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Enorm

© Repros: Tsp

Print: Gier war gestern

Wirtschaftsmagazine haben in der Krise besonders gelitten. Warum der Neuzugang „enorm“ gerade deshalb erscheint.

Wenn Manager von „Edeka“ sprechen, geht es neuerdings selten um den Gang zum Supermarkt, sondern ums „Ende der Karriere“. Harte Zeiten, harte Worte – dass es Alternativen gibt, will das neue Wirtschaftsmagazin „enorm“ (siehe Kasten) zeigen, das heute erstmals am Kiosk erscheint. Nicht nur ein antizyklischer, sondern auch risikoreicher Schritt. Denn abgesehen von den IT- und Telekommunikationstiteln hat kein Segment der deutschen Zeitschriftenbranche so stark unter den Folgen der Krise gelitten wie das der Wirtschafts- und Finanztitel.

Fast 35 Prozent weniger Anzeigenseiten wurden in den 24 Genreblättern gebucht. Ein Minus, das durch die Kürzung des Werbebudgets im Banken- und Finanzsektor bedingt ist. Bemerkenswert jedoch: Auch die verkaufte Auflage brach bei fast allen Blättern ein – dabei müsste doch gerade in Zeiten der Krise das Bedürfnis nach Informationen besonders groß sein. Ist das Vertrauen der Menschen in den Wirtschaftsjournalismus etwa gesunken?

„Nicht allgemein“, sagt Arno Balzer, Chefredakteur des „Manager-Magazins“, das monatlich rund 113 800 Stück (IVW, viertes Quartal 2009) verkauft. Aber ein Teil der Zunft habe bei Lesern an Kredit verloren. Schon nach dem Platzen der New-Economy-Blase 2001 seien Magazine mit Tipps zur Geldanlage kritischer beäugt worden, mit der jüngsten Finanzkrise sei diese Skepsis gegenüber der Wirtschaftsberichterstattung weiter gewachsen. Teilweise zu Recht, heißt es bei der Otto-Brenner-Stiftung, die in einer Studie die Berichterstattung über die Krise untersucht hat. Sie wirft der Deutschen Presse-Agentur (dpa) sowie „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ eine „ungenaue und irreführende“ Berichterstattung vor, Zeitungen wie die „Financial Times Deutschland“ (FTD) und das „Handelsblatt“ schnitten besser ab, Wirtschaftsmagazine wurden nicht untersucht.

Roland Tichy, Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“, die mit einer wöchentlich verkauften Auflage von 182 600 Exemplaren im vierten Quartal 2009 das größte deutsche Wirtschaftsmagazin ist und wie der Tagesspiegel zur Dieter von Holtzbrinck Medien GmbH gehört, würde eine solche Kritik für sein Blatt auch nicht gelten lassen wollen. Die Zeitschrift habe schon im August 2007, ein Jahr vor der Pleite der Bank Lehman Brothers, über einen drohenden Zusammenbruch der Finanz

märkte berichtet. „Wenn Wirtschaftsmagazine weiter zukunftsfähig sein wollen, müssen sie nach vorne in die Zukunft schreiben, anstatt anschließend nur die Krisen zu analysieren“, sagt Tichy. Anlegerjournalismus habe dagegen einen schweren Stand, viele Menschen hätten das Gefühl, aufs Glatteis geführt zu werden. Ohnehin würde Geld heute konservativer angelegt. Entsprechend geringer sei das Interesse an Investment-Blättern.

Darunter leiden auch die Magazine „Fonds & Co.“, „Euro“ und „Euro am Sonntag“, die zur Financial Media gehören. Als erstes deutsches Medienunternehmen führte die Axel-Springer-Tochter im April 2009 Kurzarbeit für ihre Blätter ein, die nach vier Monaten aber wieder beendet wurde. Seitdem prüft Axel Springer „ergebnisoffen alle Optionen“. Derzeit würden Gespräche mit Kaufinteressenten geführt, eine Einstellung sei prinzipiell nicht auszuschließen, heißt es aus dem Verlag.

Einen solch radikalen Schritt hatte der Verlag Gruner+Jahr (G+J) im vergangenen Jahr verhindern wollen und deshalb seine Wirtschaftsmedien, die Magazine „Capital“, „Impulse“ und „Börse Online“ sowie die Tageszeitung „FTD“ in einer 250-köpfigen Zentralredaktion zusammengeführt. Doch knapp ein Jahr nach dem Zusammenschluss ist der Erfolg nicht wirklich sichtbar. Alle Titel haben an verkaufter Auflage verloren, das Monatsmagazin „Capital“ beispielsweise um fast 14 Prozent auf 175 240 Exemplare, die „FTD“ macht weiter Verlust. „Journalistisch ist es gut gelaufen. Nur die Wirtschaftskrise hat die Stimmung eingetrübt“, zieht Steffen Klusmann, Chefredakteur der G+J-Wirtschaftsmedien, im „Medium-Magazin“ Bilanz. Verlagsgeschäftsführerin Ingrid Haas prophezeite in einem Interview, dass schwarze Zahlen für die „FTD“ 2011 in Sichtweite seien, und zeigte sich optimistisch, dass der Anzeigenmarkt insgesamt 2010 besser laufe. Doch in der Branche wird die Zusammenlegung der Blätter skeptisch betrachtet. „Die Redaktionen der einzelnen Titel verlieren ihre Seele, wenn in einer Zentralredaktion Einheitsgulasch produziert wird“, sagt „Wirtschaftswoche“-Chefredakteur Roland Tichy.

Wie wichtig es für die Zeitschriften ist, sich abzusetzen, zeigt insbesondere „brand eins“. Seit der Gründung 1999 verzichtet die Redaktion auf Bilanzberichte und Gewinnprognosen, sondern bettet wirtschaftliches Handeln in gesellschaftliche, kulturelle, wissenschaftliche und politische Zusammenhänge ein. Zwar rutschte das Blatt 2009 erstmals seit vier Jahren in die roten Zahlen, ist aber eines der wenigen Wirtschaftsmagazine, das seine Auflage kontinuierlich steigert. Im vierten Quartal 2009 legte es im Vergleich zum Vorjahresquartal um drei Prozent zu und verkaufte monatlich rund 100 800 Stück. Auch „enorm“ will Menschen hinter den Zahlen in den Mittelpunkt stellen. In ihrer ersten Ausgabe zeigt die Zeitschrift einen Unternehmer im Urwald und einen Topmanager – mit Gewissen.

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