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Ordentliche Quote. 490 000 Zuschauer verfolgten im ZDF den Dialog zwischen Richard David Precht und Juli Zeh. Foto: ZDF

© Juliane Eirich

Medien: Mund-zu-Mund-Beatmung

„Precht“ will über den getunten Menschen reden. Besorgt, bildungsbeflissen, frei von Kontroverse.

So viel Stolz muss sein: „ZDF startet Frühjahrsstaffel der Philosophiesendung ,Precht’“. Um 0 Uhr 05, in der Nacht zum Montag bricht sie also aus, die wärmende Jahreszeit. Das Thema ist dafür geschickt gewählt, es geht um den „getunten Menschen – Wie perfekt wollen wir sein?“. Es ist ja wahr, kaum ist der Winterpelz abgeworfen, wird die Frage nach dem Körperkapital wichtiger, vielleicht zentral.

Richard David Precht und sein Gast, die Schriftstellerin Juli Zeh, gründeln tiefer. Sie wollen nicht Pediküre noch Maniküre betreiben, sie wollen im Zwiegespräch sich, vor allem aber dem Publikum erklären, was den Menschen dermaßen zur Optimierung seiner selbst treibt. Mag es heute noch solitär um den Körper gehen, kann es demnächst schon um die Perfektionierung der Gene gehen.

Es ist Gefahr im Verzug. Precht gibt die erste Warnung aus: „Körperkult ist die Folge des radikalen Kapitalismus.“ Wer schafft und rafft, der steckt harte Arbeit auch ins Bodyshaping. Juli Zeh haut Vergleichbares raus: Die existenziellen Bedürfnisse seien erledigt, jetzt werde die Gesundheit ins Blickfeld genommen. Aber bedeutet gesund auch glücklich? Hinter all dem Wahn stecke Angst, die Angst des Menschen, der ahnt oder gar weiß, dass er verführt wird. Precht und Zeh haben ebenfalls Angst – um die anderen in ihrem Angstzustand.

Beide Gesprächspartner fürchten, dass der Geist unter den Zeitgeist gerät. Dass die erreichte „Veruneigentlichung des Körpers“ (Precht) rückentwickelt wird und die Makellosigkeit des Gedankens dem Superlativ des Körperlichen geopfert wird. Schon früh während der 45 Minuten ruft von ferne George Orwell, später wird er zitiert und in Stellung gebracht. Es geht schnellen Worts Richtung Ertüchtigungsdiktatur. Während Zeh aus der Empirie ihres Freundes- und Verwandtenkreises schöpft und zitiert, liebt Precht die großen Bögen. Gerne fängt er in der Antike an, fischt in Neuzeit und Aufklärung, um dann bei seinen akuellen Gewährsleuten aus der Philosophie-Kaste zu landen. Diese vielgliedrigen Herleitungen müssten nicht immer sein, Precht wirkt da wie ein Bildungsprotzer, der Zeh nicken und zustimmen lässt. Lehrer und Schülerin – wenige, doch unangenehme Momente. Es scheint, als stünde der Gastgeber unter selbst erzeugtem Optimierungsstress.

Wie schon in den bisherigen Sendungen ist die Studiosituation bei „Precht“ pure Konzentration. Im Lichtkranz sitzen sich die Gesprächspartner gegenüber, Juli Zeh etwas abgerückt vom Tisch, Precht in der Vorwärtsbewegung und mit Händen, die sich gerne aneinanderlegen und erst kurz vor der Gebetshaltung arretiert werden. Die Kamera ist unaufdringlich, sie dokumentiert, sie agitiert nicht. Nicht von Nachteil, wenn die Nahaufnahme zwei attraktive Menschen zeigt. Damit ist der Argwohn, dass unfitte Sesselheroen mit Neid über die Wellness anderer schimpfen, vom Tisch gewischt.

Das Zwei-Menschen-und-ein-ThemaKonzept bleibt heikel. Zeh und Precht sind sehr von der Sorge um den Mitmenschen getrieben. Nix dagegen, doch was ein Zwiegespräch werden soll, hat bei aller Facettierung und trotz gekonnter Perspektivenwechseln Chorcharakter. In der intellektuellen Umarmung entsteht Wärme, nicht Reibung. Bei dieser „Precht“-Ausgabe nimmt der Widerspruch, eigentlich Hefe einer jeden sich öffnenden, gewinnträchtigen Diskussion, nicht Platz. Einigkeit macht stark, Einigkeit macht langweilig, Einigkeit vermittelt den unangenehmen Eindruck, dass denen da drinnen jene da draußen leidtun. So viel Mitleid ist unverdient.

Um 0 Uhr 50 darf der Zuschauer ins Bett. Wer so lange vor dem ZDF-Schirm war, der darf von sich sagen: Mein Geist war willig, mein Fleisch war stark. 45 Minuten vor der Glotze machen den Zuschauer immerhin TV-fit. Fernsehen tunt. Ob Juli Zeh und Richard David Precht auf diese Miniatur von einer Erkenntnis stolz wären? Joachim Huber

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