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Netzneutralität: Die Mär von der knappen Datenautobahn

Das Internet, das bald „voll“ sei, ist eine Mär, damit Telekommunikationskonzerne eine Legitimation für ihre Versuche haben, die Netzneutralität auszuhebeln.

Reihenfolge ist wichtig. Beim Anziehen etwa. „Erst die Hose, dann die Schuhe“, lautet eine der wichtigsten Ankleideregeln. Oder bei Debatten. „Erst die Fakten, dann die Meinung“, ist eine der Leitlinien bei Streitgesprächen. Wer diese Regeln missachtet, verkompliziert im ersten Fall den Bekleidungsvorgang seiner Gehwerkzeuge; im zweiten Fall verbreitet er keinen wertvollen Debattenbeitrag, sondern Geschwafel, Verschwörungstheorien, Unsinn.

Hier nun ein wichtiges Faktum zum Thema Netzneutralität: Im Januar 2014 überstieg der Datenverkehr beim Internet-Knotenpunkt De-Cix erstmals einen Spitzenwert von drei Terabit pro Sekunde. Im Januar 2013 lag der Daten-Peak noch bei 2,2 Terabit in der Sekunde. Innerhalb eines Jahres sind die Traffic-Höchstwerte also um stolze 36 Prozent gestiegen. Das sind die Spitzenwerte, das sind also Zeiten, in denen etwa alle deutschen Nutzer Katzenvideos auf Youtube schauen und sich gleichzeitig die zweite Staffel „House of Cards“ in HD downloaden – aus irgendwelchen grauen Datenquellen. Zu Normalzeiten schaufeln die Router des De-Cix nur etwa zwei Terabit in der Sekunde durch ihre Leitungen. Die De-Cix ist nicht irgendein Internet-Knoten, sondern der wichtigste in Deutschland und der größte der Welt. Er besitzt eine Kapazität von 100 Terabit in der Sekunde. Man muss kein Mathematiker sein, um auszurechnen, dass die Auslastung dieser Datentauschstelle somit in Extremfällen bei drei Prozent liegt, im Normalfall bei zwei Prozent.

Nun darf man von Messungen allein bei der De-Cix nicht auf den Zustand des gesamten deutschen Internets schließen, zumal die Telekom mit ihrem Netz an dem Datenaustausch dort nicht teilnimmt. Aber selbst wenn es anderswo im Netz ganz anders aussieht als bei der De-Cix, kann man sagen: Das deutsche Internet ist allerhöchstens zu fünf Prozent ausgelastet. Im Normalfall wohl eher zu sehr viel weniger. So viel zu Horrormeldungen von verstopften Datenleitungen und Netzkapazitäten, die bald am Limit sind. Das Netz ist keine Wasserleitung, die irgendwann voll ist. An den Datenübergabepunkten wird seit Jahr und Tag fröhlich auf- und nachgerüstet, die Router und Switches werden von Generation zu Generation mit der gleichen Selbstverständlichkeit immer leistungsfähiger, wie die PCs auf unserem Schreibtisch oder die Smartphones in unserer Tasche. Um bei der De-Cix zu bleiben: Dort hat man die Datenkapazitäten seit 2010 mal eben verzweieinhalbfacht. Die angeblich „knappen Kapazitäten” der Leitungen, das Netz, das bald „voll“ sei, all das ist eine Mär, die Lobbyisten und PR-Strategen sich ausgedacht haben, um den Telekommunikationskonzernen eine Legitimation für ihre notorischen Versuche zu liefern, die Netzneutralität auszuhebeln.

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