 

Das Interview führte Sonja Álvarez.

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