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„Das ZDF war mein Leben.“ Von 1982 bis 2002 bestimmte Dieter Stolte (hier mit seiner Frau Petra) die Geschicke des Mainzer Senders. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

"Mein Leben mit dem ZDF": Siegen lernen

Der ehemalige ZDF-Intendant Dieter Stolte hat seine Erinnerungen an Mainzer Zeiten aufgeschrieben.

Ich wette, Stefan Raab war Schülerpraktikant beim mongolischen Staatsfernsehen, denn als Dieter Stolte Anfang der 90er Jahre mit kleinem Tross Ulan Bator besuchte, wurden die ZDFler mit Wodka und Stutenmilch abgefüllt, um dann in geselliger Runde von ihren Gastgebern zum sportlichen Wettkampf gefordert zu werden: Mann gegen Mann, Mongole gegen Mainzelmann, Reiten, Ringen oder Bogenschießen. Stolte wählte den Ringkampf, begab sich – besiegt, aber unbeschädigt – nach fünf Minuten in die Maikäferstellung, während ein ungestümerer Mainzelmann sich die Rippen brach. Wer anders als Raab konnte das ausgeheckt haben. Nur im ZDF glaubt man noch immer an einen mongolischen Volksbrauch.

Das Leben eines Intendanten ist nicht so unterhaltsam, wie diese Schnurre aus Stoltes Buch „Mein Leben mit dem ZDF“ vermuten lässt. Die Abenteuer spielten sich eher hinter Aktendeckeln, in Kohls Amtszimmer oder vor den Schranken der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) ab. Während bei der ARD vor jedem Treffen mit den Gebührenermittlern der Wutpegel stieg, ging Stolte gelassen in jede Sitzung. Er hatte sein Schäfchen im Trockenen. „Wie schafft der das?“ zermarterten sich die ARD-Intendanten ihr Hirn, wenn sie mal wieder als Bettvorleger gelandet waren. Ganz einfach.

In seinem Geschichtenband, der im Nicolai-Verlag erscheint und am Freitag in den Buchhandel kommt, gibt Stolte exemplarisch Auskunft über ein Gespräch mit dem damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Erwin Teufel in Stuttgart. Der hatte seinen Schreibtisch mit Haushaltsplänen des ZDF zugepflastert und empfing Stolte schroff mit dem Satz: „Ich will Ihnen jetzt mal erklären, warum sie keine Gebührenerhöhung brauchen.“ Schlagfertig konterte Stolte: „Schließen Sie die Haushaltspläne ruhig wieder weg. Ich weiß selbst, wo ich mein Geld versteckt habe.“ Man einigte sich ohne großes Trara: Das Geld reicht noch ein halbes Jahr. Dann gibt es eine Gebührenerhöhung. So macht man das!

In diesem unaufgeregtem Stil von Vieraugengespräch und einem doppelten Schuss Pragmatismus – vom Riesling wird später die Rede sein – hat Stolte von 1982 bis 2002 das ZDF geführt. Er hat das Kulturprogramm 3sat erfunden, der ARD den Weg zum gemeinsamen Kinderkanal und Phoenix geebnet, aber er hat auch bittere Niederlagen einstecken müssen. Während die ARD sich mit ihren Dritten Programmen und Dutzenden Hörfunk-Kanälen zum Moloch aufpumpte, scheiterte jeder Versuch, das ZDF mit einem weiteren Fernsehkanal zu stärken. Erst mit der Mediathek und Digitalkanälen wie ZDFneo ging Stoltes Strategie einer Programmfamilie auf.

„Das ZDF war mein Leben. Auf Dauer hatte es von mir mehr Besitz ergriffen als umgekehrt“, schreibt er in seiner Lebensgeschichte. Das ist bei einem Mann mit eingebauter Gefühlsbremse ein Optimum an Gefühlsaufwallung. Es ist ein Lebensbekenntnis. Als Kriegskind in Berlin eingeschult, mit der Mutter vor Bombenteppichen ins sichere Saarland geflohen, dann zurück in den Osten, der Vater in Bautzen in Haft, fand diese Kriegs- und Nachkriegskindheit ihr Ende in einem Flüchtlingslager in Worms. „Aus eigenem Entschluss kehrte ich den Lagerhof oder half in der Küche ... Andere waren sich dafür zu schade.“ Es war der Beginn eines Lebens, in dem er Ruhe fand und selbstbestimmt handeln konnte.

Stolte studiert in Mainz, und der Mainzer Philosophie-Professor Karl Holzamer – 1962 zum ersten ZDF-Intendanten gewählt – macht ihn zu seinem persönlichen Referenten. Stolte steigt auf – erst zum Programmdirektor und 1982 an die Spitze des Senders. In seinem Buch deckt er schnörkellos die Kriterien auf, nach denen im ZDF über Karrieren entschieden wird. 1976 hatte der Verwaltungsrat unter seinem Vorsitzenden Helmut Kohl verfügt, dass der Posten des Programmdirektors jeweils mit einem konservativen Kandidaten zu besetzen sei, der des Chefredakteurs mit einer der SPD genehmen Person. Ganz nebenbei fiel bei dieser ZDF-Farbenlehre der Posten des Intendanten immer an eine unionsgeneigte Person. Nicht schlecht für Stolte und seine Nachfolger Schächter und Bellut, welcher das Stolte-Buch an diesem Donnerstag in Berlin präsentiert. Der Intendantenposten beim ZDF ist denkmalgeschützt: Einmal CDU, immer CDU.

Stoltes Amtsgarantie war, dass er sich strikt an dieses Regelwerk hielt, selbst wenn zu seinem Bedauern qualifizierte Macher wie der begnadete Unterhaltungschef Peter Gerlach oder Fernsehspiel-Mann Hans Janke wegen falscher Farbschattierung keine Chance auf einen Direktorenposten bekamen. Die alte Bundesrepublik mit ihrem Parteien- und Postenbeton regiert noch immer im ZDF.

„Auf sehr persönliche Weise“, befindet Stolte, schloss sich nach der Wiedervereinigung sein „Lebenskreis (...) geprägt durch Krieg, Flucht und Gewinn der Freiheit“. Sein ZDF eröffnete Studios in den neuen Ländern. Den nationalen Hörfunk, den er ersehnte, bekam er nicht. Als ich 1994 als Intendanten-Kandidat für das Deutschlandradio zu einer abendlichen Verwaltungsratssitzung nach Mainz gebeten wurde, war das in doppelter Hinsicht eine historische Stunde. Die Mitglieder des Gremiums unter Stoltes Vorsitz sprachen mir – einige mit schwerer Zunge – ihr Vertrauen aus. Und ganz nebenbei wurde ich Zeuge, wie der gewiefte Taktiker und Bulettenverzehrer hitzige Debatten nach der goldenen Regel „Riesling hebt die Stimmung und dämpft den Zwist“ zu entspannen pflegte. Wer Medienpolitik treibt, sollte bei Stolte einen Geschicklichkeitskurs belegen. Nach meiner Wahl besuchte ich die Länderchefs. Deutschlandradio bekam seinen eigenen Gebührenanteil und stand klein, aber fein gleichberechtigt neben den Großen. Die wichtigsten Entscheidungen fallen noch immer in trauten Gesprächen. Von Stolte lernen, hieß, siegen lernen.

Bleibt die Frage: Warum versteckt der Großmeister das Porträt, das zum Schmuck der Intendantengalerie von ihm angefertigt wurde? „Ein guter Maler schaut Ihnen in die Karten“, hatte er vor der Malaktion noch geunkt. Dann war er „entsetzt“, denn da „schaute mir jemand entgegen, der unverkennbar ich war“. Zu viel Ich? Nun verstaubt das Bild im Unternehmensarchiv und darf nach Stoltes Verfügung erst nach seinem Tod besichtigt werden. Es ist also noch lange hin, bis wir ihm in die Karten schauen.

Der Autor Ernst Elitz, 71, war Gründungsintendant des Deutschlandradios. Was er dabei geleistet hat, das würdigte der Deutsche Kulturrat, indem er Ernst Elitz den Kulturgroschen 2012 verliehen hat.

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