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Netflix-Urknall. Mit „House of Cards“, der ersten eigenproduzierten Serie mit Kevin Spacey und Robin Wright, katapultierte sich das Streaming-Portal in die Öffentlichkeit.

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Netflix vor dem Start: Vor zu hohen Erwartungen wird gewarnt

In einer Woche startet Netflix in Deutschland, doch Reed Hastings dämpft die Erwartungen an den Video-on-Demand-Dienst. Das Understatement kauft ihm längst nicht jeder ab.

Am 16. September beginnt das neue TV-Zeitalter. Viele erwarten einen Zeitenwechsel wie 1984, als in Ludwigshafen der Vorläufer von Sat 1 auf Sendung ging und die Ära des Privatfernsehens begann. Dieses Mal geht es nicht um mehr Sender, sondern um die völlige Freiheit der Zuschauer über ihr Programm. Zu jeder Zeit und an jedem Ort sollen sie die Filme und Serien auswählen können, die sie am besten unterhalten – ohne Werbeunterbrechungen und am besten ganze Staffeln in einem Stück. Nie wieder am Gängelband der Programmverantwortlichen, stattdessen Spitzenware für Cineasten und Serien-Junkies, nicht weniger wird vom Deutschlandstart von Netflix, dem weltweit größten Video-on-Demand-Anbieter (VoD), der sogar den preisgekrönten US-Seriensender HBO bei den Abonnentenzahlen überholt hat, erwartet.

Noch gibt es weder eine offizielle Aussage, mit welchen Titeln Netflix in Deutschland starten will, noch zu welchem Preis. Einige Informationen sind inzwischen jedoch durchgesickert. So wird es im VoD-Angebot von Netflix keinen „Tatort“ geben, dafür aber „Stromberg“. Statt „House of Cards“ kommt voraussichtlich die „Sendung mit der Maus“ ins Startprogramm. Und beim Preis gibt es möglicherweise ein abgestuftes System. Wer Filme und Serien bei Netflix nur auf einem Gerät in Standardauflösung sehen will, würde demnach 7,99 Euro zahlen. Für einen Euro mehr soll es HD auf maximal zwei Geräten geben. Und für 11,99 Euro monatlich sollen vier Geräte erlaubt sein, auf denen dann auch Ultra-HD-Qualität laufen soll.

Vor allzu hohen Erwartungen an den Deutschlandstart hat Netflix jedoch gewarnt. Bereits vor einigen Wochen hatte das US-Unternehmen in Gesprächen mit Journalisten die Botschaft verbreitet, dass man eher bescheiden starten wolle. Vor einer Woche hat Netflix-Gründer Reed Hastings das noch einmal im „Spiegel“ wiederholt. „Es spielt zunächst keine Rolle, welche Marktposition das Unternehmen in Deutschland erobert. Auch wenn wir Dritter oder Fünfter sind, ist das in Ordnung“, sagte er.

Dieses Understatement kauft Markus Kreher, Head of Media bei KPMG, Netflix nicht ab. Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft ist unter anderem als Abschlussprüfer beim Pay-TV-Sender Sky Deutschland und der ProSiebenSat-1-Gruppe tätig.„Dass Hastings einen gewissen Respekt vor den deutschen Marktgegebenheiten hat, ist verständlich“, sagte Kreher dem Tagesspiegel und verweist auf die Schwierigkeiten beim Aufbau eines Pay-TV-Marktes angesichts eines gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der starken Privatsenderfamilien. Selbst wenn Netflix zum Start nicht alle Register zieht, erwartet Kreher jedoch spätestens Weihnachten die ersten Knaller. „Ich lasse mich da gerne überraschen.“

Die deutschen Free-TV- und Pay-TV-Sender geben sich derweil nach außen gelassen. Die Nervosität vor dem Netflix-Start ist jedoch mit Händen greifbar. Es vergeht kein Tag ohne neue Ankündigungen über gesenkte Preise (Sky Snap gibt es nun für 3,99 Euro statt für zuvor 9,90 Euro), einen heißen Serien-Herbst (Watchever), noch mehr US-Serien (Maxdome) oder den Ausbau des Netzes (Kabel Deutschland mit Select Video).

Was hat Netflix, was die anderen nicht haben?

Doch was hat Netflix der Konkurrenz voraus? „Netflix hat ein global skaliertes Modell mit großer US-Basis und interessanten Eigenproduktionen“, sagt Kreher. Die weltweite Abonnentenzahl liegt inzwischen bei über 50 Millionen. In Europa ist Netflix unter anderem in Großbritannien und den Niederlanden aktiv. Noch verdient Netflix das Geld vor allem in den USA. Langfristig sollen 80 Prozent des Umsatzes aber aus dem internationalen Geschäft stammen. „Wenn dann auch noch US-Präsident Obama öffentlich von seinem Faible für die Netflix-Serie ,House of Cards‘ erzählt, so ist das ein Pfund, mit dem man wuchern kann.“

Die Nachfrage und damit die Preise nach erstklassigen Serien, vor allem aus den USA, wird durch den Bedarf der VoD-Anbieter an attraktiven Inhalten noch zunehmen. „House of Cards“ ist die international bekannteste Netflix-Eigenproduktion, aber bei Weitem nicht die einzige. Die Knastserie „Orange Is The New Black“ wird in Deutschland vermutlich bereits zum Start laufen. „Wir werden sicher auch in Deutschland produzieren“, kündigte Hastings an. Zunächst einmal stehen jedoch internationale Produktionen wie die Sci-Fi-Serie „Sense8“ um Menschen mit telepathischen Fähigkeiten an oder „BoJack Horseman“, eine Cartoon-Serie für Erwachsene um ein Whiskey trinkendes Pferd mit sehr menschlichen Zügen. Und von Intrigen, Abenteuern und Kämpfen soll die Drama-Serie „Marco Polo“ handeln. Netflix hat aber noch eine andere Stärke. Der VoD-Dienst weiß genau, was seine Kunden wünschen. Das ist einerseits eine Sache der Algorithmen, die den Geschmack des Nutzers erfassen, um ihm so die besten Vorschläge zu machen.

Ein Heer von Ingenieuren ist damit beschäftigt, die Algorithmen ständig zu verbessern. Hastings geht bei Netflix zudem den nächsten Schritt. Er kombiniert die Effizienz der Algorithmen mit dem Urteilsvermögen des Menschen. 40 Mitarbeiter sind ständig damit beschäftigt, die Filme und Serien im Katalog möglichst detailliert zu kategorisieren, so dass den Nutzern genau die Titel empfohlen werden, die sie wirklich interessieren. Denn nichts ist frustrierender, als erfolglos nach Titeln für die Abendgestaltung zu suchen. Solche Kunden werden am Monatsende ihr Abo ganz schnell beenden und zum nächsten Anbieter wechseln.

Nicht nur Netflix kann gute Empfehlungssysteme

Doch gute Empfehlungssysteme können andere auch. Amazon hat sie in seinem Shop als eines der ersten Unternehmen eingesetzt und eindrucksvoll die Wirksamkeit bewiesen. Es gibt aber auch noch andere Gründe, warum man Amazon-Chef Jeff Bezos nicht vergessen darf. Amazon ist inzwischen ein Medienhaus mit Filmen, Musik, Büchern und Hörbüchern (Audible). Mit der „Washington Post“ besitzt Bezos sogar eine Zeitung. Das Angebot von Amazon Prime Instant Video in Deutschland ist im Vergleich mit Marktführer Maxdome zwar bescheiden, aber der Preis ist eine echte Herausforderung. Zumal das Jahresabo für 49 Euro zugleich den erweiterten Prime-Lieferdienst des Onlinewarenhauses beinhaltet. Ebenso wie Netflix hat Amazon zudem begonnen, eigene Serien für sein VoD-Angebot zu produzieren, auch wenn „Alpha House“ thematisch sehr nah an „House of Cards“ angesiedelt ist. Auch Watchever hatte vor beinahe einem Jahr eine eigene deutsche Serie angekündigt, seitdem ist davon aber bei der Vivendi-Tochter nichts mehr zu hören.

Die Möglichkeiten eines global operierenden Internetunternehmens stehen nicht nur Netflix, sondern genauso Amazon zur Verfügung. Zudem hat das Unternehmen von Jeff Bezos über seinen Versandhandel ein starkes Standbein in der materiellen Wirtschaft. Und was nicht zu unterschätzen ist: Amazon verfügt über ein eigenes Ökosystem an Abspielgeräten, vom E-Book-Reader Kindle über das Multimedia-Tablet Kindle Fire bis hin zur TV-Streamingbox Fire TV, die nun auch in Deutschland verkauft wird. Der Ansturm auf die zu einem Einstiegspreis von 49 Euro angebotene Box war so groß, dass der Liefertermin von September auf November verschoben werden musste. Und auf jeder Box ist Amazon Instant Video vorinstalliert. Der Wettbewerb der Anbieter dürfte somit ebenso spannend werden wie das VoD-Programm.

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