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Schnell verbeult. Der Nikolaus „Nick“ Tschiller des Til Schweigers ist kein Dialektiker, er ist direkt, sehr direkt.

© NDR

Neuer "Tatort"-Kommissar: Hart und zart zu gleichen Teilen

Oh wie schön? Oh wie schrecklich? Til Schweiger kämpft sich durch seinen ersten „Tatort“. Für Plauderstündchen ist sein Nick Tschiller nicht zu haben.

Sein erstes Wort ist … „Fuck“. Natürlich. Das zeigt die Richtung an, aus der der erste „Tatort“ mit Til Schweiger kommt, und er zeigt die Richtung an, wohin sein Erstling will: Schimanski 2.0. Dessen erstes Wort als „Tatort“-Kommissar war: „Scheiße“. Fast eine Revolution, damals Anfang der 1980er Jahre, jedenfalls eine ganz neue Farbe in der Krimireihe der ARD. Prägend, stilbildend, der Polizist darf Prolet, genauer: Bulle sein.

Nick Tschiller, früher verdeckter Ermittler beim LKA in Frankfurt und Mitglied eines SEK, zieht nach Hamburg, um beim dortigen Landeskriminalamt zu arbeiten und sich um seine pubertierende Tochter zu kümmern. Seine Exfrau will sich wieder stärker um ihre Karriere kümmern. Folgerichtig heißt der erste Schweiger-„Tatort“: „Willkommen in Hamburg“.

Die ersten fünf Minuten bringen Action in einer Wohnung, die eigentlich ein Versteck für minderjährige Zwangsprostituierte ist, eine sorgfältig orchestrierte Schießerei mit drei Toten, die allesamt zum gefürchteten Astan-Clan gehören. Tschiller hat drei Kerben in der Dienstwaffe. Der offensichtliche Kiezfrieden zwischen Clan und Polizei ist gestört. Mein ist die Rache und blutig. Reden ist gut, Schießen gut, wenn nicht besser. Der NDR legt mit diesem „Tatort“ ein eindeutiges Angebot vor. Feingeister und Grübelmonster sind nicht gemeint.

Der selige Schimanski-Kollege Christian Thanner (alias Eberhard Feik) taucht auch wieder auf – aber ganz anders interpretiert: Yalcin Gümer, Türke und LKA-Ermittler. Anders als die wandelnde Dienstvorschrift Thanner ist Gümer ein lustiger Vogel. Er redet viel, sehr viel, er steht für die Scherz- und Spaßfraktion ein. Und er kommt aus der Generation Internet. Dass er im Krankenhaus mit einer Schusswunde im Bein liegt, hindert ihn nicht daran, Nick Tschiller mit seinem Notebook durch die Fahndung zu lotsen, legal und illegal. Schnell ist das Verbrechen, schnell ist die Polizei. Die Wahl der Mittel ist adäquat zur Wahl der Waffen.

In der Konstellation Tschiller – Gümer ist Musik und Potenzial. Fahri Yardim hat Präsenz und eigenes Standing im Spiel, er muss nicht den Wasserträger geben. Überhaupt ist die Polizei gut besetzt. Britta Hammelstein als Ines Kallwey ist die nüchterne Kraft ohne Verhärmtenattitüde. Gegenüber Tschiller ist sie misstrauisch, vielleicht sind ihr diese „Super-Bullen“ ein Gräuel. Mal schauen.

Autor Christoph Darnstädt baut Personal und Handlung um den Kinostar, der jetzt das Fernsehen rocken will. Also ist Schweiger alias Tschiller der Magnet, er zieht an, er stößt ab, er ist die Zentralfigur. Der Action-Mann für die Männer, der Macho-Mann mit pochendem Gewissen für die Frauen. Die Konstruktion ist spürbar. Wenig Innovation ist eingearbeitet, die Fahnder-Figur wird aus dem Schweiger-Universum zusammengesetzt. Alleinerziehender Vater mit Tochter (von Luna Schweiger gespielt), darin überfordert, aber von ganz großer Liebe erfasst.

Frauen reagieren immer auf Tschiller. Die Exehefrau will ihn wieder erziehen, die Vorgesetzte klein machen, die Freundin vom Exfreund und neuem Gegner hat in den Begegnungen einen umflorten Ausdruck im Gesicht. Die Jungprostituierte bietet sexuelle Dienstleistungen an, meist sind die weiblichen Blicke eindeutig.

Klettert der 90-Minüter die Schweiger-Spirale hoch, bietet er nur Abziehbilder. Da ist er enttäuschend, und nicht nur da: Eher wird ein Freund als ein Witzchen (Tschiller-Schiller!) dreingegeben, die grobkörnigen Dialoge setzen keine Glanzlichter. Autor Darnstädt ist geschickt genug, zwischen die Fronten aus Polizei und Mädchenhändler eine dritte Figur zu schieben: Max Brenner, früher Kollege von Tschiller durch Dick und Dünn, hat die Seiten gewechselt. An seiner Seite Sandra Bieber, die zwischen den Männern changiert. Das macht die Sache für Tschiller schwierig und den sonst überschaubaren Showdown-Fall interessant. Zum Polizeilichen kommt das Persönliche und beides kommt sich schicksalsschwer in die Quere. Mark Waschke spielt Brenner, Mavie Hörbiger spielt Sandra. Es zeigt sich, dass Schweiger es aushält, wenn neben ihm ausgezeichnete Schauspieler auftauchen. Quer durchs Ensemble werden plastische Figuren kreiert, da sind dicke Striche und tüchtig Rumms drin, manch Mal, aber eben nur manch Mal wird der Musterkatalog „Gut & 0Böse“ bemüht.

Til Schweiger gibt als Til Schweiger alles. Schnell hat er Schrammen im Gesicht, er schießt, schlägt, er trägt Bademantel, die Kamera von The Chau Ngo folgt Tschiller auf Schritt und Tritt. Der Erstling in der genretauglichen Regie von Christian Alvart setzt auf Schauwerte, auf volle, satte Bilder, Miniaturen fehlen, Zuschauerfang geht vor. Der Look ist Hochglanz-düster, die tempogetriebene, griffige Inszenierung sucht und findet den schnellen Reiz.

Der Drang zur Berg-und-Talfahrt aus Action und Empathie ist so übermächtig, dass jeder ruhige Moment, jedes sachlichdienliche Gespräch fast schon stört. Nick Tschiller ist für Plauderstündchen nicht zu haben, er kämpft seinen Schwarz-gegen-Weiß-Kampf. Noch selten war die Orientierung im „Tatort“ so einfach. „Willkommen in Hamburg“ setzt auf Eindruck, nicht auf Nachdruck. Und der Eindruck stimmt, weil dieser „Tatort“ rund 400 000 Euro mehr kosten durfte, als die ARD-Reihe im Schnitt kostet. Geld schießt Quote, stimmt schon.

Wer ein Problem mit Til Schweiger hatte, der hat jetzt ein Problem mit Nick Tschiller. Keiner muss „Hurra“ brüllen, keiner muss „Scheiße“ schreien. Nick Tschiller ist in Hamburg angekommen.

„Tatort: Willkommen in Hamburg“, ARD, 20 Uhr 15

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