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Der russische Steuerexperte Sergej Magnizki (Evgeniy Lunchenko, Mitte) soll in einem Moskauer Gefängnis zu Tode gefoltert worden sein.

© Anna Marchuk/ZDF

Propaganda-Vorwurf: Arte stoppt Doku über Fall Magnitski

Eine TV-Doku zum Tod des russischen Steueranwalts Sergej Magnitski stellt die gängige Version zu dem Mordfall auf den Kopf. Angehörige sind entsetzt. 

Es war ein Todesfall in Russland mit Folgen für die Weltpolitik. 2009 starb der russische Steueranwalt Sergej Magnitski wohl unter schlimmsten Qualen in einem Knast in Moskau. Sein Arbeitgeber, der US-Investmentbanker Bill Browder, machte den 37-Jährigen posthum mit einer internationalen Kampagne zu einem Symbol für Menschenrechtsverstöße in Russland.

US-Präsident Barack Obama unterschrieb 2012 ein eigens nach Magnitski benanntes Gesetz mit politischen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland.

Ein Dokumentarfilm des Russen Andrej Nekrassow für den Sender Arte („Der Fall Magnizki“, 3. Mai, 23.00 Uhr) zeichnet nun ein neues Bild des Falls - zum Ärger von Browder und der Familie Magnitskis. Sie sehen das Andenken des Toten in den Schmutz gezogen - und den Film als Auswuchs russischer Propaganda. Arte will den Film nun vorerst nicht zeigen, bis er inhaltlich und juristisch geprüft ist. Dabei geht es vor allem um den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen.

Sein Film sei ein „Trümmerfeld“, sagt Nekrassow selbst in dem Streifen über seine Recherchen. Er sieht sich hinters Licht geführt von dem „Geschichten-Erzähler“ Browder. Die gängige Version von einem Polizeiskandal beispiellosen Ausmaßes in Russland hält er so für nicht mehr tragbar.

Vieles ist nachvollziehbar, manches unbewiesen

Nekrassow stellt die Sicht Browders über den in Haft zu Tode gefolterten Magnitski in Frage. Am Ende dieser Selbsterfahrung eines Filmemachers bleibt ein diffuses Bild über den Fall Magnitski zurück.

Noch einmal lässt der Regisseur Revue passieren, wie der von Russland als Steuersünder gesuchte US-Amerikaner Browder erst Milliarden scheffelte und dann zum Menschenrechtler wurde.

Grundlage dafür war zunächst Browders Buch „Red Notice. Wie ich Putins Staatsfeind Nr. 1 wurde“, eine Geschichte wie ein Thriller um Schwerverbrecher im Staatsdienst, die ihre Funktionen in Behörden missbrauchen, um sich illegal Firmen anzueignen. Vieles davon ist nachvollziehbar und belegt. Doch versteigt sich Browder immer wieder in Unbewiesenem.

Regisseur Nekrassow stellt nun viele berechtigte Fragen, die offen sind. Das Erstaunlichste ist aber, dass der bisher eher wegen seiner kritischen Haltung gegenüber Moskaus Machthabern bekannte Filmemacher nahelegt, dass Browder gezielt Legenden bilde.

Zu Wort kommen auch jene Polizisten, die international als Täter gelten und sich in einem Coup Browders Firmen angeeignet und den Staat um 230 Millionen US-Dollar Steuergelder betrogen hätten. Dass Magnitski dies alles aufdecken wollte, dafür selbst eingesperrt wurde und mit dem Leben bezahlen musste, sieht Nekrassow als nicht erwiesen.

Dem Kreml dürfte der Film gefallen

Auch die von Kremlchef Wladimir Putin verbreitete Version, Magnitski sei an Herzinfarkt gestorben, steht am Ende als der Weisheit letzter Schluss da. Browder, der frühere Manager des Investmentfonds Hermitage Capital, muss in dem Film erleben, wie er erst Quasi-Drehbuchautor ist und dann demontiert wird, bis er als Übeltäter dasteht. Er warnt den Regisseur auch in einer Szene, nicht dem russischen Geheimdienst aufzusitzen.

Magnitski sei weder Anwalt gewesen noch im Gefängnis von Polizisten zu Tode gefoltert worden, stellt Nekrassow fest. Nicht korrupte Polizeibeamte sind demnach die Täter, sondern Browder, der sich vor dem russischen Fiskus drücken wollte.

Dem Kreml dürfte der Film gefallen. Gerade die Folgen von Magnitskis Tod waren international gravierend. Auf die US-Sanktionen reagierte Putin mit einem umstrittenen Verbot für Amerikaner, russische Kinder zu adoptieren. Das und ein ungewöhnliches russisches Gerichtsverfahren, bei dem Magnitski nach seinem Tod noch verurteilt werden sollte wegen Steuerbetrugs, spart der Film aus.

Die Angehörigen Magnitskis sind entsetzt, fühlen sich an russische „Lügen“-Propaganda erinnert. Sie werfen Nekrassow Falschaussagen und Erfundenes vor, er missachte Beweise von Folterspuren auf Fotos sowie Gutachten. „Dieser Film fügt uns fast physischen Schmerz zu, die Person im Film - das ist nicht Sergej!“, heißt es in einem öffentlichen Brief von Magnitskis Mutter und seiner Witwe Natalia Scharikowa. Ulf Mauder, dpa

Ulf Mauder, dpa

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